StartseiteMagazinGesellschaftMenschenwürde braucht Gerechtigkeit

Menschenwürde braucht Gerechtigkeit

Der Preis der TERTIANUM-Stiftung 2015 wird Carla Del Ponte für ihr langjähriges, kraftvolles und mutiges Engagement für Opfer von Kriegen und Verbrechen verliehen.

Eine unerschrockene und hartnäckige Kämpferin für die Rechte der Opfer, Carla Del Ponte, Bundesanwältin, Chefanklägerin am Haager Kriegsgerichtstribunal und Sonderbeauftragte des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte erhält den Preis für Menschenwürde, den die TERTIANUM-Stiftung dieses Jahr zum 10. Mal verleiht.

Die Preisträgerin zusammen mit Helmut Bachmaier

Leben und Arbeit von Carla Del Ponte sind geprägt von ihrem Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, für die Einhaltung der Menschenrechte und von ihrem Kampf für die allseitige Anerkennung der Menschenrechte. Das fundamentale Verständnis von Menschenwürde, aufgrund dessen das Komitee zur Preisverleihung entschied, erläuterte Prof. Dr. phil. Helmut Bachmaier, Stiftungsrat der TERTIANUM-Stiftung, in seinen Ausführungen.

Menschenwürde als Wert liegt in der Existenz des Menschen begründet. Jedem Menschen gebührt diese Würde. Der Staat als Organisation wacht über die Einhaltung. Er hat nur insoweit das Recht zu intervenieren, als die Menschenwürde nicht verletzt wird. Die in letzter Zeit viel diskutierte Meinungsfreiheit, sei es als Pressefreiheit oder als Religionsfreiheit, gehört zu diesen unantastbaren Komponenten der Menschenwürde. Der Mensch, der im Zusammenleben auf Kommunikation angewiesen ist, muss die Freiheit haben, seine Meinung zu äussern, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO Art. 19 niedergelegt ist.

Die TERTIANUM-Stiftung stützt sich insbesondere auf die Grundsätze: Menschenwürde ist jedem Menschen gleichursprünglich mit seiner Existenz gegeben. Sie gilt über den Tod hinaus. Menschenwürde wird dem Menschen in die Wiege gelegt, nicht verliehen, sie kann ihm nicht abgesprochen werden. Sie ist unverfügbar und nicht aufteilbar. Die Schweizer Verfassung hält dies in Artikel 7 fest.

Menschenwürde als normatives Konzept der Zivilgesellschaft

Helmut Bachmaier führt den massgeblichen Text von Pico della Mirandola (1496) an, in dem es heisst, dass der Mensch aufgefordert sei, dem Leben eine eigene Gestalt – eine Form – zu geben. Es sei ihm gegeben, in Freiheit entscheiden zu können, wie er leben wolle. Darin liege die Ursache für Glück. Weitere wichtige Aspekte sind bei Samuel von Pufendorf zu finden, dem Vater der Bürgerrechte, wie Bachmaier den Mitgestalter der Verfassung von Virginia nennt. Die Menschenwürde fordert zwingend, allen Menschen – Frauen und Männer – seien die gleichen Rechte zuzugestehen. Für Immanuel Kant ist Menschenwürde ein absoluter Wert. Der Mensch gibt sich als autonomes Wesen seine Gesetze selbst. Mit seiner Würde als Mensch steht er damit aber auch in der Verantwortung, moralisch und vernünftig zu handeln. Die TERTIANUM-Stiftung betont, dass der Mensch seine Würde nie verliert. Eine Person hat Rechte und Pflichten sich selbst und der Gemeinschaft gegenüber, aber auch bei einer Bestrafung muss die Würde des Menschen gewahrt bleiben. Der in Berlin lehrende Berner Philosoph Peter Bieri sieht als unabdingbaren Bestandteil der Menschenwürde, dass niemand gedemütigt bzw. blossgestellt werden darf.

Angela Winkelmann, Präsidentin der TERTIANUM-Stiftung, würdigte die Preisträgerin als vorbildlich in ihrem Einsatz für Recht und Gerechtigkeit insbesondere zum Schutz der Opfer. Schon früh als Staatsanwältin im Tessin scheute sie kein Risiko. Sie arbeitete mit Giovanni Falcone zusammen im Kampf gegen die Mafia und liess sich darin auch nach dem Mord am italienischen Untersuchungsrichter nicht beirren. 1998 veröffentlichte sie Unterlagen, die belegten, dass im Kosovo und anderswo Organhandel betrieben wurde. Erst Jahre später erhielt sie von Dick Marty – ebenfalls Preisträger der TERTIANUM-Stiftung – die offizielle Bestätigung ihrer Recherchen. Seit 2011 arbeitet sie als Sonderbeauftragte des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Syrien und hat dort den Einsatz von Giftgas untersucht.

Ihr Glaube an die Grundrechte und an die Unverfügbarkeit der Menschenwürde hat Carla Del Ponte motiviert, nie von ihrem Ziel abzuweichen, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dabei musste sie sich mit vielen Gegnern auseinandersetzen, die ihr oft genug ‹muri di gomma› entgegensetzten. Sie liess sich nie verbiegen oder beeinflussen, wusste aber mit Geschick in politischen Verhandlungen einen langen Atem zu bewahren, um die verantwortlichen Drahtzieher, nicht die Handlanger, vor Gericht zu ziehen. Dafür brauchte sie Mut, eine klare Sprache und einen unabhängigen Geist, der sich dem Altar der Tagespolitik nicht unterwarf. Von Gegnern wurde Del Ponte zuweilen als ‹Quälgeist› bezeichnet – dem Schutze der Gequälten, der Opfer, widmete sie stets ihr Engagement.

Für die Würdigung ihrer Tätigkeit ist die Preisträgerin sehr dankbar, denn gerade bei der aktuellen Weltlage findet Menschenwürde oft nicht die angemessene Achtung. «Wir hatten gemeint», sagt sie,
«wir hätten einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung getan, und sehen nun in Syrien in seinem
5. Kriegsjahr, dass trotz unserer halbjährlichen Berichte nichts geschieht.»
  Die Arbeit ihrer Gruppe scheine zur Zeit nur eine Alibi-Übung zu sein, man lobe sie für ihre offenen Worte vor dem Sicherheitsrat, aber die politischen Entscheidungen folgten anderen Zielen. Als Optimistin verliere sie trotzdem die Hoffnung nicht, sagte Del Ponte.

Die Preissumme von CHF 10’000.- wird Carla Del Ponte für syrische Flüchtlingskinder einsetzen, die in unerträglichen Verhältnissen in der Bekaa-Ebene im Libanon nahe der syrischen Grenze leben. Die Freude der Kinder sei auch ihre grösste Freude.

Für den angenehmen Rahmen des Abends sorgte der bekannte Fernsehmoderator Franz Fischlin. Er scheute sich nicht, durch intensive Fragen neue Facetten seiner Gesprächspartner hervorzuholen. Einen besonderen Hörgenuss boten vier Musikerinnen und Musiker des Zürcher Kammerorchesters, die Wolfgang Amadeus Mozarts Dissonanzenquartett hinreissend und zugleich einfühlsam interpretierten.

Fotos: © TERTIANUM-Stiftung

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