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Plädoyer für Europa

«Europa muss vereint sein, um nicht unterzugehen», rief Daniel Cohn-Bendit den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern in der Universität Bern zu.

Europas Zukunft kann nur als starke Gemeinschaft bestehen. Diese Überzeugung vertrat Daniel Cohn-Bendit voller Leidenschaft in seinem Vortrag «Vision Europa» im Rahmen der Reihe «Visionen», die das Collegium Generale der Universität Bern in ersten Halbjahr 2017 veranstaltet.

Mit einem Rückblick auf die letzten siebzig Jahre europäischer Geschichte untermauerte Cohn-Bendit sein flammendes Plädoyer für eine Zukunft in einem geeinten Europa. Er schöpft sein Engagement für Europa aus seinem persönlichen Lebenslauf. Geboren 1945, als der zweite Weltkrieg gerade beendet wurde, als Sohn jüdischer Flüchtlinge in Frankreich, erlebte er die Nachkriegsjahre in Frankreich und in Deutschland. «Wer heute die Situation 1945 betrachtet, erkennt, dass die deutsch-französische Annäherung DIE Glanzleistung in Europa war», erklärt Cohn-Bendit, «möglich nur, da Deutschland zerstört und geteilt war und Frankreich bzw. Grossbritannien in den 1950er Jahren mehr und mehr geschwächt waren, da sie ihre Kolonialreiche verloren.» Dadurch seien Hegemonieansprüche – früher häufige Ursache von Konflikten und Kriegen – obsolet geworden und die Länder Europas allmählich gleichberechtigt aufeinander zugegangen. Besonders die politischen und sozialen Eliten Europas seien führend gewesen in der Meinungsbildung für eine Versöhnung in Europa. Der allseits angestrebte Frieden ist seitdem die unangefochtene Grundlage in Europa. Kontroversen werden mit anderen Mitteln angegangen – mit der Ausnahme der speziellen Situation auf dem Balkan.

Dabei war das Misstrauen gegenüber Deutschland noch gross. Der Elysée-Vertrag 1963 zwischen De Gaulle und Adenauer beruhe, wie Cohn-Bendit erklärt, auf einem Missverständnis: Adenauer wünschte sich damals eine verlässliche Bindung nach Westen, Frankreich und die NATO, während De Gaulle Frankreich und die Bundesrepublik als Gegengewicht gegen die USA und die UdSSR sah.

Palazzo Senatorio auf dem Kapitol in Rom, wo am 35.3.1957 die Römischen Verträge unterzeichnet wurden.
© commons.wikimedia.org

Die EU hatte als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begonnen – gerade in diesen Tagen wurde die Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 60 Jahren gefeiert; ihre Weiterentwicklung zur Europäischen Union wurde durch das Ende der deutschen Teilung 1989 zwingend notwendig. Denn durch die Wiedervereinigung von BRD und DDR erhielt Deutschland ein viel stärkeres Gewicht im europäischen Kräftespiel, weshalb verschiedene Politiker, unter ihnen der französische Präsident François Mitterand, zunächst äusserst skeptisch waren und eine Zweistaatenlösung bevorzugt hätten. Man habe sich entschieden, sagte Cohn-Bendit, die politischen Hürden zu überwinden, indem man die europäischen Staaten untereinander stärker verknüpfte. Es sei eine rational-politische Entscheidung gewesen, Deutschland noch stärker in die europäische Gemeinschaft einzubinden. Als Werkzeug dafür sei die Schaffung des Euro als gemeinsame Währung vereinbart worden.

Daniel Cohn-Bendit (2010)  
© 
Marie-Lan Nguyen / commons.wikimedia.org

So durchwandert Cohn-Bendit die Geschichte der EU, setzt Schlaglichter auf die Erfolge, ohne die Schwachpunkte ausser Acht zu lassen. Seiner Meinung nach sei der wirtschaftliche Unterbau der EU gefestigt, es fehle aber dringend an effektiven Grundlagen, politische Entscheidungen zu treffen. Den kommenden Brexit hält er für einen kapitalen Fehler, der den Briten grosse finanzielle Belastungen bringen werde und vor allem zwischen Nordirland und der Republik Irland zu heiklen Spannungen führen werde.

Angesichts der wachsenden Europaskepsis stellt Cohn-Bendit die rhetorische Frage, wie man aus einem Omelett die drei Eier, aus denen es besteht, wieder herausholen könne. «Europa muss weiter gefestigt werden, tragfähige gemeinsame Strukturen erhalten und in allen Gesellschaftsbereichen verankert werden», fordert er und bekennt sich zu seinem unverbrüchlichen Optimismus. Auch die weltweit anstehenden Probleme wie Klimawandel, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Terrorismus müsse Europa gemeinschaftlich lösen. Die gesellschaftlichen Strukturen gerecht und sozialverträglich zu gestalten, werde weiterhin Sache jeder einzelnen Nation bleiben. Die politische Koordination und Rechtsprechung gehörten aber in die Kompetenz der EU. Hier sei ein Gleichgewicht anzustreben, das Europa als Ganzem in der globalisierten Welt genügend Gewicht gibt und den Regionen genügend Freiraum für spezifische Strukturen.

Die Europaflagge wurde 1955 als Flagge des Europarats eingeführt und im Mai 1986 als Symbol für alle Institutionen der Europäischen Gemeinschaften übernommen. © commons.wikimedia.org

 

«Ein vereinigtes Europa in fünfzig Jahren ist eine Notwendigkeit», betont Cohn-Bendit immer wieder, wobei er die Schweiz nur nebenbei erwähnt. Er hat einen originellen Vorschlag, wie sich die Menschen in Europa enger vernetzen könnten: Das bestehende Austauschprogramm für Studierende ‹Erasmus› solle auf alle jungen Leute ausgeweitet werden. Junge Menschen, die ein Jahr lang in einem anderen Land, in anderer Umgebung gelebt hätten, würden dadurch aufgeschlossener, bekämen einen weiteren Horizont und schlössen neue Freundschaften, ja sogar Ehen. Das würde dazu beitragen, dass Europa wie von selbst weiter zusammenwächst. Es geht nämlich darum, die Europabegeisterung wieder zu beleben. Wenn sich die Menschen auch emotional wieder von europäischen Ideen bewegen liessen, müsse sich niemand mehr um die Zukunft Europas sorgen.

Wer Daniel Cohn-Bendit zuhört, wird von seiner Begeisterung mitgerissen. Er hat sein Konzept im Kopf, seine Spontaneität und sein Engagement für Europa wirken überzeugend. Das ist nicht nur eine Rolle, die er zehn Jahre lang als Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament gespielt hat, abwechselnd für die deutschen und die französischen Grünen. Für Europa brennt er heute noch so, wie er 1968 für die Ideen der Pariser Studenten auf die Barrikaden gestiegen ist.

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