Dieser Grundbegriff ist als «Homo-Mensura-Satz» in die europäische Geistesgeschichte eingegangen. „Omnium rerum homo mensura est“. Der Mensch ist das Mass aller Dinge.
Ein Grieche, Protagoras, soll den Satz ersonnen und formuliert haben, viel mehr aber weiss man nicht von ihm. Man nimmt an, er sei um 490 – 485 v. Chr. geboren und hätte Platon ihn nicht erwähnt, wüsste man nicht, dass er je gelebt hat.
Und weiter: Hätte der Theologe Thomas von Aquin seine Lehre, die bis heute als <summa theologiae> in der katholischen Theologie verbindlich geblieben ist, nicht auf jenen <Homo-Mensura-Satz> aufgebaut, wäre auch dieser in Vergessenheit geraten.
So ist der Grieche auch zum Vorläufer der Aufklärung im 18. Jahrhundert geworden. Die allgemeine Interpretation ergibt, dass einzig der Mensch das Mass aller Dinge ist. Das heisst, dass „alle Dinge nur so sind, wie sie dem Menschen erscheinen“.
Immanuel Kant ermittelte und vermittelte die Anthropologie als Lebensphilosophie, jenseits der Metaphysik. „Der autonome Mensch, charakterisiert durch Vernunft“, ist dazu bestimmt, sich in der Gesellschaft zu kultivieren und zu moralisieren.
Es ist hier nicht möglich, den Prozess mit der philosophisch-theologischen Begründung der Mittelpunktstellung des Menschen, Hominisierung genannt, darzustellen.
Carl Amery beschreibt die Folgen: „Von da an war der Mensch alles, alles andere nichts.“ Unnachsichtig erklärte sich der Mensch zum zweithöchsten Wesen, knapp nur unter dem ‚Allerhöchsten‘. So nahm bzw. nimmt sich der Mensch immer noch alles raus, was seinen Zwecken und seinem Nutzen dienlich ist. Was da im Wege ist, übrigbleibt, kommt zum Müll.
Nur wenige stellten sich bisher quer. Vor rund 800 Jahren Franz von Assisi, den man zuerst heiligsprach, dann vergessen wurde. Ebenso erging es im 20. Jahrhundert Albert Schweitzer. Ihn ehrte man mit dem Friedensnobelpreis, dann liess man ihn in Büchern verschwinden.
Schweitzers Philosophie ging von dem Bewusstsein aus: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“. Eine Philosophie, die allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenbringt wie dem eigenen, ist gültig für das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen.
Da dieses Grundprinzip irritierte, Pläne durchkreuzte, Stimmen kostete, Gewinne verhinderte usw., erklärte man in der westlichen Welt, „Ethik hat es nur mit dem Verhalten des Menschen zum Menschen zu tun“. Fertig.
Original Albert Schweitzer: „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch Spuren seiner Pfoten entstelle, so wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.
Es ist, als hätte (der Philosoph) Descartes mit seinem Spruch, dass Tiere blosse Maschinen sind, die ganze europäische Philosophie behext. „In den Tieren sah René Descartes lediglich gefühllose Automaten, den Uhrwerken gleich, die nach einem vorgegebenen Prinzip fungieren“.
Descartes‘ Argument war vor allem der Begriff „Sprachfähigkeit“. Sie assoziiert er mit dem Vorhandensein von Verstand und Vernunft. Von der Möglichkeit, Gedanken zu bilden, sie zum Aussprechen zu bringen, zum Verstehen, zum Vermitteln. Und so kam Descartes zu dem Schluss: „Nur das sprechende Wesen, also der Mensch, selbst der taubstumme, verfügt über Vernunft. Nicht aber die Tiere.“
Der Mediziner, Philosoph und Theologe Albert Schweitzer antwortete auf die Frage, wann der Mensch wahrhaft ethisch ist: „Nur wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgendeinem Lebendigen Schaden zu tun. Er fragt nicht, inwiefern dieses oder jenes Leben wertvolle Anteilnahme verdient, auch nicht ob und inwiefern es noch empfindungsfähig ist.
Das Leben als solches ist ihm heilig. Er reisst kein Blatt vom Baum ab, bricht keine Blume und hat Acht, dass er kein Insekt vertritt. Wenn er im Sommer nachts bei der Lampe arbeitet, hält er lieber das Fenster geschlossen und atmet dumpfe Luft, als dass er Insekt um Insekt mit versengten Flügeln auf seinen Tisch fallen sieht.
Geht er nach dem Regen auf die Strasse und erblickt den Regenwurm, der sich darauf verirrt hat, so bedenkt er, dass er in der Sonne vertrocknen muss, wenn er nicht rechtzeitig auf Erde kommt, in der er sich verkriechen kann, und befördert ihn von dem todbringenden Steinigen hinunter ins Gras. Kommt er an einem Insekt vorbei, das in einen Tümpel gefallen ist, nimmt er sich die Zeit, ihm ein Blatt oder ein Halm zur Rettung hinzuhalten“.
Als Albert Schweitzer 1957 vor den gefährlichen Folgen der Radioaktivität bei Atombomben- Versuchen warnte, wurde er in den USA zur Persona non grata erklärt.