Ein Liebes- und Lebensroman in Briefen: Schön und recht wagemutig waren sie, das wohl interessanteste Literaten-Paar, das je in der Schweiz gelebt und Bücher geschrieben hat: Corinna Bille und Maurice Chappaz. Sie liebten sich, sie schrieben sich, sie hatten drei Kinder, lebten jedoch nur selten wie eine bürgerliche Familie.
Hunderte Briefe der beiden Walliser Schriftsteller kamen auf Wunsch von Witwer Maurice Chappaz 2016 in der Originalsprache bei den Editions Zoé heraus; nun kann diese Liebes- und Literaturgeschichte in Briefen übersetzt und mit Sorgfalt gekürzt von Lis Künzli in einer deutschen Übersetzung gelesen werden. Der Briefwechsel 1942 bis 1979 trägt als Buchtitel ein Zitat von S. Corinna Bille aus einem Brief vom Juli 1942, ein halbes Jahr, nachdem sich die beiden erstmals begegneten: Ich werde das Land durchwandern, das du bist. Beide waren eigenständige Literaten, Ikonen der Romandie mit Erfolg über die Grenzen bis nach Paris. S. Corinna Bille wurde 1975 der Prix Goncourt verliehen, Maurice Chappaz bekam 1997 für sein Lebenswerk die Bourse Goncourt de la poésie.
Fifon und ihr Bélier an Fronleichnam 1942
Sie lernten sich – beide am Beginn einer Laufbahn als Literaten – am 21. Januar 1942 im Schloss Glérolles am Genfersee kennen. Corinna, eigentlich Stéphanie, genannt Fifon, und Maurice, eigentlich Achille getauft, teilten 37 Jahre lang bis zum Tod von Corinna ihr Dasein als Liebende, Eltern, Ehepartner, Freunde und Schriftsteller. Ihr Briefwechsel ist Zeugnis von zwei eigenständigen Literaten, die zwischen Nähe und Ferne nomadisierten. Es war eine intensive Beziehung, das lässt sich aus den zahlreichen, oft sehnsuchtsvollen, oft auch ein bisschen vorwurfsvollen Briefen lesen, welche das Bindeglied zwischen zwei Menschen sind, die um ihrer Leidenschaft willen die Wahl getroffen hatten, «auf Distanz» zu leben, um schreiben zu können. Vielleicht kam Corinna Bille beim Wunsch nach Freiheit, vor allem nach Zeiten ohne Störung zum Schreiben, etwas zu kurz, nachdem die Kinder da waren, obwohl Chappaz ihr versprach, alles zu tun, damit sie Schreib-Oasen bekomme.
Einfach war das oft getrennte Zusammenleben der beiden wohl nie, trotz all der Liebe und des Glücks, das sie sich in ihren Briefen gegenseitig versichern. Damals im Wallis ein uneheliches Kind zu bekommen, durfte nicht sein, vor allem wenn dessen Mutter aus angesehenen Kreisen stammte, dessen Vater erst recht zum Bürgertum zählte. Corinna zog hochschwanger ins anonymere Lausanne, um zu gebären. Aus der Korrespondenz geht hervor, wie subtil Maurice seine Familie mit der Tatsache vertraut macht und wie erleichtert er ist, dass sein Vater bereit zur grosszügigen finanziellen Unterstützung ist, allerdings unter der Bedingung einer Heirat. Corinna träumt ebenfalls kurz vom trauten Heim mit Dienstmädchen, stellt aber gleich wieder fest, dass das ja gegen beider Wunsch nach Unabhängigkeit läuft.
Doppelseite im Buch: Links Maurice Chappaz mit Blaise, rechts die junge Familie unterwegs nach Geesch, wo sie ein uraltes Haus bewohnen.
Kaum waren sie ein Paar, musste Maurice Chappaz zum Aktivdienst einrücken. So erfahren die Lesenden aus den Briefen nebenbei, wie mühsam und langweilig der Militäralltag war. Aber auch wie schwierig es war, während der Rationierung an ausreichend Nahrung für Corinna zu kommen, die in den Anfängen auf dem Papier noch in Frankreich verheiratet ist und daher keine Lebensmittelmarken zugeteilt bekommt. Wer einen Einblick in den Literaturbetrieb wünscht, dem bietet dieser Briefwechsel ebenfalls einschlägige Informationen, die sich teils auf heute übertragen lassen.
Das erste Kind Blaise kommt am 24. August 1944 zur Welt, während Maurice Chappaz Aktivdienst leistet. Fast zeitgleich erscheint Corinnas erster Roman Théoda und sein erstes Buch Die hohe Zeit des Frühlings, nicht nur von der Kritik gut aufgenommen, auch in den gegenseitigen Familien mit Respekt und Freude begrüsst. Die Eheschliessung findet im Juni 1947 statt, das zweite Kind, Achille, kommt im folgenden März zur Welt. Das dritte, Marie-Noëlle im Jahr 1950.
Während sie sich in den frühen Jahren fast täglich schrieben, wenn sie nicht zusammen waren, verebbte die Kommunikation in den 60er Jahren. – Der Alltag, das nomadisierende Leben, die ständigen Finanzprobleme und die kleinen Freiheiten, die sich Maurice mit Frauen herausnahm, hatten an den Kräften von Corinna gezehrt. Jedoch versichert er ihr, dass sie in seinem Leben das Wichtigste sei und versucht, Verständnis für seine Ziele und Schwächen zu wecken. So erklärt er in einem Brief vom September 1953, geschrieben auf einer Weitwanderung, dass ihn einerseits bedrücke, nicht für seine Familie aufkommen zu können, dass ihm aber auch klar sei, sich «niemals an eine Anstellung gewöhnen» zu können. Anderseits wisse er, dass er fähig sei, «ein sehr schönes Werk zu schaffen.» Und sie freut sich kurz darauf aus einem Erholungsurlaub in Verscio, wie sie «die immense Ruhe hier» geniesse, die es ihr erlaube «stundenlang zu schreiben, ohne gestört zu werden.»
Und immer wieder der Alltag, die Kindererziehung, die Mühen des Haushaltens. Dass pubertierende Teenagers sich auflehnen (müssen), gehört ebenso zum Leben wie das Dichten. Weil Blaise mal nicht ins Kino durfte, zertrümmerte er seine Uhr und seinen Wecker, «und er ist sauer, weil ich ihm nicht noch eine weitere Uhr zum Zertrümmern gebe», schreibt seine Mutter am 28. Februar 1959. Regelmässig tauchen nebst Mitteilungen über Schreibarbeit oder Verlagsnachrichten solch ganz banale Alltagshinweise auf, die dem Briefwechsel diese einzigartige Mischung aus literarischer Sprache und intellektuellem Dialog sowie Simplizitäten über Elternfreude oder -leid und kaputte WC-Spülungen geben, während aus jedem Schreiben die tiefe Zuneigung und die grosse Liebe der zwei spricht.
Ein Glück für uns Leserinnen und Leser auch, dass es damals noch keine Mails und schon gar keine Messengerdienste gab. Wer heute nicht aktiv und im Hinblick aufs Literaturarchiv plant, wird kaum viel Material für Briefbände hinterlassen, nicht nur weil ja alles mit einzwei Tastenbewegungen gelöscht werden könnte, sondern auch weil die Mitteilungen wohl meist eher banal wären.
Als die Kinder erwachsen sind, beginnt nochmals ein Lebensabschnitt, unternehmen Mann und Frau lange Reisen. Er nach Asien oder auch tagelang in seine geliebten Berge, sie nach Italien und Afrika. Von diesen Weltreisen schreiben sie sich fast wie in den Anfängen wieder lange Briefe – bis Corinnas Krebserkrankung nach der Rückkehr von einem der Besuche bei ihrem Sohn Blaise in Abidjan in der Elfenbeinküste der Beziehung 1979 ein jähes Ende setzte.
Corinna Bille und Maurice Chappaz
Vor allem andern ist der Briefwechsel Zeugnis einer Liebesgeschichte, die 37 Jahre dauerte, und ein Stück Zeitgeschichte samt Reiseberichten aus Afrika und Asien aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Französischkundigen, die sich weiter in diesen ausserordentlichen Briefwechsel vertiefen wollen, sei die umfangreichere Originalausgabe Jours fastes, Edition Zoé , Genf 2016, empfohlen.
Briefwechsel 1942–1979. Aus dem Französischen von Lis Künzli. Edition Blau im Rotpunktverlag, Zürich 2019