Der alte Hirschi

In Zug gab es früher einen Ausrufer, der mir in besonderen Momenten in Erinnerung kommt. Er ist ein wenig gute alte Zeit.

Es sind siebzig Jahre her. Als Schüler der Kantonsschule begegnete ich manchmal einem seltsamen Mann, der in der Hand eine laut klingende Stabglocke schwang und ausrief: „Heute Abend Männerchorkonzert!“ oder „Feuerwehrball im Casino!“ Er stand an einer Strassenecke, wo viele Leute vorbeikamen. Da er sehr seltsam gekleidet war, lachten wir Schüler über ihn. Die Zuger Kameraden kannten seinen Namen. „Das isch de Hirschi!“ belehrten sie mich. Wie der aussah! Er war ein älterer untersetzter Mann. Wenn ich mich recht erinnere, trug er eine Zipfelmütze, von der eine Zottel, wie bei einer Narrenkappe, auf die Schultern fiel. Über seinem dicken Bauch hing eine Kartonschürze mit Aufschriften und auf dem Rücken, den er steif trug, lag ein Plakat. Er war nicht zu übersehen und er tat auch alles, dass man ihn nicht übersehen konnte. Ich sehe ihn noch wie eine sprechende Litfasssäule vor mir und höre, wie er schreit: „S’Füürhorn! „S› nüi Füürhorn isch usecho!“, mit der einen Hand die Glocke schwingend und mit der anderen das Blatt.

Ja, das „Füürhorn!“, das die Feuerwehr nur bei einem Brand brauchte, das schlug an der Fastnacht Alarm. Es war das Extrablatt, das nur einmal im Jahr erschien und in allen Gemeinden verkauft wurde, wo es fastnächtlichen Trubel gab. Darin glossierte das Team der „freiwilligen Feuerwehr“ der Stadt Zug jährlich Politiker, Prominente aller Gattungen und solche, die sich als solche verhielten. Sogar selbstgefällige Prediger, die es darauf abgesehen hatten, die Männer von dem schändlichen, sündhaften Treiben zur Fastnachtszeit abzuhalten, wurden gehänselt. Alle diese Geschichten, von denen sich viele reimten wie Wilhelm Buschs Gedichte, lösten zum Teil kantonsweit Lachen, aber auch Rätseln aus. Sie gaben dem einen oder anderen Gelegenheit, Schadenfreude zu empfinden. Etwa über einen Bauern, der Gemeinderat werden wollte und für die Siegesfeier bereits eine Sau geschlachtet hatte und dann die Koteletten und Blutwürste selber essen musste. Solche Geschichten überdauerten oft die Fastnacht und sie gaben über Jahre hinaus Nahrung für den Stammtisch.

Der alte Hirschi war eine prächtige Figur und man hörte ihm gerne zu, auch wenn auf seinem Bauch ein Kandidat für ein Amt lächelte, für den man nicht stimmen mochte. Als nun dieser Tage das ExtraBlatt in meinem Postkasten lag, verging mir zwar nicht das Lachen, aber ich fand es im Vergleich zum von Hirschi angebotenen „Füürhorn“ fade. Einfach deswegen, weil ich beim Durchblättern, grosssprecherisch die ewig alten Themen vorgesetzt bekam. An einige Kandidaten, die darin auftreten, habe ich mich längst gewöhnt. Aber auch sonst bietet der erste Bund des ExtraBlattes nichts Neues, nichts, was ich darin nicht erwartet hätte. Das Lied: „Zuwanderung begrenzen“ wird in den alten Tönen gesungen. Keine neue Melodie mit neuem Text! Die einzige Vision, die das Blatt verkündet, lautet, die Schweiz zähle im Jahr 2040 wohl elf Millionen Bewohner. Was sonst noch so erzählt wird, hätte ich schon vorher auswendig aufsagen können. Selbstverständlich habe ich hier Vision mit Prognose verwechselt, aber sie macht sich halt breit wie eine Vision.

Ein schönes Bildchen erregte immerhin meine Aufmerksamkeit: Eine gewaltige Walze drückt die Schweiz zu Boden, platt, als ob man das Land noch platter drücken könnte, nachdem in ihm eigentlich nur noch die Banknoten und neuestens auch die Bitcoins regieren. Dass in diesem extra aus dem Boden gestampften Blatt nach allen Seiten Ohrfeigen verteilt und der liberale Arbeitsmarkt über alles gelobt wird, verwundert mich nicht. Wie schön doch, dass mir beim Durchblättern der gute alte, bunte und originelle Hirschi in den Sinn gekommen ist, der verkündete, was gerade so lief. „Füürhorn! S’Füürhorn isch erschiene! Hüt isch s› Blatt usecho!“ Und wie herrlich schwang er seine Glocke mit dem Holzstiel – Stil, im Unterschied zum Pamphlet, das gerade aufs Altpapier flog.

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