StartseiteMagazinKolumnenDer Regen weint, die Sterne kichern

Der Regen weint, die Sterne kichern

Der Wille des Volkes“ von Charles Lewinsky wird als Kriminalroman bezeichnet. Das ist er auch – aber nicht nur! Wichtig ist auch die gesellschaftspolitische Komponente.

Das im letzten Herbst erschienene Buch ist spannend, nicht nur wegen der beträchtlichen kriminellen Energie, die darin beschrieben wird. Sondern weil es in einer Zukunft spielt, in die wir unterwegs sind. Davon aber nicht so recht Notiz nehmen. Ein Beispiel. Die Hauptperson, Kurt Weilemann, pensionierter Journalist, früher gelegentlich „Kilowatt“ genannt, bewegt sich in Zürich. Einer Stadt, in der überall Überwachungskameras montiert sind.

Wenn ich das jemandem erzähle, bewirke ich keinen Aufschrei, sondern höchstens die lahme Bemerkung: „haben wir ja jetzt schon“. Nein, haben wir nicht. Wenigstens nicht überall. Im Treppenhaus, wo ich wohne, hat es garantiert keine Überwachungskamera!

Staatliche Nacherziehung

Zweites Beispiel: Littering. Im Weilemann-Zürich darf man kein Fetzlein Papier, keinen Zigarettenstummel auf den Boden werfen. Sofort wird man ermahnt. Von Hipos, jungen Hilfspolizisten in hellblauen Anzügen. „Ist doch gut“, sagen meine Gesprächspartner. „Dann hört diese Sauerei auf Trottoirs und Strassen endlich auf“. Nein, ist nicht gut. Ich will nicht für jede Unachtsamkeit eine staatliche Ermahnung gefolgt von einer Busse kassieren.

Mit Wehmut erinnere ich mich an die Satire von Ephraim Kishon. Er wollte, vermutlich auch in Zürich, zerknülltes Verpackungsmaterial eines Kuchens loswerden, am Boden, auf einer Bank, auf einem Mäuerchen. Immer kam ein liebenswürdiger Zeitgenosse gerannt, brachte ihm den zerknüllten Karton mit der Bemerkung: „Sie haben hier etwas verloren“. Kishon beschreibt das meisterlich. Es war als Kompliment für die Sauberkeit der Stadt gemeint!

Treffende Sprachbilder

Das von mir benützte Wort „Sauerei“ ist etwas grob. Aber ich passe mich an. Der Autor verwendet Ausdrücke wie „ums Verrecken“, „junger Schnösel“, „alter Sack“. Auch nicht besonders elegant. Vom Stuhle hingegen reissen mich seine Vergleiche. Der ehemalige Journalist Weilemann bezieht seine Zeitungen am Kiosk. Sie werden nicht mehr ins Haus gebracht. Wenn er verschläft, sind sie ausverkauft: „Dann musste man seine Zeitung am Bildschirm lesen, und das war ja nun wirklich, als ob man eine Frau durch so einen hygienischen Mundschutz hindurch küssen würde.“ Was für eine Formulierung!

Und das bequeme Bett, das er sich hatte anschaffen müssen, nennt er: „Spitalbett», «Altersheimbett», ein „Nächste-Station-Friedhof-Bett“. Allerdings schätzt er auch dessen Vorzüge. Die kranke Hüfte spürt er kaum mehr, mit aufgerichtetem Oberteil verwandelt es sich in einen Fernsehsessel und auch das Aufstehen und Aussteigen erleichtert es ihm. Das Alter durchzieht das Buch überhaupt als ständiges Thema. Fühle mich total verstanden.

Alt, aber immer noch neugierig

Weilemann hat das Alter nämlich noch nicht „im Griff“, noch nicht „akzeptiert“. Er erlebt es vom Morgen bis am Abend in allen Bereichen seines Alltags immer wieder, mal mit Staunen, mal mit Murren. Er sieht nicht mehr so gut, kann nicht mehr so rasch gehen, verknackt sich den Fuss. Kämpft mit der Entscheidung, ob er seinem alten Jagdinstinkt nachgeben und die Spur eines vergangenen Mordes, die ein ehemaliger Kollege aufgenommen hatte, weiterverfolgen soll. Denn der Kollege ist unterdessen verunfallt, beziehungsweise soll Selbstmord begangen haben. Nennen wir es neutral, er „kam zu Tode“.

Weilemann nimmt selbst eine Fährte auf. Ein Schriftsteller, der irgendwie in den Fall verwickelt gewesen sein soll, hat laut Wikipedia im Verlaufe seines Lebens dreizehn Bücher geschrieben. Weilemann findet aber bei all seinen Nachforschungen nur zwölf Titel, was seinen höchsten Argwohn erweckt.

Und hier, wie auch in anderen Teilen der Erzählung, versteht es Lewinsky meisterhaft, auszumalen, wie mit der zukünftigen Technik nicht nur Spuren gelegt, sondern auch total verwischt werden können. Ein dreizehntes Buch des Autors wird nirgends genannt, ist nirgends aufgelistet, in keiner Bibliothek erhältlich, in keiner Besprechung erwähnt, in keiner Lobrede zur Sprache gebracht.

Endlich findet er das Buch in einem Brockenhaus, im Keller, in einem chaotisch zusammengewürfelten Haufen alter Schmöker. Der Verantwortliche erlaubt ihm freundlicherweise den Zutritt. Er nimmt das Buch mit nach Hause, liest es, und es fällt ihm wie Schuppen von den Augen. Merkwürdiger Zufall, auch der dienstfertige Angestellte, durch den er das Buch fand, kommt unterdessen „zu Tode“. Ein Regal mit Büchern habe sich unglücklicherweise von der Wand gelöst und ihn erdrückt!

Ein einig Volk 

Damit habe ich den Hauptstrang, der das Buch durchzieht, noch gar nicht erwähnt. Es spielt in einer Zeit, in der die Partei der Eidgenössischen Demokraten in unserem Land die absolute Mehrheit übernommen hat und mit eiskalter Freundlichkeit regiert. Das Land hat nur noch sechs Bundesräte, alle dieser selben Partei zugehörig. Sie hatten auch noch einen Sozialdemokraten dazu nehmen wollen, gleichsam als Hommage an den Gedanken der Konkordanz. Da hatten die Sozialdemokraten aber nicht mitgemacht.

Sonst muckt niemand mehr auf. Nur nicht auffallen, ist die Devise. Ich gestehe, dass ich mich während des Lesens an den Gedanken klammerte, dass in unserem Lande keine Partei je über etwa dreissig Prozent Wähleranteil hinauskommen wird. Aber wenn das nur eine fromme Hoffnung wäre?

Das Buch ist so eindringlich geschrieben, dass für mich zeitweise Realität und Fiktion ineinander verschwanden. Lewinsky beschreibt eine Szene im Wald. Weilemann ruht sich aus und auf der Lichtung zeigt sich ein Reh. Bleibt kurz stehen und verschwindet wieder. Ich ertappte mich beim Gedanken, shame on me, das Reh sei virtuell gewesen (wie die Dinosaurier in „Jurassic Parc“) und habe eine Überwachungskamera im Kopf gehabt …..

Totale Kontrolle kennt keinen Humor

In der ersten Hälfte fand ich das Buch tiefgründig, witzig und unterhaltsam. In der zweiten Hälfte lag es wie Blei auf meinem Gemüt und ich musste mich durchkämpfen. Der Alltag, der sich in einem System der totalen, aber wirklich totalen Überwachung abspielt, lässt eben nicht mehr viel Raum für Humor!

Zum Glück bin ich nicht Literaturkritikerin und muss nichts bewerten. Meine Meinung hingegen ist klar: dieses Buch sollten alle lesen, welche einen Blick in eine Zukunft tun wollen, in die zu gehen wir bereits recht sorglos unterwegs sind.

Charles Lewinsky: „Der Wille des Volkes“. Kriminalroman. 2017 Nagel und Kimche. ISBN 978–3–312-01037-0

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