…und leidet an der Schweizer Bürokratie.
Liechtenstein wird seit Jahrzehnten stramm bürgerlich regiert. Meistens teilen sich die bürgerlichen Parteien in der Machtausübung. Einmal ist es die Vaterländische Union, die Roten, mal die Fortschrittliche Bürgerpartei, die Schwarzen, die den Regierungschef stellen, weil sie bei den Wahlen mehr Stimmen als ihre Konkurrentin erzielten.
Ganz selten gibt es eine Einparteienregierung. Anfang der 2000 Jahre, genau im April 2001, war es die Fortschrittliche Bürgerpartei, die allein die 5-köpfige Regierungsmannschaft stellte. Die Vaterländische Union war überraschend leicht abgestraft worden und schmollte, weil der beliebte Otmar Hasler von den Fortschrittlichen bei den Wahlen so gut abgeschnitten hatte.
Die „Weissen“, wie die Vertreter der grün-alternativen „Freien Liste“ im Volksmund genannt werden, spielten in den vergangenen Jahren eine kleine Nebenrolle. Verändert hat sich dies bei den letzten Wahlen, als die erstmals antretenden „Die Unabhängigen“ auf Anhieb 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten und mit vier Vertretern in den 25-köpfigen Landrat einzogen. Erstmals kam deutlich zum Ausdruck, dass die quasi vererbten Bindungen der Familien an eine der bürgerlichen Parteien sich zu lockern beginnen.
In meiner Beratertätigkeit bei der Regierung versuchte ich mich in diesem bürgerlichen Parteiengeflecht zurechtzufinden. Mit der Zeit spürte ich, dass die Fortschrittliche Bürgerpartei sich in Nuancen eher nach Österreich orientiert, fürstentreuer ist, aber auch sozialer, dass die Vaterländische Union eher zur Schweiz neigt, fürstenhausdistanzierter, aber auch wirtschaftsfreundlicher ist als ihre Konkurrentin. Die Weissen, eben die Grünen, waren weit klarer zu positionieren, sie setzen und setzen sich für die Umwelt ein und kämpften und kämpfen weit stärker als die Bürgerlichen für ein verbessertes Image des Landes in der Welt. Die neue Kräfte, die Unabhängigen, mitten sich ein. Sie wollen vor allem die traditionellen Bindungen lockern, weltoffener agieren.
Weit schneller als die Schweiz ordnete sich der Finanzplatz Liechtenstein durch Initiativen der Regierung und des Fürsten den Standards der OECD unter und verhinderte so den Eintrag in die Schwarze Liste der berüchtigten Steueroasen. Bei den Verhandlungen mit der EU über den EWR gelang es der Regierung, eine Beschränkung der Einwanderung in den Vertrag aufzunehmen. Liechtenstein hat in einer Volksabstimmung dem Beitritt in den EWR im Gegensatz zur Schweiz zugestimmt und ist mit dem Vertrag sehr gut gefahren. Eine Europa-Diskussion gibt es in Liechtenstein nicht. Die Frage ist im Gegensatz zur Schweiz geklärt. Ein EU-Beitritt ist nicht nötig, der freie Marktzutritt in das Euro-Land ist gesichert.
Auch in der Vorsorge ist Liechtenstein der Schweiz weit überlegen. Ihre Sozialwerke sind solide finanziert, auch wenn sie sich stark an das Dreisäulenprinzip der Schweiz anlehnen. Bei der ersten Säule, der AHV, wird gar eine 13. Rente, ein sogenanntes Weihnachtsgeld ausbezahlt, das sich in der Höhe an der letzten Rentenauszahlung orientiert. Und weil sich am Horizont eher düstere Wolken in der Finanzierung ankündigen, haben Regierung und Parlament eine Revision an die Hand genommen, die schon in weniger als zwei Jahren umgesetzt sein soll.
Schon in den 80er Jahren hatte der Gesetzgeber in Liechtenstein auf gesetzliche Festlegung des Umwandlungssatzes und auf eine Festlegung des Minimalzinssatzes wohlweisslich verzichtet. Dies überlässt der Gesetzgeber den einzelnen Pensionskassen, die mit Ausnahme der staatlichen Kasse alle sehr gut aufgestellt sind.
Die Gesetzesrevision ist ambitionierter als alle in den letzten 20 Jahren in der Schweiz versuchten Revisionen. Das Eintrittsalter wird auf 19 Jahre gesenkt. Die Spareinlagen werden deutlich erhöht, so dass mit einem doppelt so hohen Rentenniveau gerechnet werden kann.
Sorgen bereitet den Liechtensteinern lediglich die Bürokratie des Schweizerischen BVG-Sicherheitsfonds, der im Insolvenzfall die Vorsorgegelder absichert. Liechtenstein ist dem Fonds im Jahre 2009 beigetreten, weil es als kleines Land in dieser Frage überfordert wäre. Im Gegenzug musste das Land schweizerische Gesetzesbestimmungen übernehmen, was nun die durchdachte Gesetzesrevision belastet.
Bundesrat Berset will sein Projekt „Vorsorge 2020“, die eigentliche 11. AHV-Revision, bis in fünf Jahren endlich umgesetzt haben. Bis dann werden die Liechtensteiner ihre aktuelle Revision wohl bereits wieder den dannzumal aktuellen Gegebenheiten angepasst haben. Ein Blick über die Grenzen nach Liechtenstein würde sich also lohnen, vor allem für die Parlamentarier, die sich schwer tun mit dem Projekt Berset.