Das Eröffnungsfestival am Schauspielhaus Zürich unter neuer Leitung liess unterschiedliche Sichtweisen und Vorlieben erkennen. Wir besuchten nach „Flex“ und „Wunschkonzert“ zwei weitere Aufführungen, die die Diversität der neuen Intendanz illustrieren: „Der erste fiese Typ“ nach dem Roman von Miranda Julys im Pfauen und „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horvath in der Schiffbau-Box.
Die beiden Aufführungen sind erprobte Arbeiten, die anderswo schon mehrfach gezeigt wurden und teils auf begeisterte Resonanz stiessen. Das gilt vorab für den von Regisseur Christopher Rüping an den Münchner Kammerspielen (2017) dramatisierten Roman „Der erste fiese Typ“ von Miranda Julys. Im Zentrum des Zweipersonenstücks steht die 43jährige Cheryl, die sich unglücklich in ihren zwanzig Jahre älteren Chef verliebt, der sich wiederum in eine 16-Jährige verguckt hat. Cheryl lebt und pflegt ihre Eigenheiten alleine. Bis zu dem Tag, an dem ihre andere Chefin ihr ihre Tochter Clee aufdrängt – nur kurz, bis sie einen Job und eine Wohnung gefunden hat. Selbstredend wird daraus eine lange Geschichte.
Mit dem Einzug von Clee gerät das sorgfältig ausbalancierte Leben von Cheryl arg durcheinander. Sie muss sich mit den Übergriffen ihrer Mitbewohnerin auseinandersetzen. Nach unzähligen, schweisstreibenden Ringkämpfen werden die beiden ein Paar. Clee bekommt ein Kind, schrill ausgeschlachtet in einer Kunstblutorgie. Das Baby wird zur Kamera, filmt die beiden Frauen, die das Kind herzen, und projiziert ihre Gesichter auf eine Grossleinwand. Das gemeinsame Glück währt nur kurz, Clee zieht am Ende aus und Cheryl scheint mit sich selbst ins Reine gekommen zu sein. Letztlich entschweben die beiden Frauen zum Song „Rocket Girls“ himmelwärts, derweil ihnen ein Astronaut vom Boden aus zuwinkt.
Herzen das Kind auf der Grossleinwand: Henni Jörissen als Clee (links) und Maja Beckmann als Cheryl. Foto: Gina Folly
Christopher Rüping zeigt eine bildstarke, beherzte und streckenweise brutale Auseinandersetzung einer modernen, äusserst problematischen Beziehung. Effektvoll mit vielen Videoeinschüben und angefeuert durch die Musikerin Brandy Butler wird ein ungleiches Frauenpaar vorgeführt, das raufend zueinander findet. Nicht schwermütig, vielmehr skurril und heiter wird die heutige Liebesgeschichte mit ihren Verletzlichkeiten erzählt. Die beiden Schauspielerinnen Maja Beckmann und Henni Jörissen spielen entwaffnend offen und mit grossem Körpereinsatz ihre unterschiedlichen Rollen, zeigen insgesamt ein grossartiges Spiel. Nicht minder eindrücklich ist der Auftritt der Musikerin Brandy Butler, die mit kräftiger Stimme und mit verschiedenen Instrumenten musikalisch das ungleiche Spiel erheiternd vorantreibt. Dafür gabs am Zürcher Premierenabend begeisterten Applaus.
Kasimir und Karoline: intimes Spiel junger Männer
Kasimir hat gerade seine Arbeit als Chauffeur verloren. Nun will er sich mit seiner Freundin Karoline auf dem Oktoberfest amüsieren. Sie geraten in Streit, weil Kasimir befürchtet, Karoline könnte ihn weniger lieben, weil er arbeitslos geworden ist. Horvath porträtiert in diesem Stück Menschen in Zeiten der persönlichen wie auch der weltwirtschaftlichen Krise. Die junge Regisseurin Leonie Böhm formt die Vorlage zu einem intimen Spiel vier junger Männer um, die – frei von sozialen Projektionen – sich aufeinander einlassen, sich und ihre Verletzlichkeit austesten. Entstanden ist ein etwas wirres Kammerspiel, das fragmentarisch mit suchenden Körpern experimentiert.
Sich aufeinander einlassen (v.l.): Vincent Basse, Cedric Borries, Johannes Rieder, Lukas Vögler. Foto: Reto Schmid
Gespielt wird vor mehreren Tuchfahnen, die bis zur Decke reichen. Darauf aufgemalt sind nackte, ineinander verschlungene junge Männer mit ausdruckslosen Gesichtern. Davor agieren die jungen Schauspieler, entblössen sich bis zur Unterhose, tasten sich gegenseitig ab, balgen, rülpsen und verfolgen einander in jugendlichem Übermut, schäkern mit dem Publikum, zitieren Merksätze aus Horvaths Bühnenfassung. Sichtbar gemacht wird ein pubertäres Beziehungsgeflecht voller Körperlichkeit, das burlesk daherkommt, aber auf Zeit langweilig und ermüdend wirkt. Es gibt jedoch berückend schöne, fragile Szenen, so jene zu Beginn, wo Karoline (grandios gespielt von Cedric Borries) auf skurrile Art das Gesicht von Kasimir (nonchalant gespielt von Lukas Vögler) auskundschaftet, oder jene zum Schluss, wo Karoline kopfüber in Tüchern hängend ihren Kasimir küsst.
Geboten wird insgesamt eine energiegeladene Aufführung mit neuer Sichtweise, die wirkliche Begegnung zeigen will. Schade nur, dass die gewünschte Begegnung etwas gar plakativ und eintönig ausgefallen ist.
Weitere Spieldaten: Miranda Julys. Der erste fiese Typ: 22., 24., 29. September, 3., 7., 11., 15., 19. Oktober, 3. November.; Kasimir und Karoline: 21., 22. September, 12., 13., 20., 21. Oktober