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Ein Name wird Programm

Der Name Gurlitt hat einen programmatischen Klang – spätestens seit das Kunstmuseum Bern das berühmte Erbe angetreten hat.

Es gab einigen juristischen Lärm seit bekannt wurde, dass der 2014 verstorbene Cornelius Gurlitt in seinem Testament seine einzigartige Sammlung dem Kunstmuseum Bern vermacht hat. Nachdem die Rechtslage nun geklärt ist, zeigt das Berner Museum «Bestandesaufnahme Gurlitt. ‘Entartete Kunst’ – Beschlagnahmt und verkauft», während gleichzeitig in der Bundeskunsthalle Bonn «Bestandesaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen» zu sehen ist. Die beiden Ausstellungen werden im März 2018 ausgetauscht.

Vielleicht erinnert man sich, dass Daniel Spanke bereits 2016 im Kunstmuseum Bern das Thema mit einer vielseitigen, gut dokumentierten Ausstellung aufgegriffen hat («Moderne Meister – Entartete Kunst»). Damit fällt ihm das Verdienst zu, als erster die Berner und wohl auch eine weitere Öffentlichkeit für das bisher kaum bewusst gewordene Thema sensibilisiert zu haben.

Mittlerweile dominiert der Name Gurlitt eine noch viel umfangreichere Öffentlichkeit. Der Name ist zum Programm geworden. Was mit den Kunstwerken in der Folge geschehen ist, die entweder als «Entartet» konfisziert oder mehr oder weniger mit deren Einwilligung von den emigrierenden jüdischen Besitzern erworben und auch geraubt wurden, konzentriert sich heute dank dem Einsatz der Medien auf Cornelius Gurlitt und seine Vorfahren. Die Medienkonferenz zur Ausstellung empfing nicht nur europäische, sondern auch Medienvertreter aus Übersee. Printmedien, Radio, Fernsehen sorgen dafür: Gurlitt und mit ihm die ganze vielschichtige und spannungsvolle Thematik der Provenienzforschung ist in aller Mund. Das Medieninteresse erstreckt sich auf seine Vorfahren und Verwandten, vor allem auf Hildebrand Gurlitt, welcher die meisten der Werke erworben hat. Mit heute als positiv wahrzunehmenden Folgen, wenn auch nicht uneigennützig, haben sie diese verfemten Werke aufgekauft, weiterverkauft und auch versteckt. Man mag darüber rätseln, welches der Sinn war, dass Cornelius Gurlitt seine Sammlung dem Berner Kunstmuseum vermacht hat. Jedenfalls versteht man auch die gemischten Gefühle, die manche der Berner Entscheidträger anfangs beschlichen haben, als das Legat bekannt wurde. Eines jedoch ist offensichtlich: Das Berner Kunstmuseum und überhaupt die Berner Kunstszene haben einen Schatz aufzuweisen, der dem Ruf der Stadt nur förderlich sein kann.

Das ist allerdings nicht das wichtigste. Für die gesamte – vielleicht weltweite – Kunstszene ist es vor allem ein Gewinn, wenn nicht nur der kunsthistorische und kulturelle Reichtum dieser Werke in Museen oder bei Eigentümern und deren Erben wieder den richtigen Platz einnimmt, sondern auch die Bedeutung der zugrundeliegenden historischen und gesellschaftspolitischen Vorgänge vergegenwärtigt und damit überblickbar wird. Zu allen Zeiten haben es totalitäre Kräfte geschafft, kulturelle und Kunstwerke zu zerstören, in der Antike nicht weniger als zum Beispiel in den Bilderstürmen der Reformation. Heutzutage wird weltweit Weltkulturerbe aus totalitärer Verachtung und als reine Machtdemonstration zerstört. Was die Nationalsozialisten unter dem Vorwand des nicht Art- und Rassegemässen getan haben, reiht sich ein in ein Verhalten, das immer wieder dem Vergessen entzogen werden sollte – wie es jetzt dank dem Gurlitt-Erbe in Deutschland und in der Schweiz geschieht.

Ob all diesen notwendigen rechtlichen und gesellschaftspolitischen Überlegungen, bei aller filigranen Arbeit an der Herkunftsforschung und der minutiösen Dokumentation der Ergebnisse dieser Bemühungen, und auch bei aller Erleichterung darüber, dass den ursprünglichen Eigentümern oder deren Erben ihr wertvolles und mit Erinnerungen behaftetes Kunstwerk wieder zurück gegeben werden kann, soll nicht vergessen werden, was die parallelen Ausstellungen in Bonn und Bern auch bedeuten: Ein erneutes (oder in einzelnen Fällen gar erstes) Mal können die Kostbarkeiten gezeigt werden. Ein Reichtum an Schönheit einerseits, an künstlerischer Bewältigung von schwierigen und aufrührenden Zeiten andererseits steht dem Publikum offen. Kenner, die das eine oder andere Kunstwerk vermisst haben mögen, stehen ebenso beeindruckt vor der Schau wie interessierte Laien, die dem Gestalten der Künstler mit Spürsinn und Verstehen nahekommen wollen. Es ist nicht nur ‘Schönes’ zu sehen; vieles trägt auch Züge des Melancholischen, des Schreckhaften, des Argen, der Verzweiflung. Manche der zahlreichen gezeigten Grafiken (die Gemälde hängen gegenwärtig mehrheitlich in Bonn) zeugen von Bedrohung, von Angst vielleicht, aber auch von Sehnsucht nach dem einfachen Schaffen und Leben in Frieden, Lebensfreude und geselliger Heiterkeit.

August Macke, Landschaft mit Segelbooten, 1913. Farbige und schwarze Tusche auf Karton.
Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014. © Kunstmuseum Bern

 

Links: Otto Mueller, Bildnis Maschka Mueller, vor 1925. Leimtempera auf Jute, auf Leinwand doubliert. Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014; © Kunstmuseum Bern
Rechts: Otto Dix, Schütze vom Infanterieregiment 103, o. J. Pastell und schwarze Kunstkreide auf Packpapier. Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014, Provenienz in Abklärung / aktuell kein Raubkunstverdacht. © 2017, ProLitteris, Zürich; Foto: © Kunstmuseum Bern

Paul Klee, Grieche und Barbaren, 1920. Ölpause und Aquarell auf Kreidegrundierung auf Papier auf Karton. Legat Cornelius Gurlitt 2014, Provenienz in Abklärung

August Macke, Im Schlossgarten von Oberhofen, 1914. Aquarell und Graphit auf Papier auf Karton. Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014; © Kunstmuseum Bern

Titelbild: Medienkonferenz am 1. November 2017 (fv)
Alle übrigen Urheberrechte © Kunstmuseum Bern

Die Ausstellung dauert bis 4. März 2018

Zur Ausstellung im Kunstmuseum Bern

Siehe auch 09.04.2016: Moderne Meister – Entartete Kunst

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