Die Theatertruppe Karl`s kühne Gassenschau zeigt mit ihrer neusten Produktion «Sektor 1» eine spektakuläre Zukunftsvision mit fatalen Folgen.
Karl`s kühne Gassenschau richtet gerne mit der grossen Kelle an. Das ist auch bei der neusten Produktion «Sektor 1» der Fall, die dieser Tage in Oberwinterthur Premiere feierte. Es geht im neuen Stück um eine Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft. Diese Gesellschaft hat den ganzen Müll in den Orbit geschossen. Damit die Menschheit auf der Erde überleben kann, müssen sich alle Bewohner an bestimmte Regeln halten. Dann winkt zum Lohn ein Leben im Sektor 1, in der verbliebenen Wohlfühloase.
Und der Orbit beginnt zu rinnen
Sektor 1 ist eine grüne, sanfte Hügellandschaft mit Weiher und Stahlturm. In diesem Turm thront Frau Krähenbühl, die eiskalte Chefin von Sektor 1, assistiert von Herrn Blumer. In dieser Oase hausen knorrige, eigensinnige Menschen, die sich regelwidrig verhalten haben und zur Strafe den Wohlfühlpark in Schuss halten müssen. Zu den Auserwählten gehört die Familie Moretti mit Tochter Daniela, die artig Ökopunkte gesammelt hat und dafür für eine Woche im Park leben darf.
Das Chaos nimmt Gestalt an: Die ersten Müllsäcke, Müllfässer und Müllberge verunstalten die Wohlfühloase.
Doch weil sich die Tochter nicht regelkonform verhält und ausserhalb der Öffnungszeiten ein Grillfeuer entfacht, wird Vater Moretti zur Putzarbeit verbannt. Und der Orbit beginnt zu rinnen. Immer mehr Abfallsäcke landen vom Dach der Zuschauertribüne auf der Wohlfühlwiese. Die schöne, neue Welt droht im Abfall unterzugehen. Monsterhafte Abfallberge türmen sich auf und versetzen die Bewohner der Wohlfühloase in Angst und Schrecken. Der Stahlturm bricht mit Feuer und Getöse auseinander und die Bewohner retten sich mit einem raumschiffähnlichen Gebilde in die Lüfte. Aus ist der Traum von einer friedfertigen Wahlfühloase.
Die perfekte Welt gibt es nicht
Spektakulär ist auch diesmal die Zukunftsvision einer müllfreien Erde. Wie immer wird ein grossartiger Mix aus Artistik und Hightech, Klamauk und Gesellschaftskritik, Poesie und Grössenwahn geboten. Und wie in den vorangegangenen Stücken «Akua», «Silo 8» und «Fabrikk» geht es in «Sektor 1» um eine geregelte, unmenschliche Zukunft, aus der man mit Getöse ausbricht. Im neuen Stück ist es der «Ökoterror», der bitterbös als Trugschluss entlarvt wird. Die perfekte Welt gibt es nicht, und der Müll, den wir produzieren, lässt sich nicht elegant entsorgen. Der Müll ist ein Spiegelbild unserer Wohlstandsgesellschaft, die jedes Mass verloren hat und dafür hart bestraft wird. Das Premierenpublikum war begeistert vom neuen Wohlfühlstück in der künstlich durchregulierten Industriebrache und bedankte sich mit stehenden Ovationen.
Mit Getöse bricht der Stahlturm auseinander. (Fotos: Linus Baur)
Karl`s kühne Gassenschau lebt von Übertreibungen, von Versatzstücken. Das trifft einmal auf das Figurenarsenal zu. Alle sind irgendwie verschroben, die Aufpasser mit ihrer übertriebenen Härte und Schmierigkeit, die Gestraften mit ihren liebenswürdigen und triebhaften Zügen. Und natürlich obsiegen die Gestraften, die mit ihrem tollkühnen und tollpatschigen Gehabe das Glück verheissende Regelwerk zum Einsturz bringen. Und natürlich nimmt dabei die Technik eine dominante Rolle ein, sorgt immer wieder für Wow-Effekte, wenn haarsträubende Gefährte auf der Bühne landen und wieder himmelwärts verschwinden, wenn es überall auf der Bühne knallt, kracht und feuerwerkt, wenn chaotisches Treiben die grüne Wohlfühloase samt Weiher in ein Schlachtfeld voller Müll verwandelt. Und natürlich gibt es herzergreifende Gefühlsmomente, wenn etwa Frau Moretti inmitten der Abfallapokalypse ein Kind gebärt.
Das neue Spektakel «Sektor 1» gastiert noch bis zum 15. Oktober im Industriepark Oberwinterthur. Bereits sind über 100 000 Eintritte verkauft. Für alle, die noch ein Ticket ergattern möchten, ist Eile geboten.
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