Alter und Zukunft

Besteht zwischen Alter und Zukunft ein Widerspruch? Der Philosoph, Physiker und Publizist Ludwig Hasler sprach am SENE FORUM 2018 darüber.

«Alter hat keine Zukunft», stellt Ludwig Hasler fest, genau das sei das Problem. – In der Tendenz, unser Leben fast immer auf eine Zukunft auszurichten, geraten wir in eine Sackgasse. Als alter Mensch, Hasler ist 1944 geboren, sagt er: «Ich bin meine Zukunft – Jüngere haben sie vor sich». Damit drückt er aus, dass er jetzt sein Leben auf seine Weise lebt – die Folgen wird er selbst umgehend erfahren. Das gilt selbstverständlich für jeden Menschen, für alte Menschen gilt es umso mehr, denn im Alter wirken sich Lebensstil, Aktivitäten, Lebenseinstellungen viel direkter aus als bei jungen Menschen.

Über Jahrtausende hatte das Alter eine Zukunft, denn der Tod wurde als Übergang ins Reich der Ahnen verstanden, gemäss christlichen Vorstellungen stand ein alter Mensch mit einem Bein im Himmelreich. Daraus erklärt sich die Würde der Alten, die Achtung, die ihnen von der Gesellschaft entgegengebracht wurde. Diese Aussicht auf ein Jenseits, ein Paradies der Seligen ist einer metaphysischen Obdachlosigkeit gewichen, denn die christlichen Heilsvorstellungen sind vielen Menschen fremd geworden. Was bleibt, ist Leere oder der (uneingestandene) Wunsch, der Mensch möge irgendwo aufgehoben sein.

Ludwig Hasler
bei seinem Vortrag
am SENE FORUM 2018
© Micha Riechsteiner

Wenn nach dem Tod «nichts» folgt, entsteht unweigerlich das Bedürfnis, an das bestehende Leben übergrosse Erwartungen zu stellen, so dass sich der Tod ausblenden lässt zugunsten dem Streben nach ewigen Steigerungen im Leben. Ludwig Hasler stellt die Frage, ob wir die verlorene Jenseitsvorstellung ins Diesseits projizieren können. Für Verhaltensweisen, wie man mit den Defiziten des Alters umgehen kann, führt er zwei Beispiele aus seiner Umgebung an: Ein Bekannter, der sein Alter als ständigen Verlust nicht aushalten kann, benebelt sich und «versinkt im Suff». Eine sehr alte Diakonissin, die sich, wie Hasler sagt, noch unter einem «metaphysischen Dach» geborgen fühlt, ist zwar physisch krank und gebrechlich, aber stets von grosser Heiterkeit erfüllt.

Intensität und Tätigkeit

Bequemlichkeit, Luxus, Lebensfreude – das sind die gängigen Lebensziele in unserer Gesellschaft. Sie taugen nichts für ein würdevolles Alter, meint Hasler und stellt dem die Kernfrage entgegen: Hat das Alter einen Sinn? Wie lässt sich der Sinn für die Jahre, die alten Menschen noch zur Verfügung stehen, definieren. – Hasler bezieht sich dabei auf das «dritte», das aktive Alter, im Unterschied zum «vierten Alter», dem prekären, gebrechlichen Alter.

Wenn ein Mensch im Alter «goldene Jahre» erlebt, ist das ein Geschenk, dessen sollten wir uns bewusst sein. Unsere Lebensbedingungen sind gegenwärtig für viele Menschen äusserst günstig: Wir können lange Jahre in freier Gestaltung leben. Wir können beispielsweise Reisen in aller Herren Länder unternehmen. – Aber, fragt Hasler, was nehmen die Reisenden mit? Sie bleiben sich wohl innerlich immer gleich. Ist es nicht einfach Zeitvertreib ohne innere Reifung?

Kleinkinder und alte Menschen brauchen auch tagsüber ein Schläfchen.
Adrian Ludwig Richter, Rast / commons.wikimedia.org

Den Sinn des Lebens zu suchen, bedeutet, die Gegenwart in aller Intensität zu leben, nicht in einen bequemen «Schongang» zu verfallen. Ein anderer wichtiger Faktor ist Tätigkeit: Alter hat dann Zukunft, wenn der alte Mensch an der Zukunft der anderen interessiert ist, bzw. sich engagiert, am Leben der anderen teilnimmt. Glück besteht darin, an etwas Grösserem, Umfassenderem mitzuwirken, sei es in der Familie oder einer anderen Form von Gemeinschaft. Glück entsteht aus einem Kohärenzgefühl und der Fähigkeit, die Zukunft der anderen mitzudenken. «Allein ist der Mensch in schlechter Gesellschaft», so formuliert Hasler einen gängigen Spruch um.

Der Sinn des Lebens ergibt sich nicht automatisch aus den Bonuspunkten der Lebensqualität. Stattdessen sollte man zurücktreten und sich innerlich erforschen: «Was ist mein Bild vom Menschen, was macht mich zu einem Menschen, vor dem ich selbst Achtung habe?» Zum Alter gehört auch im 21. Jahrhundert nicht nur die ständig explodierende Vitalität, sondern ebenso die dunkle Seite, das allmähliche Schwinden der Lebenskräfte bis zum Dahinvegetieren in der letzten Phase. Von seinen Mitmenschen, insbesondere von den pflegenden Personen wünscht sich Ludwig Hasler in dieser Phase kein Mitleid, aber mehr Heiterkeit. Er zitiert einen Vers von Bertolt Brecht, den dieser an seinem Lebensende notiert hat: «Jetzt gelang es mir, mich zu freuen alles Amselgesanges nach mir auch.» (aus: Bertolt Brecht, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Suhrkamp Verlag, Bd, XV Gedichte, S. 300)

Dieser Vortrag wurde im Rahmen des SENE Forum 2018 gehalten als Kontrapunkt zu den Darlegungen von Stephan Sigrist «Denkanstösse für das Zeitalter der Langlebigkeit», der die Ergebnisse einer Studie des Thinktanks W.I.R.E. präsentierte.
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Webseite von Ludwig Hasler

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