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Was soll, was kann Medizin am Lebensende

Medizin am Lebensende richtet sich an ethischen Prinzipien aus und beachtet die Würde des einzelnen, zu teuer darf sie jedoch nicht sein.

Nicht der Intellekt bestimmt, ob wir am Leben bleiben, es ist ein intuitiver Entschluss, leben und nicht sterben zu wollen. Darin könnte einer der Gründe liegen, dass wir heute nach Medizin wie nach einem Konsumgut verlangen. Ausserdem erwarten wir, dass unser Leben nicht nur länger, sondern auch besser wird, getreu dem aufklärerisch-humanistischen Gedanken, dass unsere Gesellschaft auf eine bessere Zukunft hinzuarbeiten hat.

Aeskulapstab – das Symbol der ärztlichen Kunst / commons.wikimedia.org

Ob ein Mensch in hohem Alter oder in jungen Jahren stirbt, bedeutet nicht das gleiche. Was schliesslich zum Tod führt, ist unbeeinflussbar, unfassbar, oft unerwartet. Wo die medizinische Wissenschaft endet, übernimmt die Natur das Zepter, denn Leben und Tod sind beides natürliche Zustände. In der Natur spielt der Mensch nicht die Hauptrolle, wenn es ums Leben geht. – Und doch hat er einen einzigartigen Platz! Der Mensch nämlich mit seiner Kapazität zu fühlen, zu denken und über seinen Lebensweg zu entscheiden, ist beides: Selbstbestimmt in seiner Lebensführung und dennoch den Naturgesetzen unterworfen.

Dies ein Ausschnitt aus den Ausführungen von Bernhard Meier in seinem Einführungsreferat des Berner Dialogs «Medizin am Lebensende: Was können – wollen – sollen wir». Die Schweizerische Stiftung für Gefässmedizin eröffnete damit eine Reihe von Veranstaltungen zu medizinischen und gesellschaftlichen Themen. Diesmal waren neben Meier, dem ehemaligen Chefarzt der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital Bern, auch der Ethikprofessor der Universität Fribourg Markus Zimmermann sowie Nationalrat und Gesundheitsberater Lorenz Hess eingeladen. Medizin im Spannungsfeld zwischen Ethik und Politik, dazu sollten die Referenten Diskussionsgrundlagen liefern.

 

 

Ethik stösst an Kostengrenzen

In der Schweiz bewertet Bernhard Meier die Medizin am Lebensende als «teuer, aber gerecht». Die in den medizinischen Richtlinien gesetzten Standards entsprächen jedoch nur selten den wirklichen Umständen. Es könne zu höchst umstrittenen Entscheiden kommen, wie dem Fall eines 82-Jährigen in Genf, der mit Hilfe von Exit sterben wollte, dies aber bis heute nicht darf, da zwei seiner nächsten Angehörigen dies mit einer superprovisorischen Verfügung verhindert haben.

Heute müssen stets auch die finanziellen Bedingungen in Betracht gezogen werden. So darf Medizin am Ende des Lebens im letzten Lebensjahr nicht teurer sein 100’000 CHF. Den Kosten wird in allen Debatten offensichtlich ein ausserordentlicher Stellenwert zugemessen. Wie teuer darf eine Krankheit sein, wieviel sollen Krankenkassen – und damit jeder einzelne Bürger – für medizinische Dienste zahlen müssen? Überraschenderweise befasste sich gerade der Ethikprofessor Markus Zimmermann mit den Kosten, die Medizin am Lebensende verursacht – oder eben gar nicht benötigt. Demografische Untersuchungen zeigen nämlich, dass es nicht die Hochaltrigen sind, die die höchsten Kosten verursachen, sondern die chronisch Kranken, egal welchen Alters. Nicht berücksichtigt sind hier die Pflegekosten, die für Gebrechliche im Alter notwendig werden. Diese zählen nicht zu «Medizin am Lebensende». Eine Statistik aus den USA zeigt ein Paradoxon: Je älter die Menschen sterben, desto geringer sind die Kosten.

Zu bedenken wäre vielmehr, so Zimmermann, welchen Sinn der einzelne seinem Leben gibt. Hermann Burger legte in seinen Schriften klar dar, warum er seinem Leben den Selbstmord vorziehe, während der Theatermann Christoph Schlingensief einen unbändigen Lebenswillen besass, seine Projekte zu Ende führen wollte und doch sterben musste.

Schuldgefühle, Trauer, Angst sind häufige Beweggründe für objektiv sinnlose lebensverlängernde Behandlungen am Lebensende. Zudem gibt es Menschen, die dem Tod (noch) nicht ins Auge sehen wollen: So hoffen 81% der Darmkrebspatienten, dass palliative Massnahmen doch ihr Leben verlängern, obwohl ihnen erklärt wurde, dass sie nur lindernd wirken.

Ferdinand Hodler, Valentine Godé-Darel im Krankenbett 1914 / Kunstmuseum Solothurn / commons.wikimedia.org

Schliesslich diskutieren Ethiker über den Usus, Medikamente nicht einzusetzen, da sie zu teuer sind. So verbietet ein Gerichtsurteil die Abgabe eines Medikaments, das eine halbe Million Franken kostet, da es einer geringen Anzahl Menschen mit einer sehr seltenen Krankheit nur Erleichterung, keine Heilung bringt. Von dem neu entwickelten, endlich wirksamen Heilmittel gegen Hepatitis C, das in der Schweiz 70’000 CHF kostet, konnte man kürzlich lesen.

Setzen finanzielle Argumente ethischen Prinzipien Grenzen? Nach den Ausführungen von Markus Zimmermann schien sich ein solcher Schluss aufzudrängen. Diese Vermutung bestätigte Nationalrat Lorenz Hess. Er stellte fest, dass die Politik für Fragen um die Medizin am Lebensende keine Lösung anzubieten hat. Seit langem geht es im Bundeshaus nur darum, Kosten zu senken. – Nach seiner Ansicht ist die Debatte auf ethischer Ebene gescheitert.

In einer Interpellation aus dem Jahr 2000 wurde gefordert, eine Kommission zur Reduzierung der Kosten am Lebensende zu schaffen. In den letzten Jahren ging es um Pflegekosten, um eine Strategie in Palliative Care und um Entschädigungen für pflegende Angehörige. Lorenz Hess präsentierte eine von der BDP eingereichte Initiative: auf eidgenössischer Ebene sei das Zeitvorsorge-Modell, ein Pilotversuch in den Kantonen Sankt Gallen und Aargau, einzuführen. Seniorweb berichtete über dieses Projekt in seinen Anfängen.

Die Patientenverfügung – eine nützliche Hilfe

Es bleibt die Frage, wer über sinnvolle Medizin am Lebensende entscheidet. Faktisch sind es immer der Betroffene und seine Angehörigen im Moment des Lebensendes. Die Ärzte müssen sich also noch stärker um Gespräche mit dem Patienten bemühen. Dabei ist der gesunde Menschenverstand wichtiger als ein fixer Kanon von Massnahmen. Eine Patientenverfügung dient dafür als sinnvolle Grundlage. Im akuten Notfall kann sie jedoch meist nicht zu Rate gezogen werden. Man sollte alle zwei Jahre mit seinem Hausarzt oder Facharzt neu beurteilen, ob die Patientenverfügung noch dem entspricht, was einem wichtig ist. Bernhard Meier zog die Bilanz: «Entscheidend ist die Sichtweise: Was ist uns am Lebensende wichtig. – Wir landen immer wieder bei den finanziellen Fragen, obwohl sie nicht das wichtigste sind, wenn wir sterben.»

Ferdinand Hodler, Valentine Godé-Darel einen Tag vor ihrem Tod. Januar 1915 / Kunstmuseum Basel / commons.wikimedia.org

Berner Dialog Medizin und Gesellschaft: Die Veranstaltungsreihe «Berner Dialog Medizin und Gesellschaft» wurde von der Schweizerischen Stiftung für Gefässmedizin initiiert. Sie widmet sich einer lösungsorientierten medizinischen und gesundheitspolitischen Debatte mit dem Ziel, einen Dialog zwischen Fachleuten und der interessierten Öffentlichkeit zu etablieren.

Zum Thema: Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung (30.10.2016): Ärzte schlagen Alarm

Die Akademie Menschenmedizin in Zürich widmet sich – breiter gefächert – ähnlichen Themen.

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