StartseiteMagazinKolumnenSchelling – das «schwäbische Wunderkind»

Schelling – das «schwäbische Wunderkind»

«Wozu also alle Sorgen und das unruhige Streben? Was geschehen soll, geschieht doch“, schreibt im Jahr 1804 der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling.

Seine ersten Schriften betonen noch das absolute freie Wesen des Menschen, aus dem das erste Prinzip seiner Philosophie wird. Doch anstatt wie bisher ungeduldig Freiheit zu fordern, verlangt Schelling wenige Jahre später die wahre Duldsamkeit. Nämlich «alle Dinge als in der Totalität begriffen zu denken und an ihrer Stelle zu achten.» Das meint: Man hat davon auszugehen, dass das Geschehen in der Natur, im Leben und in der Gesellschaft durch das Schicksal vorherbestimmt und unabänderlich ist. – Aus Freiheitsstreben wurde Fatalismus.

Daraus ergab sich: Die vorausgegangene Aufklärungsphilosophie von Kant und Fichte, die die Autonomie des Individuums betonte, stand Schelling im Weg. Selbständigkeit ja – während die Natur einem deterministischen System zu folgen hat. – «Also ist die Freiheit der Menschen mit der Dynamik der Natur zu verbinden.» «Freiheit ist nur in der Tätigkeit zu finden und jegliches Sein ist nur aufgehobene Freiheit.» Die wirkliche Freiheit besteht somit in der Vereinigung mit der Notwendigkeit und geschieht, «wenn die Begehung des Geistes» gerade auf eine freie Begehung des Geistes trifft.

Caroline Schelling schrieb ihrem Mann zurück: «Ich erinnere mich sehr wohl des Geistes – im Mittelpunkt – und dass Licht Geist und Geist Licht ist. Dieses ist mir nicht begreiflich, und durch den Glauben und die Imaginazion wirst du mich auch leicht bis zum Zweck von allem End und Ziel führen können, – nur die Sprossen der Leiter, die Demonstrazionen, die Folgerungen, das ist nichts für mich».

Was dachten sich dabei die Kollegen und die Mitschüler, die einst zusammen mit ihm zu den „Stiftsköpfen“ in Tübingen gehörten. Weithin berühmt, weil diese Lehranstalt eine geistige und geistliche Elite herausbrachte, – jedoch berüchtigt als himmelsschreiende Disziplinaranstalt. Die Namen der Stuben-Mitbewohner Schlegels, die unter dem strengen «Abrichten“ in diesem „trostlosen Kloster“ zu leiden hatten, waren „eine einzigartige Fügung der Geistesgeschichte.“: Friedrich Hölderlin und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Was für eine Konstellation: Sie bilden später die Keimzelle des Idealismus.

Der hochbegabte Schelling, das „schwäbische Wunderkind“, nahm als Elfjähriger Unterricht bei den Achtzehnjährigen. Griechisch, Hebräisch und Latein sowieso, und aus Langeweile zusätzlich noch fünf weitere Fremdsprachen. Im Alter von 23 Jahren wurde er Professor in Jena, wo er mit Fichte, Schiller und dem Kreis der Romantiker zusammen war.

Zu Beginn trug Schelling seinen ersten Entwurf zu einem System der Naturphilosophie vor. Er stellte jene unvergessliche Frage, die in der Geschichte der Philosophie immer in ihrer Prägnanz auf einen einzigen Philosophen zurückgeht: «Warum ist überhaupt etwas, und warum ist nicht nichts?» Er gab zur Antwort: Es ist nicht nichts, weil Gott ist. Ohne seine Kraft und Ehrfurcht vor ihr, gibt es keinen Geist, keine Persönlichkeit. Die Frage, die bis zu Schelling noch fest im Religiösen wurzelte, bekam jetzt einen neuen Gedankengang:

Die Natur ist ihm der Inbegriff für «sinnlich-leiblich», Gegensätzlichkeit zum Geist und stehender Grundkräfte. Wenn Gott ein lebendiger Gott ist, müsste er dann nicht auch irgendeine ‹Natur› in sich haben? Müsste dann nicht auch Gott ein «Trieb und Drang» sein? Müsste dann nicht auch in Gott ein ‹Werden› sein, in einem Wechselspiel?

Kann – fragte sich Schelling – «das Wechselspiel in Gott nicht anders als dialektisch gedacht werden?» Denn ohne den (dialektischen) Widerspruch wäre keine Bewegung, kein Leben, kein Fortschritt sondern ewiger Stillstand.»

Alle Dinge müssen aus der «dunklen Tiefe» zu ihrer lichten Höhe kommen, muss auch das göttliche Wesen in seiner Offenbarung erst Natur annehmen, ehe es sich bewegt und den Triumph des Geistes und der Freiheit feiert. In seiner Lehre wollte Schelling die Natur verehrt und respektiert wissen, denn es geschieht ein Ursprung und das Ringen der Naturkräfte bis zum Durchbruch des bewussten Geistes im Menschen. Grundthema wird dann das Walten Gottes im Willen {des Einzelmenschen} und in der Weltgeschichte sein, in der Gott zuerst als blinder Trieb und Drang, dann als Naturgesetz und schliesslich als naturüberlegene Vorsehung waltet.

Der Naturphilosoph Schelling hat uns Sinnsprüche hinterlassen: «Wäre nicht das Nein, so wäre das Ja ohne Kraft» – und «Die Faulheit ist das letzte Gut, das uns vom Paradies übrig geblieben ist.»

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