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Die Schweiz hat gewählt

Ganz anders als erwartet.

Noch am Freitag, in ganz illustrer Runde, wagte ich eine Prognose, an der ich selbst vor Ort erschrak: 64 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger würden die Ecopop-Initiative bachab schicken. Mitleidig wurde ich angelächelt: „So viel Optimismus auf einmal kann nur ein naiver Optimist verbreiten“, meinte einer meiner Wegbegleiter. Ich war mir reuig, dass ich mich in dieser Runde so sehr aus dem Fenster gelehnt hatte. Nun halt, dachte ich, so ist dein Ruf als sogenannter Politexperte spätestens jetzt ruiniert. Und doch: Ich zweifelte nicht am Schweizer Stimmvolk.

Ich erinnerte mich: Wie war es 1970, als es um die Schwarzenbach-Initiative ging, als das Schweizer Stimmvolk ganz vernünftig abstimmte. Damals waren es 54 Prozent, die Nein zum Begehren des Zürcher Überfremdungsgegners und Nationalrats James Schwarzenbach sagten, der die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung auf 10 Prozent limitieren wollte.

Die Stimmung erschien mir heute wie damals recht angespannt. Als Journalisten legten wir uns ins Zeug, liessen beispielsweise in der damaligen Basler „National-Zeitung“ nichts zu, das ein Ja nur im Ansatz hätte begünstigen können. Wir porträtierten ausländische Arbeitnehmer, die uns den Wohlstand mit ermöglichten, wir zeigten Szenarien auf, was ein Ja bedeuten könnte. James Schwarzenbach und seine Initiative liessen wir links liegen.

Und jetzt? Am Sonntag, als schon um 14 Uhr klar war, was das Schweizer Stimmvolk von der Initiative hielt, war ich derart überrascht, dass ich die Hochrechnung zuerst gar nicht wahrnehmen wollte. Das kann doch nicht sein! Beinahe 75 Prozent Nein-Stimmen? Wie konnten die Umfragen im Vorfeld der Abstimmung so daneben liegen? Was ist passiert? Warum auf einmal so viel Vernunft?

Die Initianten hatten schnell eine Antwort parat: „Die Abstimmungskampagne war derart mit Geld gepflastert, dass sie schlicht keine Chancen hatten.“ Dabei waren sie sich so sicher, dass das Schweizer Stimmvolk von ihren Argumenten zu überzeugen sei. Zweifel waren keine angebracht. Sie hofften, dass die Stimmung, die bei der SVP-Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar in diesem Jahr zum Ausdruck kam, nur verstärkt werden müsste. Sie übersahen, dass es ein Zufallsmehr war, das damals den Ausschlag gab; es waren nur 19’000 Stimmen, die ein Ja bewirkten. Und solch knappe Entscheide sind in der Schweizer direkten Demokratie nie von langer Dauer. Ob man das will oder nicht.

Mit dem klaren Verdikt von Sonntag ist eines klar: Wir müssen unser Verhältnis zu Europa eh neu klären. Und wir können dies jetzt weit entspannter tun. Die europäischen Staaten, wie Grossbritannien, Deutschland und die nordischen Staaten sind, genau so wir, von der Zuwanderung, vom zunehmenden Flüchtlingsstrom belastet. Wir können Verbündete finden, wenn wir weit entspannter an die Frage der Einwanderung herangehen werden. Wir können mit diesen Staaten gemeinsam die Freizügigkeit neu definieren, neu miteinander aushandeln.

Das Schweizer Stimmvolk will keine Experimente, es will eine gesteuerte Einwanderung im vernünftigen Rahmen. Das will die EU schliesslich auch.

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