Die Salzburger Festspiele und Lucerne Festival sind Sommer für Sommer die Kronjuwelen der Musikliebhaber aus nah und fern. Sie sind aber auch Zwillinge der Hochkultur und ergänzen sich auch in Sachen Pionierarbeit auf mustergültige Weise.
Die Mär von den Musikperlen für die „haute volée“ gehört auf den Misthaufen der Geschichte. In Salzburg reicht die Preisspanne von € 5 bis € 440 und in Luzern von gratis bis maximal Fr. 350.- . Natürlich kosten die besten Plätze für die Begegnung mit hoch kotierten Orchestern und Künstlern eine schöne Stange Geld, aber es wird gerne vergessen, dass die Wohlhabenden erst das Engagement der jüngeren Künstler und der Avantgarde ermöglichen. Es ist wie in der Wirtschaft: Ohne die Steuern der Grosskonzerne und Multis vermöchte auch der Sozialstaat die wachsenden Kosten nicht mehr zu stemmen. Und ohne die Hochfinanz und das Mäzenatentum könnten die Musikfestivals das Niveau nicht mehr halten. Schon nächstes Jahr muss z.B. Luzern auf das Oster- und Pianofestival verzichten. Und Salzburg sucht 300 Mio. €, um den ins Alter gekommenen Spielstätten zu neuem Glanz zu verhelfen.
Gerne wird die Wertschöpfung vergessen, welche die Touristen der Volkswirtschaft, der Hotellerie, der Gastronomie und dem Detailhandel einbringen. In Salzburg sind das 183 Mio. Euro und in ganz Österreich 215 Mio. In Luzern sind es immerhin für den einen Monat auch 22,6 Mio. CHF. Es ist nur zu unterstreichen, was Hubert Achermann, Präsident Stiftung Lucerne Festival, kund tat: „Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass das Lucerne Festival etwas mehr Wertschätzung verdienen würde – vor allem auch in der Politik“.
Intendant Markus Hinterhäuser, Salzburg
Salzburg feiert nächstes Jahr 100 Jahre Salzburger Festspiele (die braunen Jahre der Nazi-Herrschaft ausgeklammert) und gedenkt, das Jubiläum mit einer Landesausstellung zu initiieren. Zur Erinnerung: Max Reinhardt begründete am 22. August 1920 die Festspiele mit Hofmannsthals „Jedermann“ auf dem traditionellen Domplatz.
In Salzburg ist der Vertrag mit Intendant Markus Hinterhäuser vorzeitig bis 2026 verlängert worden. Ein ermutigendes Zeichen für einen Künstler, der das Erfolgsgeheimnis zwischen Tradition und Innovation mit beharrlichem Selbstverständnis und hohem Zuspruch in sich trägt.
Intendant Michael Haefliger, Luzern
Luzern konnte letzten Sommer auf 80 Jahre Erfolgsgeschichte zurückblicken. Doch auf den Lorbeeren ausruhen will niemand. Dafür ist Intendant Michael Haefliger bis mindestens 2025 Garant für eine weitsichtige Progammierung, hochkarätige Kunst, innovative Konzertformate und auch für die zeitgenössische Musik ein unermüdlicher Wegbereiter.
Die Mythen der Antike und die „Macht“ als Leitmotive
Salzburg wollte 2019 unsere Empathie für die Antike wecken, „in denen Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal einen magischen Spiegel sah.“ Stellen sie doch „die ewiggültigen Fragen nach unserer Existenz und thematisieren Krieg, Flucht, Opfer, Rache, Schuld und Sühne.» Und sie taten das mit Mozarts „Idomeneo“ mit dem etwas ver-rückten Partisanengespann Currentzis/Sellars, mit Enescus „Oedipe“ unter der eindringlichen Stabführung von Ingo Metzmacher und in der wegweisenden Regie des 85-jährigen Achim Freyer, der noch Meisterschüler für Bühnenbild bei Bertolt Brecht war. Auch Cherubinis 1797 entstandene Oper „Médée“ fand unter Thomas Hengelbrock Eingang ins Programm.

Den Vogel schoss aber Barry Kosky mit einer irrlichternen, ja hirnrissig überdrehten, in der Perfektion absolut unübertrefflichen Regiearbeit zu Jacques Offenbachs Opéra-bouffon-Persiflage „Orphée aux enfers“ (Orpheus in der Unterwelt) ab. Packender hätte man seinem 200. Geburtstag die Ehre nicht erweisen können. Schauspieler Max Hopp sprach alle Rezitative synchron und verblüffte durch unnachahmliche Präzision und atemberaubende Stimmwechsel. Enrique Mazzola war ein kongenialer Pultpartner und trieb die Wiener Philharmoniker mit moussierendem Drive auf die Stuhlkanten. Was für ein Gaudi!
Offenbachs «Orpheus in der Unterwelt» mit Joel Pietro (Orphée), Kathryn Lewek (Eurydice) und Max Hopp (John Styx) in Barry Koskys Genieblitz / Fotos © Monika Rittershaus
Von Bernard Haitink zu Simon Rattle und Kirill Petrenko
Bernard Haitink: Eine Legende tritt ab / Foto © Priska Ketterer
Es war ein bewegender Abschied. Der 90-jährige holländische Dirigent, der rein gar nichts mit den exaltierten Pultheroen unserer Zeit zu tun haben wollte, stand sowohl in Salzburg wie in Luzern ein letztes Mal im Rampenlicht. Dass er der Leuchtenstadt zum Abschluss seiner 65-jährigen Karriere noch ein allerletztes Mal mit seinem magistralen Leuchten die Reverenz erwies, war symptomatisch, blieb er doch dem Lucerne Festival während Jahrzehnten aufs engste verbunden (auch durch seinen Wohnsitz in Kastanienbaum). Er wird uns mit seiner Bruckner-Deutung und seiner stets uneitlen Haltung im Dienste der Musik in dankbarer Erinnerung bleiben.
Simon Rattle, seit 2017 nun mit dem London Symphony Orchestra unterwegs, brachte den Ophelia-Monolog „let me tell you“ des dänischen Komponisten Hans Abrahamson mit der Sopranistin Barbara Hannigan zu Gehör. Sie darf nun füglich als die Callas der zeitgenössischen Musik bezeichnet werden, eine Ausnahmeerscheinung an eindringlicher Charakterzeichnung und subtilster Gestaltungsgabe. Dass Rattle auch noch die paradiesische Verheissung „Eclairs sur l’Au-Delà“ von Olivier Messiaen im Gepäck mitbrachte, machte den Abend erst recht zum Ereignis. Das zweite Programm mit Haydn, Britten und Rachmaninow zeitigte dann einige empfindliche Qualitätsunterschiede zu den Berlinern, die er 16 Jahre lang befehligte. Aber der Musikpädagoge Rattle ist auf dem besten Weg, auch die Londoner wieder zu einem Spitzenorchester zu formen.
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker
Bleibt noch sein Nachfolger in Berlin, Kirill Petrenko, welcher der 9. Beethoven wie in Salzburg eine „Lulu“-Suite von Alban Berg voranstellte. Und hier finde ich aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Der akribisch arbeitende und traumwandlerisch beseelt dirigierende Petrenko bildet mit den Berlinern eine Symbiose, die mit keinen Superlativen zu überbieten ist. Es war schlicht magisch. Was für ein Glück, ihnen zuhören zu dürfen.
Das Salzburger Festspielprogramm 2020 ist ab November 2019 abrufbar unter www.salzburgfestival.at. Kartenanfragen an: www.info@salzburgfestival.at
Das Programm des Lucerne Festival wird im Februar 2020 publiziert. Karten können über www.ticketbox@lucernefestival.ch gebucht, Anfragen an info@lucernefestival.ch gerichtet werden.