Karin Henkel inszeniert am Zürcher Schauspielhaus den Mörder-Krimi „Roberto Zucco“ von Bernard-Marie Koltès.
„Roberto Zucco“ ist das letzte Theaterstück des französischen Dramatikers Bernard-Marie Koltès, der 1989, gerade 41 Jahre alt, an Aids starb. Die Geschichte der Hauptfigur basiert auf einem realen Kriminalfall um den italienischen Gewaltverbrecher Roberto Zucco Ende der 1980er-Jahre. Zucco ist ein mehrfacher Mörder. Nachdem er seinen Vater aus dem Fenster geworfen hat, steckt man ihn ins Gefängnis. Er flieht, besucht seine Mutter und drückt sie zu Tode. Wie im Vorbeigehen vergewaltigt er anschliessend ein Mädchen, ersticht einen Polizeiinspektor, kidnappt eine Frau und erschiesst deren Sohn.
Ein Mörder ohne Motiv
Das Irritierende an Koltès Geschichte ist, dass Zucco scheinbar ohne Motiv mordet. Er ist ein Aussenseiter, einer, der weder Werte noch Moral kennt und sich dadurch keiner Schuld bewusst wird. Offen bleibt die Frage nach den Ursachen für Zuccos menschliches Scheitern. Die Szenen drehen sich um eine unbegreifliche Figur, die trotz aller Grausamkeit widersprüchliche Empfindungen weckt, zumal Koltès den Mörder mit mythischen Bezügen durchsetzt.
«Herr, erbarme dich»: Lena Schwarz, Lisa-Katrina Mayer (vorne), Alexander Maria Schmidt, Jean Chaize, Friederike Wagner (hinten). (Bilder: Matthias Horn)
Karin Henkels Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus gleicht einem Wechselspiel von Wirklichkeit und Traum, Tatsache und Halluzination. Zu Beginn sitzen die Darsteller, die sich die Rollen der zwei Gefängniswärter teilen, im Parkett vor einer dunklen Bühne und vollführen ein sinnloses Frage- und Antwort-Geplauder: „Hast du was gehört? – Nein, nichts. – Du hörst nie was. – Hast du denn was gehört? – Nein, aber ich habe den Eindruck, etwas zu hören.“ Derweil flieht Roberto Zucco, mehrfach kurz angeleuchtet, aus dem „ausbruchssicheren“ Gefängnis.
Ein Spiel mit Vor- und Rücklauf
Die Bühne stellt eine heruntergekommene Industriehalle mit Fahndungspostern beklebten Wänden dar. Gespielt wird die ganze Mordserie im Vor- und Rücklauf auf einer Drehbühne, bestückt mit Badewanne, Bett, Tisch und Grab (Bühnenbild: Stéphane Laimé). Karin Henkel erzählt die Geschichte nicht chronologisch, sie dröselt sie auf in verschiedene Spielszenen, die nur bedingt Auskunft über die Taten von Roberto Zucco geben. Anfänglich gibt’s den Mörder nur als flüsternde Stimme aus dem Off, während die übrigen Darsteller mit Ausflügen ins Kabarettistische auf rotierendem Untergrund ein Panoptikum einer verunsicherten, orientierungslosen Gesellschaft liefern. Immer wieder versammeln sie sich mit Trauerschleier vor dem Grab, wenn ein Begräbnis fällig ist, tönt „Kyrie eleison“ aus Bachs h-Moll-Messe aus den Boxen. Der Titelheld ist kein Monster, sondern eine unscheinbare Gestalt von beinah engelhafter Unschuld, die mit unerwarteter Plötzlichkeit zuschlägt.
Die Regisseurin verzichtet auf die dem Stück innewohnenden Pathos einer mythologischen Figur, die Abscheu und Bewunderung gleichermassen anzieht. Vielmehr unterzieht sie das ins Irreale entschwebende Stück zurückhaltender Analyse, fokussiert sich auf die Figuren, die den Killer umgeben, ihren Geschichten, ihren Ängsten und Widersprüchlichkeiten. Stellvertretend dafür steht der Inspektor, der die Tathergänge vor- und rückwärts analysiert, aber das wahre Übel nicht zu konkretisieren vermag. Just hier liegt die Stärke der Inszenierung. Geboten wird ein Krimi zwischen Spannung und Banalität, eine Posse vom grossen Aussenseiter, der unfassbar bleibt. Hie und da will es scheinen, dass nicht der Verbrecher pervers ist, sondern die Gesellschaft, in der er lebt.
Verdienter Applaus für die Spieler
Alle Schauspieler agieren grandios. Das gilt vorab für Lena Schwarz, die gleich mehrere Rollen als Zuccos tragische Mutter, die mit dem Schicksal hadert, als Luxusdame, die nichts unversucht lässt, ihren Sohn zu retten, und als Geisel mitgenommen wird, als Patronne und Nutte mit Bravour bewältigt. Gleiches gilt für Lisa-Katrina Mayer als naives Mädchen, die von Zucco entjungfert und von ihrem Macho-Bruder (Alexander Maria Schmidt) als Hure verhökert wird, und für Fritz Fenne als zweifelnder Inspektor, der mit der gesellschaftlichen Gewalt seine Not hat. Bleibt noch Jirka Zett, der mit seinen blauen Augen und blonden Haaren einen sanften und blassen Mörder Zucco gibt, der unauffällig, aber kontrolliert ohne Moral und Motiv mordet. Geboten wird insgesamt eine starke schauspielerische Leistung mit komödiantischen Einschüben, die am Premierenabend verdienten Applaus erhielt.
Weitere Spieldaten: 21., 22., 23., 24., 27., 30., 31. Januar, 2., 7., 10., 13., 17., 26. und 27. Februar, je 20 Uhr; 15. Februar, 15 Uhr.