StartseiteMagazinKulturEin Signal gegen politische Willkür

Ein Signal gegen politische Willkür

Die Kunst triumphierte wieder einmal über die Politik. Und das Opernhaus Zürich hat den Triumph möglich gemacht – ein starkes Zeichen für Solidarität und Freiheit.

Der Schlussapplaus wurde doch noch zu einer politischen Demonstration gegen die Willkür des russischen Staatsapparats und für die Freiheit der geknebelten Kunst. Alle Hauptdarsteller trugen ein weisses T-shirt mit der Aufschrift „Free Kirill“. Was für eine denkwürdige Nagelprobe hinter der Neuinszenierung von Mozarts „Cosi fan tutte» – und ein ermutigendes Zeichen der Solidarität für Kirill Serebrennikov, dem russischen Regisseur und Filmemacher, einem Symbol des Widerstands, der seit 14 Monaten aus nichtigen Gründen in Moskau unter Hausarrest steht.

Intendant Andreas Homoki hätte es sich leicht machen und die Regie in andere Hände legen können, als sich abzeichnete, dass dem aufmüpfigen Künstler Serebrennikov der Prozess für eine vermeintliche Unterschlagung von Geldern für ein Theaterprojekt gemacht wird. Aber nein, «wir können Serebrennikow jetzt nicht hängenlassen», so Homoki. Man behalf sich mit einem eigens angefertigten Regiebuch und Anweisungen per Video, um die Vorgaben für Regie, Bühnenbild und Kostüme durch seinen Assistenten Evgeny Kulagin umzusetzen. Das Wagnis darf sich sehen und hören lassen.

«Das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft»

Auf die Frage der NZZ, wie stark sich die 400 Jahre alte Kunstform Oper politisch positionieren müsse, antwortete Homoki:  „Für mich ist «politisch» ein Begriff, der grundlegend das Zusammenleben von Menschen beschreibt: wie sich eine Gesellschaft formiert, was für Inhalte und Haltungen in ihr verbindlich werden – gegebenenfalls auch Haltungen, die unter Umständen die Freiheit von Einzelnen behindern oder einschränken. Und das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft – das ist nun wieder eines der zentralen Themen des Theaters und der Oper von ihren Anfängen bis heute.“ Dass nun plötzlich Medien aus aller Welt Interesse daran fanden, Licht hinter die Arrestmauern des Regisseurs zu bringen, zeigt eine erfreuliche Sensibilisierung für die Unabdingbarkeit künstlerischer Freiheit.

Die Wette gilt: Michael Nagy (Don Alfonso), Andrej Bondarenko (Guglielmo) und Frédéric Antoun (Ferrando, v.l.) / Fotos © Monika Rittershaus

Zurück zu Mozart. „Cosi fan tutte“ ist seine drittletzte Oper und in Liebesdingen seine radikalste. Die Treue der Frauen soll überprüft werden, die beiden verlobten Schwestern Fiordiligi und Dorabella sind das Ziel. Alfonso schickt die Liebenden Ferrando und und Guglielmo vermeintlich in den Krieg und lässt sie, als Exoten verkleidet, zurückkehren, um deren Widerstand zu brechen. Die beiden schrecken selbst vor einer theatralischen Selbstmordszene nicht zurück, um das Herz der an sich standfesten Frauen für sich zu gewinnen. Wie uns die Geschichte lehrt, wird also nicht an der Treue der Männer gezweifelt, ihr Angriff ist die beste Verteidigung. Dass Serebrennikov hier die MeToo-Debatte und die Femen-Protestbewegung ins Spiel bringt und ordentlich auf den Putz haut, wenn es gilt, die bis zum Äussersten verwirrten Schwestern notfalls mit latent bekannten Tricks gefügig zu machen, wer will es ihm verübeln. Notwendig wäre aber das ausschweifende Liebesgezerre zwischen Dorabella und Guglielmo in den Bettlaken zweifellos nicht. Auch sonst treibt der Regisseur seine Fantasie handgreiflich auf die Spitze, indem er die als Soldaten Abkommandierten in zu Särgen verwandelten Wandschränken sterben lässt.

Serebrennikov – ein Vulkan speit Glut und Asche

Der Russe ist ein Vulkan an kreativen Einfällen, doch neben der Glut schleudert er auch etwas unnötig Asche in die Inszenierung. Sein Filmhandwerk geizt nicht mit Videoschnipseln aus Kriegsschauplätzen, Frauendemos, Frauen-am-Herd-Werbungen  seligen Angedenkens und Überblendungen der Szenerie. Die beiden Exoten geniessen sogar das WM-Spiel Brasilien-Schweiz mit dem sich am Boden windenden Neymar, bis ihnen eine der Schwestern den Stecker zieht. In aberwitzigem Tempo verlangt er insbesondere Fiordiligi und Dorabella alles ab, was sie darstellerisch und gesanglich gerade noch bewältigen können. Die beiden Männer haben es da etwas leichter, da sie von zwei Schauspielern (Francesco Guglielmino und David Schwinding) gedoubelt werden, derweil sie, in Schwarz gekleidet, das Geschehen jederzeit steuern und in ihre Bahnen lenken können.

Rosenblütenregen über die geneppten Schwestern Fiordiligi und Dorabella 

Es ist ein Glücksfall, dass Assistent Evgeny Kulagin auch noch Choreograph ist und 2002 eine zeitgenössische Tanzkompanie gründete. Seine Figuren irrlichtern mit einer Eleganz sondergleichen durch die doppelstöckige Szenerie, die Bewegungsabläufe sind in einen Schwebezustand versetzt, der betört.

Cornelius Meister steht am Pult der Philharmonia Zürich und hat sich als Mozart-Interpret bereits einige Meriten verdient. Aber wer sich die DVD-Live-Aufnahme aus den Jahre 2000 unter Harnoncourt erneut zu Gemüte führt, muss hier schon ein paarmal über eher flache, dümpelnde Routinepassagen hinweghören und auch einige Patzer verschmerzen. Der zündende Funke springt allzu selten. Der unnachahmliche Schmelz des epochalen Meisters ist halt nur noch Erinnerung. Doch das ist Nostalgie auf höchstem Niveau.

Das Ende aller Illusionen mit den Babas und ihren Verehrern lässt alle Fragen offen 

Eine Ohren- und Augenweide sind die Armenierin Ruzan Mantashyan, neu in Zürich, und die Russin Anna Goryachova, die sich um Herz und Verstand singen und höchste Erwartungen erfüllen. Dass die Russin sich dann im Schlussapplaus beherzt auf Evgeny Kulagin stürzt und uns das „Free Kirill“ unter die Haut ritzt, ist so verständlich wie berührend. Frédéric Antoun überzeugt als Ferrando über weite Strecken, wogegen Andrei Bondarenko als Guglielmo zeigt, dass er eigentlich nicht im Mozartfach zuhause ist. Weshalb hier das immer noch junge Eigengewächs Ruben Drole wie 2005/6 nicht zum Handkuss kam, bleibt ein Rätsel. Rebeca Olvera ist eine umtriebige Despina, aber gesanglich z.T. mit allzu verhaltener Stimme. Michael Nagy ist ein versierter Bariton und gibt den Strippenzieher Alfonso viril und rollendeckend, aber nicht mehr. So oder so, diese „Cosi“ verdient volle Häuser und auch unsererseits ein Zeichen der Solidarität.

Weitere Vorstellungen: November 8, 11, 13, 16, 21, 24, 28, Dezember 1

 

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