Ein Stück Stollen

Kaum zu glauben: Über den Christstollen, der vielen das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt, ist schon heftig gestritten worden.

Den Weihnachtsstollen kaufen? Als ich Kind war, wäre das meiner Mutter nie in den Sinn gekommen, obwohl sie nicht wenig zu tun hatte. Den Stollen selbst zu backen, liess sie sich nicht nehmen, und zwar schon im November. Denn dieses süsse, dicke Backwerk voller leckerer Zutaten musste zuerst lange im kühlen Kämmerchen ruhen, bis es kurz vor Weihnachten – oder in einigen Familien erst am 1. Weihnachtsfeiertag – angeschnitten wurde. Von da an bis in den Februar war es zumeist das einzige Gebäck, das wir allen anboten, die auch nur auf eine Tasse Kaffee zu Besuch kamen.

Rosinenstollen © Alice Wiegand / commons.wikimedia.org

Es gibt Rosinenstollen, Mandelstollen, in beide gehören Zitronat und Orangeat; auch Mohnstollen und Quarkstollen sind beliebt. Schokoladenstollen gibt es ebenfalls, aber er zählt nicht zu den klassischen Stollenrezepten. Das könnte daran liegen, dass der Kakao, den Kolumbus von den Azteken mitgebracht hatte, lange Zeit nur getrunken wurde. Erst anfangs des 19. Jahrhunderts entstanden Schokoladenfabriken, die auch feste Schokolade herstellten. Zu dieser Zeit waren die bewährten Stollenrezepte schon festgeschrieben. So trank man vielleicht zu einem Stück Dresdner Stollen noch eine Tasse heisse Schokolade – niemand sollte hungrig das Haus verlassen!

Die Zutaten für einen guten Stollen haben es nämlich in sich: Neben Mehl, Milch, Eiern sowie Hefe und Gewürzen braucht man eine gehörige Menge Butter. Fürs Stollenbacken musste sich meine Mutter genug Zeit nehmen, vor allem fürs gründliche Kneten des Teigs. Und nach dem Backen während der Ruhezeit – noch nicht genug der Kalorien – muss der Stollen zweimal mit flüssiger Butter bestrichen und reichlich mit Puderzucker bestreut werden. Den Wächtern über gesunde Ernährung sträuben sich vielleicht die Haare . . .  Wir als Kinder haben den Stollen ebenso genossen wie die Erwachsenen. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir anschliessend meine Winterhose zu eng geworden wäre.

Erste Runde: der Stollen vor dem Bestäuben © Lothar Wilhelm / commons.wikimedia.com

Traditionellerweise wird der Teig vor dem Backen ausgerollt und dann aufgerollt, so dass er ganz entfernt an ein dickes Tuch erinnert, in dem das Christkind eingewickelt ist. So erzählten es sich die Sachsen. Dem widerspricht die Etymologie: «Stollen» heisst das Kuchen-Brot nämlich wegen seiner länglichen Form: Als Stollen bezeichnete man einen dicken Pfosten oder eine Stütze. – Ob auch der Stollen im Berg- und Tunnelbau so genannt wurde, weil er Balken als Stützen benötigte?

Am Anfang war der Stollen allerdings ein Fastengebäck: 1474 tauchte er auf der Rechnung eines sächsischen Hospitals auf und bestand aus weiter nichts als Mehl, Hefe und Wasser, war also wirklich ein Brot. Ein Jahrhundert früher schon hatten die Bäcker in Naumburg an der Saale das Privileg erhalten, ein ähnliches Brot zu backen. Der mächtige sächsische Kurfürst August der Starke, gleichzeitig König von Polen, liess den in der Geschichte grössten Stollen backen, der damals längst all die gehaltvollen Inhaltsstoffe enthielt, die wir in ihm schätzen. Heute wäre er wohl im Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet.

Auch anderswo gab’s Riesenstollen für ein Fest, hier für das «Zeithainer Lustlager». Kolorierter Stich von Elias Baeck alias Heldenmuth / commons.wikimedia.org

Die Entwicklung des Stollens vom Brot zum süssen Kuchen mussten sich Bäcker und Geniesser übrigens von der katholischen Kirche erbetteln: Die zuständigen Kirchenbehörden besassen die Kompetenz, den Bäckern zu erlauben, dem Stollenteig Butter und weitere süsse Zutaten hinzuzufügen. Dazu gibt es eine Anekdote: Der Heilige Vater selbst habe um des Stollens willen die Fastengesetze abgeschwächt. Da Butter während der Fastenzeit verboten war, hätte man teures, aber «stinkendes» Öl verwenden müssen. Einen Stollen mit seinen köstlichen Zutaten, jedoch ohne Butter gebacken, den wünschten die Kurfürsten Ernst und Albrecht nicht auf ihrer Tafel, also sollen sie in Rom um eine Ausnahme gebeten haben.

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stritten sich Dresden, Meissen und das winzige Siebenlehn erbittert um die «Stollenhoheit». Während des Dreissigjährigen Krieges ruhte der Zwist, aber nach dem Westfälischen Frieden 1648 flammte der Krieg um den echten Stollen wieder auf. Wie immer belebt Konkurrenz das Geschäft, in diesem Fall wurde der Dresdner Stollen immer wohlschmeckender und so berühmt, dass er auch heute noch in Deutschland in vielen Familien nicht fehlen darf.

Stollenbäcker auf dem Dresdener Striezelmarkt  © Christoph Münch / commons.wikimedia.org

Ernsthafte Konkurrenz bekamen die Dresdner erneut im 19. Jahrhundert. Da hatten nämlich die Kölner Bäcker entdeckt, dass sie ebenfalls Stollen zu backen verstanden. Seitdem gibt es auch den «echten Kölner Christstollen». Dieser Rheinische Stollen, erklären die Kölner, wird «überschlagen», das heisst, der ausgerollte Teig wird um eine Marzipanfüllung gewickelt. – Da die Transportwege von Dresden nach Köln und umgekehrt bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts doch sehr lang waren, entstand glücklicherweise kein weiterer Stollenkonflikt. Dresdner, die sich in Köln niedergelassen haben, schätzen durchaus die Qualitäten des Kölner Stollens.

Wer in der Schweiz keinen importierten Dresdner Stollen kaufen möchte, hat eine Alternative, die überraschen könnte. Sind doch die Schweizer in vielerlei Hinsicht den (Nord-)Italienern näher als den Deutschen. Was ist ein Mailänder Panettone anderes als ein reichhaltiges, süsses, lang haltbares, leckeres Brot, diesmal in runder Form und in entscheidend anderer Konsistenz, nämlich mit Sauerteig gebacken. Was schmeckt Ihnen besser, Stollen oder Panettone? – Mir fällt die Entscheidung schwer.

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