Oder wie die CSS-Krankenkasse in die Kritik geriet…
Ist ihr die 10’000 Franken-Franchise-Botschaft einfach schnell, zu schnell über die Lippen gekommen, oder hat sie die Botschaft bewusst lanciert, hat sie quasi einen Luftballon gestartet, um zu erfahren, wie so eine Botschaft in der Öffentlichkeit ankommt? Und angekommen ist die Botschaft zweifellos und wie: Das Entsetzen ist gross. Philomena Colatrella, die Vorsitzende der Konzernleitung der Krankenkasse CSS, hat mit ihrer Interview-Aussage in ein Wespennest gestochen. In Luzern, im Hauptsitz des Konzerns, sind die geharnischten Reaktionen aus allen Bevölkerungsschichten darauf dem Management der CSS in die Knochen gefahren.
In der Arena des Schweizer Fernsehens vom letzten Freitag ist die mutige, wohl auch etwas mutwillige Frau nicht aufgetreten. Kleinlaut liess sich der Konzern lediglich in einer schriftlichen Mitteilung in der Sendung vernehmen, was sie wohl besser vor dem Interview getan hätten: Die CSS will jetzt nach dem Interview zu rechnen beginnen. 1,7 Millionen Kunden darf die stolze CSS (einst als Christlichsoziale Krankenkasse gegründet und genannt) versichern, die sich selbst zu rühmen weiss, schreibt sie doch auf ihrer Homepage: „Die CSS engagiert sich als führender Krankenversicherer für ein nachhaltiges und solidarisches Gesundheitssystem.
Wie solidarisch war die kühle Aussage der Chefin, wenn sie vorrechnete, dass mit einer Franchise von 10’000 Franken der Kostenexplosion im Gesundheitswesen Einhalt geboten werden könne und die monatliche Prämie auf rund 170 statt 450 Franken im Monat sinken würde? Ging sie schlicht von ihrer persönlichen finanziellen Situation aus? Als gut-, wenn nicht bestbezahlte Krankenkassen-Managerin verdient sie wohl rund 55`000 bis 60’000 Franken im Monat, wenn nicht mehr (ihr Vorgänger bezog 2016 rund 760`000 Franken). Da kann man sich eine Franchise von 10’000 Franken im Jahr ohne Wimpernzucken leisten.
Wie sieht das aber ein Familienvater, der als Facharbeiter mit einem monatlichen Gehalt von 6000 bis 8000 Franken auskommen muss, der davon für die Ferien, für ein Auto sparen muss? Und im Monat gegen 1000 Franken für die Krankenkassenprämien für seine ganze Familie zu zahlen hat? Wohl nicht so rosig. Im Gegenteil. Da entsteht Wut, kommt ein grosses Unbehagen auf gegenüber einer Krankenkasse, die sich von einer solidarischen Institution in eine arrogante Saniererin verwandelt, so ein Argument ihrer lauten Chefin in einem Interview.
Zweifellos, die Kostenexplosion muss gestoppt werden. Das schweizerische Gesundheitswesen muss in berechenbare Bahnen gelenkt werden. Noch ist guter Rat teuer, weil alle Akteure nur eines sehen: ihren eigenen Profit. Grundsätzlich sind Ideen mehr als erwünscht, auch krude. Natürlich kann man die Franchise markant erhöhen für all die, die es sich leisten können. Nur: Die tiefen Franchisen müssen bleiben. Im Fokus der nötigen Reformen müssen die kleinen und mittleren Einkommen stehen. Die bereits bestehende Prämienverbilligung muss vor allem den Familien zugutekommen.
Insbesondere sind die Kantone gefordert. Sie wollen sich immer mehr aus den Gesundheitskosten zurückziehen. Die Prämienverbilligungen versuchen sie zu senken. Mit ambulant statt stationär wollen sie ihre Spitalfinanzierung, die sie zu 55% übernehmen zu haben, reduzieren, in dem die Kosten der ambulanten Behandlung den Krankenkassen anheimfallen. Die Gesundheitskommission des Nationalrates will das ändern, auch die ambulanten Kosten sollen von den Kantonen mitgetragen werden. Der Aufschrei der kantonalen Gesundheitsdirektoren ist schon jetzt zu vernehmen. Sie sträuben sich dagegen, und wieder liegt ein Beweis dafür auf dem Tisch, dass alle nur für sich schauen.
Die CVP will mit der am Samstag lancierten Initiative eine Kostenbremse einführen und 6 Milliarden Franken einsparen. Das Argument: Der Mittelstand könne die Prämien bald nicht mehr bezahlen. Die Initiative will deshalb festlegen, dass die Gesundheitskosten – und damit die Prämien – nicht stärker wachsen dürfen als die Gesamtwirtschaft und die Löhne. Aber auch dieser Initiative erwächst bereits Widerstand. Zu dirigistisch komme sie daher. Nur wenig bringe sie. Bei den gesamten Gesundheitskosten von rund 84 Milliarden Franken sind 6 Milliarden tatsächlich lediglich rund 7 Prozent. Immerhin.
So geht es endgültig nicht mehr. Es braucht eine Reform an Haupt und Gliedern. Wo sind wir gelandet? Jedenfalls weit weg von der einst solidarischen Eidgenossenschaft.