Es ist eine faszinierende Ausstellung, die im Kunsthaus Zürich ab heute zu sehen ist: «Matisse – Metamorphosen» zeigt die ganze Ausdruckskraft eines der prägendsten Vertreter der Klassischen Moderne. Der Schwerpunkt liegt indes nicht bei Henri Matisse, dem Maler. Sein plastisches Werk dominiert die dank transparenten Raumteilern durchlässig und geheimnisvoll zugleich gestalteten Werkschau.
Henri Matisse (1869-1954) schöpfte sein gestalterisches Können voll und ganz aus. Er ist, natürlich, der Maler, berühmt für seine farbenfrohen Bilder, der Zeichner, der seinen Strich gleichsam tanzen lässt. Weniger bekannt ist er als Bildhauer. In Zürich nun stehen diese Arbeiten erstmals im Zentrum. Sind doch seine Skulpturen sowohl ein eigenständiges Oeuvre wie auch ein interessantes zusätzliches Element im schöpferischen Kontinuum des Künstlers. Dass er den gestalterischen Prozess seiner Werke mittels Fotografie dokumentierte, bildet ein weiteres Faszinosum in dieser von der Kuratorin Sandra Gianfrede sorgfältig und ganzheitlich kuratierten Ausstellung.
Matisse, der Bildhauer
«ich modelliere ebenso gerne, wie ich male – ich habe da keine Vorliebe». Die Bedeutung dieses Zitats von Henri Matisse wurde lange verkannt. Matisse, das war der Maler, der Schöpfer auch der bunten «Papiers découpés», die mit dem deutschen Wort «Scherenschnitt» nur unvollständig beschrieben sind. Matisse selber spielte im Alter den Stellenwert seines plastischen Schaffens eher herunter. Vielleicht auch, weil der skulpturale Teil seines Werks mit rund 80 meist kleinformatigen Arbeiten quantitativ eher bescheiden ist.
Blick in die Ausstellung: Aus Kohlezeichnungen werden Skulpturen. Und doch sind beides eigenständige Werke.
Dieser Eindruck wird, so scheint es auf den ersten Blick, bereits am Eingang in den Bührlesaal widerlegt: Mächtig und wuchtig steht er da, der Bronzemann mit den grossen Fäusten und der grimmigen Miene. Aber halt, diese Skulptur stammt von Rodin, ist ein Teil der «Bürger von Calais»! Und dominiert nun die Matisse-Metamorphosen?
Es ist ein ungewohnter Einstieg in das Werk eines Künstlers, auch wenn der monumentale Kerl auf die Vorbilder verweisen soll, die Matisse bei seinem plastischen Werk als Inspirationsquellen dienten. Und der im axial angeordneten Ausstellungskonzept Blickkontakt hält mit dem deutlich kleineren «Leibeigenen» von Matisse.
Verwandlung im Laufe von 20 Jahren
Seine fast ebenso monumentalen und ungleich aussagekräftigeren Reliefs «Nu de dos» finden sich dann im hinteren Teil der Ausstellung. Dabei illustrieren die vier überlebensgrosse Bronzen den Begriff «Metamorphosen» auf das Deutlichste: Eine weich modellierte, als weiblich zu erahnenden Figur verwandelt sich in drei weiteren Schritten in einen abstrahierten, harten, geschlechtslosen Rückenakt. Dass die vier Reliefs nicht als Serie, sondern in einem Zeitraum von 20 Jahren entstanden sind, erschliesst sich dem Betrachter erst beim Lesen der Hinweisschilder oder mittels Audioguide. Letzterer gibt es übrigens auch in einer Version für Kinder.
Absolut einmalig ist die in dieser Form noch nie dokumentierte Gegenüberstellung des malerischen, zeichnerischen und plastischen Werks des Künstlers. Interessant dabei ist, dass Matisse die Überführung in die verschiedenen Zustände mittels Fotos dokumentierte. Und dass einzelne seiner Skulpturen in seinen Intérieur-Bildern als dekorative Elemente wieder auftauchen.
Dass das Kunsthaus aus der kürzlich gross aufgekochten Tizian-Diskussion gelernt hat, zeigt sich bei einem der liegenden Akte. Ausführlich wird erläutert, weshalb der Guss nicht eindeutig Matisse zugeordnet werden kann und deshalb nicht als autorisiertes Werk gelten darf. Denn auch, wenn Matisse die meisten Gipse nach dem Guss zerstörte, besteht die Möglichkeit, dass einzelne Exemplare für Nachgüsse verwendet wurden.
Es ist, mit rund 70 Werken, ergänzt durch Reproduktionen historischer Fotografien und Filmdokumenten, eine grosse, umfassende Ausstellung über die unbekannte Seite eines bekannten Künstlers. Die «Metamorphosen» sind im Kunsthaus Zürich – übrigens mit wieder offener Eingangshalle – bis zum 8. Dezember zu sehen. Im Anschluss werden sie im Musée Matisse in Nizza zu sehen sein, das als Koproduzent der Ausstellung zeichnet.
Titelbild: Atelier von Henri Matisse im Hotel Regina in Cimiez bei Nizza. 1953. (Kunsthaus Züich)
Weitere Informationen, auch über die Rahmenveranstaltungen unter www.kunsthaus.ch