Die Age-Stiftung veröffentlicht alle fünf Jahre einen Age Report. Age Report III wurde in den Kaufleuten Zürich und in der Bibliothek Pro Senectute Schweiz vorgestellt.
Verglichen werden die Daten von 2003 bis 2013. Herzstück des Berichts bildet eine Umfrage über das Wohnen im Alter unter 1248 Menschen im Alter von 60 und mehr Jahren. Mit jedem von ihnen wurde ein persönliches Interview von einer halben Stunde geführt. Der Report schafft eine Arbeits- und Wissengrundlage für eine Wohnbaupolitik, die sich nach den Bedürfnissen einer Generation mit neuen Ansprüchen richten soll.
Age-Report III als Nachschlagewerk
Der Age Report III informiert in drei Teilen über aktuelle Daten im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen, über privates Wohnen im Alter und schliesst ab mit zehn Thesen. Der Bericht ist ein gut strukturierter und leserfreundlich gestalteter Almanach. Er eignet sich als Nachschlagewerk, als Diskussionsgrundlage, zur Inspiration bei der Entwicklung neuer Ideen und als Planungshilfe. Für die Age-Stiftung bildet er eine Entscheidungsgrundlage zur Unterstützung und Förderung von Einzelprojekten.
Die Wünsche der Babyboomer sind konservativ
Soziologe und Gerontologe Professor François Höpflinger interpretiert als Autor die Statistik. 80 Info-Grafiken veranschaulichen, wie sich das Alter in den letzten zehn Jahren verändert hat. Die Generation der Babyboomer wolle alles haben, glossiert er. Die Wünsche sind konservativ: eine eigene günstige Wohnung, das vertraute soziale Netz, die zentrale, ruhige Lage in lebhafter Umgebung, mit Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen, usw. Es scheint ihm, dass die Befragten die positiven Bilder des gesunden Alterns zu stark gewertet und die Fragilität des Alterns übersprungen haben.
Intimität und soziale Beziehungen sind wichtig
Die Zahl der Ein- oder Zweipersonenhaushalte hat zugenommen, ohne die sozialen Beziehungen alleinstehender Menschen zu beeinträchtigen. Die Alten schätzen Intimität und Gemütlichkeit ihrer Wohnung und verlegen Aktivitäten nach draussen. Eine soziale Einbettung in Nachbarschaft und Quartier wird höher gewertet als der behindertengerechte Ausbau der Wohnung, das Internet lieber genutzt als das unbeliebte Notrufsystem.
Die Leute wollen im Alter in der eigenen Wohnung bleiben und nur bei ausgeprägtem Hilfe- und Pflegebedarf in ein Heim wechseln. Gemeinschaftliches Wohnen im Alter wird kritisch beurteilt, kann für Alleinstehende in Betracht kommen, wenn die Intimität der eigenen Wohnung gewährleistet und ein geeignetes Objekt gefunden wird. Die Mehrheit der Alten möchten altersgemischt in Mehrgenerationenhäusern leben.
In Unkenntnis realer Gegebenheiten (1) leitet sich das Prinzip “Zu Hause alt werden” (2) aus finanz- und gesundheitspolitischen Positionen und Erfahrungen des autonomen Lebensvollzugs (3) ab. Alterswohnpolitik wird so in ideologisch geprägte Formen gepresst (4).
Mehrgenerationenhäuser statt Seniorenresidenzen
Die Seniorenresidenzen haben die Sympathie der Wohlhabenden verloren, werden nicht mehr für gehobenes, nur noch für betreutes Wohnen geschätzt. 22 % der Befragten beurteilen ihre Wohnung als zu gross, doch fehlen Alternativen für eine günstigere Alterswohnung. Einige haben sich mit dem Kauf einer teuren Eigentumswohnung überfordert, und es fehlen ihnen finanzielle Reserven nur schon für das Depot in einem Pflegeheim und für die Zahnarztrechnung.
„Ageing in Place“ als „Mainstream“
Das „Ageing in Place“ werde heute in den Altersleitbildern aller Gemeinden aufgenommen, in der Annahme, zu Hause alt werden sei für die Gemeinde eine kostengünstige Lösung, es müssten keine Heime mehr gebaut werden. Alte Menschen werden auch in der eigenen Wohnung Pflege und Betreuung brauchen, die nicht nur über die Solidarität in der Nachbarschaft gewährleistet werden kann. In der Schweiz klafft eine Lücke in der Finanzierung von Betreuungskosten in Privathaushalten, sie werden von den Krankenkassen nicht übernommen.
Die Solidarität in Quartieren muss erst noch gefördert und organisiert werden. Sowohl die Hauseigentümer, als auch die Gemeinde und die lokalen Pflegeorganisationen werden sich an einen Tisch setzen und gemeinsam nach Lösungen suchen müssen. Städte wie Zürich und Basel sind heute mit Dienstleistungen für das Altern zu Hause besser ausgerüstet als die Gemeinden in der Agglomeration. Dörfer werden in Schwierigkeiten kommen, wenn ganze Quartiere gemeinsam alt werden.
Zwischen gebauten, natürlichen und sozialen Elementen (1) bestehende wandelbare Beziehungen. Aus diesem Beziehungsgeflecht entsteht Nachbarschaft (3). Gelegenheiten zu Beziehungsbildern (2) mobilisieren deren Potenziale und Qualtitäten.
Keine Vorschriften erlassen für das Wohnen im Alter
Die Wünsche der älteren Bevölkerung müssen ernst genommen werden, betont Co-Autor Joris Van Wezemael, Wirtschaftsgeograf und Architektursoziologe. Alte dürfen nicht wie Kinder in Vorschriften gezwängt werden. Die Diskussion über das Wohnen muss nicht nur auf der finanzpolitischen. sondern auch auf der humanistischen Ebene geführt werden.
Teil 2 des Age Reports, der Bericht über privates Wohnen mit Beiträgen zur Themenvertiefung ist ein Gemeinschaftswerk von acht Fachleuten mit Blick auf die Entscheidungsfindung von Alleinstehenden, auf die professionelle Pflege, die räumliche Entwicklung und Umzugsbereitschaft, auf Neuwohnungsbau und alterspolitische Netzwerke.
Die Alterswohnungen von morgen sind gebaut
Für ein „Ageing in Place“ erscheinen die Wünsche an Gebäude unspektakulär, wenig attraktiv für Investoren, denn die Alterswohnungen von morgen sind schon gebaut. Der Wunsch nach dem privaten Wohnen im Alter zwingt den Blick auf die Umgebung, auf die Nachbarschaft, auf die Netzwerke und die Beziehungen unter den Menschen. Dienstleistungen müssen neu geschaffen, die gelebte Solidarität gefördert werden. Fachleute werden neu gefordert, auch Hauswarte oder Hauswartinnen, die Hilfe leisten können, und der Postbote, der wieder an der Wohnungstüre klingeln sollte.
Neu zu überdenken ist, wie und weshalb Wohnungen saniert werden sollen, damit die alten Leute darin bleiben können. Sanfte Sanierungen mit behindertenfreundlichen Anpassungen könnten sich durchsetzen, denn die Kosten für Totalsanierungen können bei steigenden Kapitalzinsen kaum mehr über den Mietzins finanziert werden. Wichtig ist die Zusammenarbeit von Hauseigentümern und Gemeinden.
Der Age Report III zeigt, dass sich Aufgaben für das Wohnen im Alter auf eine neue Handlungsebene verlagern. Nicht mehr einzelne Wohnobjekte stehen im Zentrum. Es ist die “Software”, die bearbeitet werden muss; Quartiere und Netzwerke, die Stärkung von Solidarität und Mitverantwortung in der Gesellschaft rücken in den Vordergrund.
Das Buch:
Wohnen im höheren Lebensalter
Grundlagen und Trends. Age Report III
François Höpflinger, Joris Van Wezemael (Hrsg.)
2014, 260 Seiten
ISBN 978-3-03777-143-3
SFr. 38.—/Euro 29.—
Seismo Verlag
Bilder und Grafik: Age-Report III
“Socius – wenn Älterwerden Hilfe braucht”Förderprogramm der Age Stiftung für bedürfnisorientierte Unterstützungssysteme in Gemeinden und Regionen