StartseiteMagazinKulturKunst zum Jahresende - diesmal hohe Qualität aus Graubünden

Kunst zum Jahresende – diesmal hohe Qualität aus Graubünden

Alle Jahre wieder stellen Museen und andere Institutionen das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler der Region aus

Manchmal heisst‘s Weihnachtsausstellung und ist eine Art Kunst-Weihnachtsmarkt, manchmal dürfen alle, die wollen, ihr Bild oder ihre Skulptur einreichen, immer öfter aber ist die Jahresausstellung eine jurierte Werkschau der besten Künstlerinnen und Künstler eines Kantons oder einer Region.

Truclas, rund 70 Kistchen aus Tannenholz von Bündner Visarte-Künstlerinnen und -Künstlern zum Jubiläum als käufliche Objekte gestaltet

Zwei Jahre lang konnte das Bündner Kunstmuseum wegen Bauarbeiten keine Jahresausstellung ausrichten. Umso grossartiger kommt sie nun ins erweiterte Museum zurück: Grosszügige Räume und moderne Technik ermöglichen ungewöhnliche Projekte, raumgreifende Installationen, Audio- und Videoarbeiten, Grossformate an den Wänden. Zudem wurde die Schau zum Jahreswechsel mit dem 80. Jubiläum der Künstlervereinigung visarte.graubünden verknüpft. So nennt sie sich Archiv. 80 Jahre Bündner Kunst.

Blick in die Ausstellung: Von links Audiostation von Evelina Cajakob Ich archiviere, also bin ich, hängend die Spese e scontini von Marc Bundi vor der Zehnerserie von Gaspare O. Melcher und die Foto-Arbeit o.T. von Katharina Vonow

114 Künstlerinnen und Künstler reichten ein Projekt ein. Bis zum 22. Januar werden 47 Arbeiten gezeigt, darunter auch Werke, die vor 2016 entstanden. Damit ist ein gültiger Überblick über die zeitgenössische Kunst allein mit Arbeiten von Bündner Künstlerinnen und Künstlern möglich. Bei der Vernissage erinnert Regierungsrat Martin Jäger an die Anfänge der Visarte, damals noch GSMBA. Der Politiker ordnet ein: 1936 brach der spanische Bürgerkrieg aus, 1936 wurde der Nazi-Gauleiter Wilhelm Gustloff in Davos erschossen, hatte der Film Modern Times von und mit Charlie Chaplin Premiere … und 1936 gründete eine Gruppe Bündner Künstler einen Berufsverband, eine Art kämpferische Gewerkschaft, so der früheres Präsident des Bündner Gewerkschaftsbundes.

Luis Coray, Hermano Santos da Bôa, Remo Arpagaus: SAUDADE – ADIA – A CASA, eine Installation, die mit Heimat und Fremde, Exil und Reisen spielt

Menga Dolf, verdiente und nun zurückgetretene Visarte-Präsidentin irritiert das Publikum: „Hinsichtlich der inneren Organsiation unserer Sektionsausstellung wird beschlossen, dass die Kandidaten zugelassen werden sollen, ebenso Damen welche Aktivmitglied der Gesellschaft Schweizer Malerinnen und Bildhauerinnen sind – und bei uns Passivmitglied sind,“ sagt sie ganz ernsthaft, der Satz ist 80 Jahre alt, aus dem ersten Protokoll. Heute ist bald die Hälfte der knapp einhundert Mitglieder weiblich. Zum Jubiläum hat sich visarte.graubünden zwei Geschenke gemacht: Im „Labor“ sind truclas, Tannenholzkästchen, deren Inhalt von Mitgliedern gestaltet wurden ausgestellt; man kann sie erwerben. Ausserdem sind die truclas in derEdition 80_visarte.graubünden abgebildet, begleitet von dem Text Voglio vedere des Schriftstellers Reto Hänny, in dem es ums Hinschauen in der bildenden Kunst am Beispiel Giovanni Segantinis geht.

Auch die Jahresausstellung fordert ein genaues Hinschauen. Die neueren und älteren Arbeiten wurden von Kurator Lynn Kost mit einem fast genialischen Gespür für Raum, Form und Medium eingerichtet. Trotz der sehr unterschiedlichen Objekte und Installationen – es gibt Zeichnungen, Skulpturen, Video-Installationen, Fotos – ist es ihm gelungen, eine Schau zu bauen, in der sich die Werke aufeinander beziehen, wie wenn die Urheber es geplant hätten. Weil kein Schrifttäfelchen mit Namen, Datum, Material ablenkt, fällt das unvoreingenommene Hinschauen noch leichter (das Saalblatt enthält alles Nötige).

Kein Littering mit Papierfetzchen, Miguela Tamós -linge sind aus fragilem Porzellan. Dahinter hängt Arno Hasslers HIgh Noon

Archiv lässt sich auf mannigfache Art interpretieren: Man bekommt Einblick in ganz persönliche, aber auch in gefundene Archive, oder Archiv wird global interpretiert, vor allem wird mit dem Archivbegriff auch wacker gespielt. An eine reale Sammlung erinnert Die Dunkelkammer von Seraina Feuerstein, in deren Aussenraum sie Fotoabzüge von Urgrossvater Johann Feuerstein zeigt.

Den Begriff radikal umgesetzt haben Flurin Bischoff mit Der Musterturm, oder auch Miguela Tamó mit –linge, ihrer gefährlich reizvollen Auslegeordnung von weissen Blättern oder Fetzen aus Limoges-Porzellan. Besonders eindrucksvoll und den Archivgedanken gleichsam erfüllend und unterwandernd, die Erste Zehnerserie von Gaspare O. Melcher, der seit Jahrzehnten in Italien lebt: riesige Blätter von 1972, in mönchischer Fleissarbeit mit seinem ureigenen Zeichenvokabular ausgefüllt, Zeichen, die er bis heute in jeder Arbeit verwendet. Arno Hassler, den viele Künstler als Drucker für ihre Grafikblätter schätzen, zeigt High Noon Nr. 1-6, Fotografien vom einstigen Drehort der Italowestern in Südspanien, ebenfalls mit Fotos, aber ganz anders arbeitet das Künstlerpaar Gabriela Gerber&Lukas Bardill: eine Postkartenserie von 1915, die Überschwemmungen im Prättigau zeigt, haben sie auf Tablets geladen und animiert.

Talking to the moon – unfinished work nennt Ursula Palla ihre Videoinstallation mit den Termiten-Aufnahmen

Ganz anders hat Ursula Palla den Archivbegriff umgesetzt: Baum – Zellulose – Papierskizzen zu Bäumen – im Video aufgearbeitet zu Baumaterial von Termiten (im Raum mit Alberto-Giacometti-Zeichnungen). Der„Findling“ von Dominik Zehnder ist aus Beton und trägt eine dunkle Linie – das bleibe vom Industriezeitalter spielt der Bildhauer auf das Alter des Universums und die Nanosekunde Mensch darin an.  Oder Hannes Vogel, ältestes Visarte-Mitglied: Als Fries oberhalb der Türe erstreckt sich die grossformatige sechsteilige Kalligrafie, ein Memento mori, die allerletzte Urinspur eines todkranken Hunds. Tierspuren anderer Art hat Christian Ratti gesammelt. Seine Installation nennt sich Spurentunnels und Spurenbilder und verweist auf die Geschichte des Museums.

Über der Tür hängt die Kalligraphie von Hannes Vogel, am Boden liegt die Installation Langstabisolatoren von Claudia Schmid, Gianin Conrad hat seinen Handapparat aus Terracotta in zwei Gestellen aufgebaut.

Den Laborraum, wo alle truclas auf zwei Borden Momentaufnahmen aus dem Arbeitsprozess der Visarte-Mitglieder ermöglichen, teilt eine raumhohe Installation von Hans Danuser, wohl einer der bekanntesten Bündner Künstler. Er hat aus seinem Archiv die Dokumentation über einen Auftritt des Lyrikers Hanspeter Gansner in der Ausstellung Amerikanische Graphik von 1972 hervorgeholt. Auf der anderen Seite hat sich unter anderen der Fotokünstler Gaudenz Signorell eingerichtet: er sitzt zweimal wöchentlich an seinem hierher gezügelten Arbeitstisch und sichtet seine Polaroid-Bilder aus vielen Jahren, archiviert sie oder verwirft sie.

bis 22. Januar 2017
Alle Fotos © Caflisch Hänny. Teaserbild: Flerdner Heutücher – der Tod der Ahnen von Beatrix Sitter-Liver, davor Dominik Zehnders Finto Marmo
Hier finden Sie Hinweise auf Führungen, Gespräche, Aktionen in der Ausstellung Archiv – 80 Jahre Bündner Kunst in Chur

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