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Zwischen Akt und Landschaft

Vor 100 Jahren starb Félix Vallotton. Mit der Ausstellung «Illusions perdues» ehrt das Kunst Museum Winterthur den Lausanner Künstler in den Museen Reinhart am Stadtgarten und Villa Flora. Über 100 Arbeiten mit Malerei, Holzschnitt, Skulptur und Zeichnung sind zu entdecken.

Das Kunst Museum Winterthur beherbergt eine der umfangreichsten Vallotton-Sammlungen weltweit. Den grossen Bestand mit über 200 Arbeiten verdankt das Museum Hedy und Arthur Hahnloser, die zu den ersten gehörten, die Vallotton sammelten. Zwischen der Kunstsammlerin und Félix Vallotton entwickelte sich eine enge Freundschaft. Sie tauschten sich aus, besuchten sich gegenseitig und schrieben sich Briefe. Nach seinem Tod verfasste Hedy Hahnloser die erste Monografie über Vallottons Kunst. Die Ausstellung, kuratiert von Andrea Lutz und David Schmidhauser, präsentiert Werke aus der eigenen Sammlung, ergänzt durch Leihgaben.

Félix Vallotton, Le docteur Arthur Hahnloser (1909) und Hedy Hahnloser (1908), KMW Villa Flora (rv)

Ein Jahr nachdem das Sammlerpaar Vallotton in Paris kennengelernt hatte, erwarb es 1909 das Aktbild Le repos des modèles von 1905. Darauf sind zwei Frauen grossflächig dargestellt: Die eine liegt auf dem Bett und hält eine verwelkte blaue Blume in der linken Hand, die andere sitzt am unteren Bettrand. Wie der Titel besagt, erholen sich die beiden Modelle und reden miteinander, ohne den Künstler zu beachten. Dieser fehlt auch im grossen Spiegel an der Wand. Gespiegelt werden nur die Modelle, zudem ein Landschaftsbild sowie das Doppelporträt von Vallottons Eltern. Der Künstler selbst tritt zugunsten seiner Modelle zurück; und doch ist er durch seine Malerei präsent.

Blick in die Ausstellung. Im Vordergrund «Le repos des modèles», 1905. Foto: © Elisabeth Bühler

Vallotton malte seine Aktbilder in einer nüchtern-sachlichen Art. Die stets perfekt frisierten Modelle erscheinen mitunter in ungewöhnlicher Inszenierung, wie etwa die kartenspielende Nackte La réussite (1912) oder die liegende Figure nue couchée au bord de la mer (1905), die mit dem Wasser eins zu werden scheint. Die weiblichen Formen, die Falten, die Haltung, Licht und Schatten sind präzis beobachtet und erinnern mitunter an Landschaften. Seine Art zu malen weist Vallotton als Vorläufer der Neuen Sachlichkeit aus. Eine Kunstrichtung, zu der es in seinem Todesjahr 1925 in Mannheim erstmals eine grosse Ausstellung gab.

«La blanche et la noire», 1913, eines der berühmtesten Werke von Vallotton.

In Vallottons Malerei spielt die Farbe eine bedeutende Rolle wie etwa in La blanche et la noire. Vor einem monochrom türkisgrünen Bildhintergrund sitzt eine afrikanisch gekleidete schwarze Frau auf dem Bett, raucht eine Zigarette und schaut auf die weisse Liegende. Die afrikanische Gefährtin wirkt selbstbewusst und entspannt im Unterschied zu den Begleiterinnen einer Olympia (1863) von Eugène Manet oder L’Odalisque à l’esclave (1839) von Ingres, die an koloniale Zeiten erinnern. Mit La blanche et la noire inspiriert Vallotton noch heute zeitgenössische, auch afrikanische Kunstschaffende für eigene Interpretationen.

Museumsdirektor Konrad Bitterli kommentiert «Marée basse à Villerville», 1922, Privatsammlung Bern. Rechts: Marée montante, Houlgate, 1913, Kunstmuseum Solothurn. Foto: © Elisabeth Bühler

Félix Edouard Vallotton (1865-1925) entstammt einer alteingesessenen protestantischen Familie in Lausanne. Bereits mit siebzehn Jahren ging er nach Paris zur Kunstausbildung. Für den Lebensunterhalt schuf er für Zeitschriften zahlreiche Holzschnitte. Diese sorgten in den 1890er Jahren für Aufsehen wegen ihrer neuartigen Flächenaufteilung und ihren harten Schwarz-Weiss-Kontrasten. Eine umfangreiche Holzschnitt-Serie sowie weitere Gemälde sind in der nahe gelegenen Villa Flora ausgestellt. Ein Abstecher lohnt sich.

La Paresse, 1896, Holzschnitt 

1892 wurde Vallotton Mitglied der Künstlergruppe Nabis. Bald ging er jedoch seinen eigenen Weg. 1899 heiratete er Gabrielle Bernheim (1863-1932), Tochter des Pariser Kunsthändlers. Sie war reich und sicherte ihm ein ungebundenes Leben als Künstler. Als zeitkritischer Beobachter der Gesellschaft konnte er sich nun ganz der Malerei, aber auch der Literatur zuwenden. Er schrieb drei Romane und mehrere Theaterstücke sowie Essays. Mit dem Titel Illusions perdues nimmt die Ausstellung Bezug auf Honoré de Balzacs gleichnamiges Werk.

Blick in die Ausstellung. Foto: © Elisabeth Bühler

Die Winterthurer Schau zeigt Landschaften aus unterschiedlichen Schaffenszeiten, auch Stadtansichten sowie Stillleben. Sie zeichnen sich durch eine grossflächige Malweise aus, auch durch Schichtungen von Flächen, Spiegelungen und ungewöhnliche Perspektiven. Mitunter erinnern die Landschaften an japanische Holzschnitte.

Le champ fleuri, 1912

Auch wenn Vallotton in der Natur skizzierte, malte er seine Bilder stets im Atelier, verbunden mit seinem subjektiven Empfinden. Häufig setzte er Landschaften aus unterschiedlichen Ansichten zu sogenannten paysages composés zusammen. Seine Bildtitel entsprechen nicht immer eindeutig der Darstellung. So bezieht sich etwa Le champ fleuri auf die blühende Wiese im Vordergrund, ohne die Dramatik im Hintergrund, wo sich ein Gewitter mit dunklen Wolken bedrohlich ausbreitet und die Bäume sich im Sturm biegen.

Coucher de soleil, ciel orange, 1910

In Coucher de soleil, ciel orange scheint die Welt in Flammen aufzugehen. Hinter den dunklen Konturen des Waldes leuchtet eine orangegelbe Lichtquelle. Aus dieser richten sich die letzten Sonnenstrahlen wie aus einem Scheinwerfer gebündelt nach oben und tauchen den Himmel in intensiv orange-violettes Licht.

La grève blanche, Vasouy, 1913, Privatbesitz

Zahlreiche Landschaften komponierte der Künstler in ungewöhnlicher Perspektive. In La grève blanche, Vasouy fällt der Blick vom grünen Grasboden über eine steilabfallende tiefbraune Falaise hinunter auf den weissen Sandstrand, auf dem zwei kleine Figuren dem Meer entlangwandern. Vallottons Landschaftsbilder erscheinen mir wie Entdeckungsreisen in eine sich abstrahierende Welt voller Poesie.

Titelbild: Kurator David Schmidhauser erläutert das Gemälde «La réussite», 1912, Kunsthaus Zürich.

Fotos: © Elisabeth Bühler, Uster; KMW und Wikimedia Commons

Bis 7. September 2025
Félix Vallotton, Illusions perdues im Kunst Museum Winterthur am Stadtgarten und in der Villa Flora in Winterthur. Die Ausstellung ist Teil des 2025
/ Année Vallotton in Verbindung mit Anlässen weiterer kultureller Institutionen in der Schweiz.

Begleitbuch zur Ausstellung: Literarisches Kunstbuch mit verschiedenen Textbeiträgen und zahlreichen Abbildungen, Hrsg. Andrea Lutz & David Schmidhauser, Kunst Museum Winterthur, 2025. CHF 35.00

 

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