«Wo siehst du dich in zwanzig Jahren?» – so lautet der Titel einer Ausstellung mit Werken der deutschen Künstlerin Asta Gröting im Kunsthaus Pasquart in Biel.
«Where do you see yourself in 20 years?» – Der Titel ist eigentlich Englisch formuliert und wird wohl je nach Lebensalter unterschiedlich beantwortet werden. Wer aber die Ausstellung in den weiten Räumen des Centre Pasquart besucht, wird zum Schluss kommen, dass die Frage anders zu verstehen ist, dass es nämlich auf den Moment ankommt. Immer und immer wieder befinden wir uns zwischen dem Vergangenen und dem Kommenden. Es bleibt uns nichts, als das zu betrachten, was uns im Hier und Jetzt, im gegenwärtigen Moment begegnet.
Eindrucksvoll ist der Beginn der Ausstellung: Wir sehen zwei übergrosse Füsse, einer ist aus Bronze, der andere aus Aluminium gegossen, und darin steht je ein grosser goldglänzender Turnschuh. Die Füsse strahlen Kraft und Standhaftigkeit aus. Wer wagt es, mit banalen modischen Sneakers in diese Fussstapfen zu treten?
Asta Gröting, Bodenplatte 1, 2013
Erst im nächsten Raum erkennen wir, dass diese Arbeit wohl im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung der Künstlerin mit Auguste Rodins berühmter Plastik Die Bürger von Calais steht. Dort sehen wir nämlich eine Kopie der Bodenplatte, die Gröting von dieser Skulpturengruppe abgenommen hat – ohne die sechs Bürger. Wo die Bürger stehen, hat die Künstlerin Löcher gelassen.
Felicity Lunn, Direktorin des Kunsthauses Pasquart und Kuratorin dieser Ausstellung, hat ihrem Haus in den letzten Jahren durch eine kluge Auswahl gegenwärtiger Kunst zu einem guten Ruf verholfen. Sie betont, dass in allen Werken der Künstlerin auch der Raum bzw. die Leere zu beachten ist. In Grötings Werk Bodenplatte sind die Bürger – Hauptgegenstand bei Rodin – ausgespart. Auch in Space between Lovers bleibt nichts als die Silikonform – die Liebenden sind längst weg. Ist auch dies ein Verweis darauf, wie alles nur im Moment lebt: Wenn die Liebe vergangen ist, bleibt nichts als die leere Form?
Asta Gröting, Space between Lovers, unfolded, 2008
Die Werke der Asta Gröting zeugen auch an anderer Stelle – direkter – von der Vergangenheit: Wiedergaben von Mauern in Berlin, in denen die Zerstörungen aus dem 2. Weltkrieg noch als Schusslöcher oder Risse sichtbar sind. Die Künstlerin arbeitete auch hier mit Silikonabdrücken. Sie zeigen nicht nur die Struktur der Fassade, sondern auch die Einschusslöcher, die durch das Silikon als Ausstülpungen wie hässliche Furunkel erscheinen. Auch der alte Strassendreck bleibt haften und erinnert an die fast 75 Jahre seit Kriegsende. Felicity Lunn sieht in diesem Werk einen Protest gegen das Vergessen. Wir können uns auch die Frage stellen: Wo waren wir damals und wo stehen wir heute.
Asta Gröting, Berliner Fassaden 2016-17
Bei der Betrachtung einzelner Werke gerät die Besucherin ins Schmunzeln: Affentanz (1987 – 2015), ein Werk, an dem Asta Gröting offenbar immer wieder gearbeitet hat. Wir sehen die Buckel von Wesen, die zusammen einen Kreis bilden. Da über jeder Figur – sind es wirklich Affen? – eine schwarze, teilweise abgenützte Lederjacke hängt, bleibt nur die Vermutung, wer oder was sich darunter befindet. Und ist es ein Tanz, den sie aufführen? Der Betrachterin kam eine andere Assoziation: Sie stellte sich vor, dass die unter den Jacken versteckten Affen aufspringen würden und im wahrsten Sinne des Wortes ein Affentheater veranstalten würden.
Asta Gröting, Affentanz 6, 1987/2015;
im Hintergrund: Reifen, 1987; Bodenplatte 1, 2013
Wer das Bieler Kunsthaus kennt, weiss, dass einer der Höhepunkte jeder Ausstellung im 3. Stock, in dem übergrossen Saal Poma zu sehen ist. Die Künstler sind jeweils eingeladen, diesen Raum auf ihre Weise zu gestalten.
Asta Gröting hat drei monumentale Videos gestaltet, die die Wände füllen, vor der vierten Wand ist Platz zum Sitzen und Schauen. First Drink (2018) zelebriert das morgendliche Ritual des Kaffee- oder Teetrinkens, zu Hause oder in einer Bar. Abgesehen davon, dass der Kaffee aus einem modernen Automat kommt oder mit einem Filter wie vor 40 Jahren hergestellt wird, wirken die ähnlichen und doch verschiedenen Gegenstände darum herum irritierend. Sie erinnern nämlich an alte niederländische Stillleben, an italienische Zitronen oder Christstollen (s.u.) – den Assoziationen können wir freien Lauf lassen. Auch die braunen Farbtöne schaffen Bezüge zur Vergangenheit. Die Künstlerin lässt uns hier genug Zeit und Raum, darüber nachzudenken, wo wir heute stehen und wo in zwanzig Jahren, sofern wir dann noch mit wachen Sinnen auf dieser Erde weilen. – Eine sehr empfehlenswerte Ausstellung.
Asta Gröting, First drink, 2018, Ausstellungsansicht Salle Poma, Kunsthaus Pasquart 2019.
Alle Fotos: Courtesy the artist and carlier | gebauer, VG Bild-Kunst Bonn 2019
Kunsthaus Pasquart. Bis 24. November 2019
Führungen:
3. Oktober 18:00 Uhr (auf Französisch) mit Annick Herren, Kunsthistorikerin
24. Oktober 18:00 Uhr (auf Deutsch) mit Felicity Lunn
Titelbild: Asta Gröting, Reclining Figure I, 2018, Wachs 32 x 64 x 190 cm, Courtesy the artist and carlier | gebauer, VG-Bild-Kunst Bonn 2019, Foto: Jens Ziehe