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Tour de France – tout plat?

Radwandern vom Genfersee bis zum Atlantik, meist auf guten Radwegen und fast ohne Anstiege: ein Erfahrungsbericht von zwei Ü70ern, Madame en vélo électrique et Monsieur en vélo traditionnel. 

An der Tour de France bewältigen die Fahrer nicht nur mehr als 3000 km, sondern auch über 50’000 Höhenmeter. Persönlich ist die Tour auch bescheidener möglich. Sie können sich eine Ferien-Radwanderung nicht nur kürzer, sondern auch viel flacher zusammenstellen.

Grosse Sonnenblumenfelder säumen den Weg

Auf meist gut ausgebauten Radwegen kann vom Genfersee fast ohne Anstiege bis zum Atlantik gefahren werden, als Genusstour mit oder ohne Elektrounterstützung. Die Strecken sind gut dokumentiert, in Radführern und online, inkl. GPX-Tracks. Frankreich ist durchzogen von einem grosszügigen Velowegnetz, mit für Familien gut fahrbaren Pistes cyclables, insbesondere entlang von Flüssen und Kanälen. Von Genf nach Biarritz gilt es nur am ersten Tag, ein paar kürzere Aufstiege zu bewältigen. Anschliessend verläuft die ViaRhôna flach, bis zum Mittelmeer, wo der Canal des deux mers à vélo beginnt. Dessen Scheitelpunkt liegt nur 190 m über Meer. Würde der Meeresspiegel um so viel ansteigen, wäre Spanien eine Insel! Von der spanischen Grenze bis in die Bretagne verläuft die Vélodyssée entlang der Atlantikküste praktisch flach, mit wenigen Ausnahmen in der Bretagne. Für Ambitioniertere gibt es unterwegs diverse Möglichkeiten für attraktive Aufstiege. Beispielsweise lockt im unteren Rhonetal, bei Bédoin, einem Mekka der Radszene, der Aufstieg durch die vielfältigen Vegetationszonen des Mont Ventoux.

Feldwege weisen meist einen sehr gut fahrbaren Belag aus (voies blanches et vertes).

Häufig sind die Radwege entlang der Kanäle und Flüsse durch Baumalleen gesäumt, mit mächtigen, Schatten spendenden Platanen. Wegen der aus Amerika eingeschleppten Pilzkrankheit werden diese Alleen heute dem Canal du Midi entlang mit EU-Unterstützung durch Neupflanzungen von Eichen, Linden, Ahorn und Pinien ergänzt.

Cafés gourmands waren während der Reise für den Autor regelmässige Genuss- und Energiespender.

Die meisten Radwege sind als Voies vertes vom Autoverkehr abgetrennt oder verlaufen auf wenig befahrenen Strassen. Feld- und Kieswege sind gut fahrbar, mehrheitlich haben die Radwege jedoch asphaltierten Belag. Am Canal du Midi gibt es einige schmale Stellen, welche für Zweirad-Anhänger und schmale Pneus von Rennvelos ungeeignet sind. Die Radwege und Strassen werden meist gut unterhalten und die Strassenreinigung ist in den Städten früh unterwegs. Trotzdem, Fahrradfahrer riskieren überall einen Pneu crevé. Beispielsweise dürfte es sinnvoll sein, am Morgen nach dem traditionellen fête de musique, jeweils am 21. Juni, oder auch am Nationalfeiertag, dem 14. Juillet, etwas später zu starten.

Der Canale du Midi überwindet die 190 m Höhendifferenz bis zur kontinentalen Wasserscheide mit 63 Schleusen.

Auch wenn die Beschilderung der Strecken meist gut ist, Irr- und Suchwege lassen sich ohne Navigationsgerät kaum vermeiden. – Wer hätte erahnt, dass, weniger als 70 Jahre nach der Erdumrundung des ersten Sputniks, Weltraumtechnologie auch Radwanderern die Wegfindung erleichtern würde. Hilfreich sind Navigations-Applikationen auf einem Smartphone, das auf dem Lenker fixiert ist. Bei Regenwetter ist allerdings die Bedienung des Touchdisplays erschwert. Mit der App Komoot haben wir in Frankreich gute Erfahrungen gemacht, jedoch nicht auf der Strecke von der Grenze bis nach San Sebastian.

Freude herrscht beim Erreichen des Leuchtturms von Biarritz. 

Grosse Resonanz erzielte das 1974 erschienene Buch Zen and the Art of Motorcycle Maintenance von R.M. Pirsig. Auch ohne Motor lässt sich auf zwei Rädern reflektieren, zu Selbsterfahrungen und dem fortlaufenden Prozess der Erkenntnis. Je nach Vorbereitung einer Mehrtagestour kann dies einzelne Körperstellen betreffen oder allfällige Fortschritte bei der Perfektion des runden Tritts. Zumindest eine tiefenentspannte Erfahrung dürften alle Bike Packers beim Einkaufsbummel machen: Aufgrund der limitierten Transportkapazität sind Souvenirkäufe tabu, es kommen einzig Ersatzbeschaffungen in Frage.

Entlang dem Ufer der Seine bestehen abgetrennte Fahrwege für Velos. 

Noch ausbaufähig sind Angebote zum Velotransport in der Eisenbahn. Auf vielen TGV-Linien und in den langsameren TER-Zügen sind einige wenige Velostellplätze verfügbar, die reserviert werden müssen. Die Schlussetappe der Tour de France findet traditionell in Paris statt. Auch Zugsrückfahrten führen aufgrund der zentralen Topologie des französischen Streckennetzes oft über verschiedene Bahnhöfe der Hauptstadt. Die Bürgermeisterin Anne Hidalgo arbeitet seit einem Jahrzehnt daran, die Fahrradfreundlichkeit von Paris zu verbessern, analog zu beachtlichen Aktivitäten vieler französischer Städte. Velos werden mehr Verkehrsflächen zugestanden, teilweise mit Radstreifen, abgegrenzt von den übrigen Verkehrsteilnehmern, oder als breite Fahrspur exklusiv für ÖV und Velo. Zusammen mit den zahlreichen Mietvelostationen ist heute Paris für den Veloverkehr attraktiver geworden. Der dichte Verkehr, ergänzt mit mehr Fahrrädern und oft überraschend schnell fahrenden eTrottinettes, kann weiterhin zu Situationen führen, die grosse Aufmerksamkeit verlangen, nicht zu vergleichen mit entspanntem Radeln auf wenig befahren Routen entlang der Wasserwege.

Aquädukt des Canal des deux Mers in Agen zur Überquerung der Garonne.

Auf der Rückreise im Zug blieb Zeit für einen Rückblick. Waren die Bedenken bei der Planung gerechtfertigt gewesen? Würden wir schon nach wenigen Tagen grossartig scheitern, wegen malträtierten heiklen Körperstellen, mangels Übernachtungsmöglichkeiten, entkräftet als Vegetarier in der fleischlastigen französischen Küche oder tomber en panne und orientierungslos gestrandet – eventuell wegen ungenügenden Leistungen im Frühfranzösischunterricht?

Non, on se débrouille. Periodische Ruhetage an touristisch attraktiven Orten haben Körper und Geist erfreut, die Übernachtungen haben sich jeweils problemlos für den Folgetag organisieren lassen (zumindest ausserhalb der Hauptsaison, die am 14. Juli beginnt), die traditionellen 3-Gang-Mittagsmenues sind vielfältig gewesen und die Morgenessen in den Unterkünften haben Velofahrenden meist eine sehr gute Tagesgrundlage abgegeben.

Der nächste Sommer kommt bestimmt, inkl. der klassischen Tour de France. Noch vor der Ankunft zuhause sind Gedanken für die nächste private Tour de France aufgekommen.

Die am Atlantik im Vergleich zum Mittelmeer viel grösseren Gezeitenunterschiede und die für die Surfer attraktive starke Brandung haben uns beeindruckt.


Strommangellage

Navigationsapplikationen zehren an der Batterie von Smartphones. Der Stromverbrauch lässt sich durch Wahl des Stromsparmodus, dem Beenden aller während der Fahrt nicht benötigten Applikationen, dem vorgängigen Herunterladen der Strecke und den Verzicht auf Aufzeichnung der Fahrt reduzieren. Powerbanks finden in einer kleinen Lenkertasche Platz, um damit während der Fahrt das Smartphone zu laden. Dort lassen sich auch Papiertücher unterbringen, um regennasse Displays für die kontaktsensitive Funktionalität zu trocknen.


Oleander gedeihen au Sud prächtiger als zuhause.

Für Übernachtungsplätze mussten wir nie improvisieren.

Literatur

– ViaRhôna: Rhone-Radweg vom Genfer See ans Mittelmeer. Esterbauer Verlag
– Canal des 2 Mers à Vélo: De l’Atlantique à la Méditerrannée. Guide du Routard
– La Vélodyssée: L’Atlantique à Vélo, de Roscoff à Hendaye. Guide du Routard

Titelbild: Die Route führt über unzählige Brücken. Fotos: Jürg und Kathrin Blaser

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