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Bindung an den Sinn

Zuger Alt-Staenderat Andreas Iten

Mein verstorbener Freund hat den Sinn seines Lebens in der Bindung an die Heimat durch seine vielseitige Tätigkeit gefunden.

Bei einer Trauerfeier in der St. Martinskirche in Schwyz wurde ein Freund im traditionellen Stil der katholischen Kirche würdevoll verabschiedet. Die vielen Fahnen, die ihn am Grab begleiteten, waren Zeuge dafür, was er für seine engere Heimat geleistet hat. In der grossen Kirche blieben nur die hintersten Bänke leer. Der Pfarrer war überrascht von der grossen Anzahl Trauergäste, so dass er zu wenig Oblaten für die Kommunion gesegnet hatte.

Der Lebenslauf würdigte den Verstorbenen mit lieben Worten. Der Pfarrer hielt eine einfühlsame Predigt. Er fand eine sehr offene Definition für Religion: Religion heisse im Grunde Rückbindung an den Sinn. Dieser Kernsatz setzte sich in meinen Gedanken fest. Wie recht er hatte, der Pfarrer! Ich übertrug den Satz auf das Leben des Verstorbenen, auf sein Engagement im Dorf, auf seine vielfältige unentgeltliche Tätigkeit in zahlreichen Vereinen, auf seine Liebe zur Familie und auf sein heiteres humorvolles Zusammensein in freundschaftlichen Zirkeln. Er war hineingeboren in seine engere Heimat, in ihr verhängt und gebunden. Er verliess sie nur für kurze Reisen.

Was war der Sinn seines Lebens? Diese Frage liess mich nicht mehr los. Ich sah sie in der Bindung an die Menschen seiner Heimat, an seine Schüler, die er Jahrzehnte lang mit Begeisterung unterrichtete. Er sei streng gewesen, aber gerecht. Religion also hier, Bindung an die Heimat in tausend Facetten? Ja, der Gedanke befriedigte mich. Die hätte mir der Verstorbene wohl selbst bestätigt. Ein solches Leben macht Sinn, und dieser Sinn geht ein in die Persönlichkeit und strahlt aus. Der Verstorbene konnte den Sinn in der Heimat vielleicht auch deshalb gefunden haben, weil sie für ihn eingebettet in der katholischen Tradition war. Die weite Definition lässt es offen. Wir glauben an das, was für uns nicht vollständig aufgeht. Auch die Heimat ist für den Menschen unerschöpflich, nicht auszuloten. Sie ist immer grösser als der einzelne Mensch.

Sokrates hatte einst ausgesprochen, was über zwei Jahrtausende nicht richtig verstanden worden ist. Wenige glaubten, dass der gescheite Philosoph, von dem sein Schüler Platon so viel zu berichten wusste, zurecht behauptete, er wisse, dass er nichts wisse. Er wusste viel, das Wissen seiner Zeit war ihm geläufig. Und doch behauptete er diesen magischen Satz. So positivistisch wie er tönt, konnte er gar nicht gemeint sein. Abgeändert aber wird ihn jeder akzeptieren. Sokrates meinte: „Ich weiss, dass ich von den letzten Dingen nichts weiss.“ Der Tod ist fern, der Tod ist ein Nichts. Was folgt dem Tod? Geht das Leben weiter? Wir wissen es nicht. Wir stehen vor unlösbaren Fragen. Philosophen habe darüber Jahrhunderte lang spekuliert. Der grosse Immanuel Kant widerlegte jeden Gottesbeweis und meinte, selbst wenn wir nicht wissen, ob es einen Gott gibt, sollten wir ihn aus moralischen Gründen postulieren. Genau an diesen Punkt setzt der Glaube an. Der Mensch ist gezwungen, seinem Leben einen Sinn zu geben. Er wird uns nicht geschenkt, wir müssen ihn selber finden.

Mein verstorbener Freund hat den Sinn seines Lebens in der Bindung an die Heimat durch seine vielseitige Tätigkeit gefunden. Es ist immer das Grössere, an dem wir teilhaben, das uns Sinn geben kann. Ihn im Ich zu suchen, ist viel zu eng, zu klein, zu kleinlich und befriedigt nicht. Das Leben ist offen für viele Möglichkeiten. Biographien von Menschen zeigen, wie vielfältig sie sind. Diese eine, die in der Pfarrkirche zu Schwyz erzählt wurde, ist eine Möglichkeit, ein Weg, sich selbst im Anderen und je Grösseren zu finden. Diese Einsicht musste jedem Besucher, der die Trauerfeier besucht hatte, bewusst geworden sein.

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Andreas Iten (geb. 1936) betätigt sich seit vielen Jahren als Autor und neu auch als Lyriker. Er war viele Jahre Kolumnist bei der «Neuen Luzerner Zeitung», verfasste zahlreiche Bücher. Zuletzt erschien von ihm das Lesebuch «Der Rigi ist die Rigi». Andreas Iten studierte in Basel und Berlin Psychologie und Philosophie, war Lehrer in Baar und am Lehrerinnenseminar in Menzingen. Seine politische Laufbahn begann er als Gemeindepräsident von Unterägeri, dann war er Regierungs- und Ständerat des Kantons Zug, zweimal Landammann und sechs Jahre Präsident der Kantonalen FDP. Er präsidierte die Eidgenössische Filmkommission und den Innerschweizer Schriftsteller und Schriftstellerinnen Verein. Er ist Vater zweier Töchter und wohnt in Unterägeri.

Andreas Iten wird künftig regelmässig Kolumnen für Seniorweb schreiben. Wir – die Redaktion Seniorweb – heissen Andreas Iten im Kreis der Kolumnisten herzlich willkommen.

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