DAS THEATER an der Effingerstrasse in Bern zeigt, wie die Aktualität der 60-er Jahre auch heute wieder aktuell ist.
Einer flog über das Kuckucksnest ist nicht nur die letzte Zeile eines Kinder-Abzählreimes, sondern der Titel eines Romans, eines Bühnenstücks und eines Films über dasselbe Thema. Der Roman von Ken Kesey ist 1962 erschienen, die Bühnenfassung von Dale Wasserman wurde 1963 uraufgeführt und Milos Formans Film erhielt 1975 fünf Oscars. Den Roman nie gelesen, den Film seit den 1970-er Jahren nicht mehr vor Augen, lässt es sich am besten auf die heutige Theaterinszenierung konzentrieren.
Was sich allerdings schon bald nach Beginn auf verblüffende Weise mit der Handlung auf der Bühne verknüpft, sind die vielen beklemmenden Einzelheiten, die zeigen, wie die Mächtigen nicht nur in vergangenen Zeiten, sondern wohl noch wirksamer in der Gegenwart daran arbeiten, die Unangepassten, die leisen oder lauten Rebellen dem herrschenden System gefügig zu machen. Sie nutzen dabei sowohl mit handfesten als auch subtilen Methoden alle Möglichkeiten der Propaganda, der Gehirnwäsche, der Umerziehung und der Medizin. Dazu dienen auch die euphemistisch als Psychiatrische Kliniken bezeichneten Einrichtungen. Mit oft umstrittenen Mitteln der Medizin und der Chirurgie wird da die vorbehaltlose Anpassung der Widerspenstigen an das System erreicht.
«Gruppentherapiesitzung», von links: Simon Käser, Julian Pichler, Larissa Keat vor Fabian Guggisberg, Christoph Kail, Sinikka Schubert, Christoph Griesser, Horst Krebs hinter Gerhard A. Goebel, Mirko Roggenbock)
Regisseur Alexander Kratzer und seinem Team gelingt es, das beinahe unglaubliche Geschehen eindrücklich vor Augen zu führen. Fast von einem irrationalen Touch angerührt erscheint der Spielraum von Peter Aeschbacher, könnte man doch ein klinisch weisses oder auch graues Anstaltszimmer erwarten – doch es ist von einem Gelb, das so aufdringlich und doch dämpfend wirkt wie die angewandten rhetorischen und therapeutischen Massnahmen. Die knastmässige Stimmung wird verstärkt durch die Überwachungsgalerie hinter Gittern oben im Hintergrund. Sinikka Schubert als Oberpflegerin mit augenscheinlich über diese Funktion herausreichenden Kompetenzen dominiert alle: ihre schüchterne untergebene Pflegerin, die allerdings in der Doppelrolle als eingeschmuggeltes Flittchen mit gegenteiligen Eigenschaften lasziv verführerisch auftritt (Larissa Keat), den arroganten Pfleger, den kompetenz- und hilflosen Arzt und die ganze Gruppe der Insassen. Allerdings anfänglich ohne den Neuling McMurphy Christoph Kail), der sich nicht den «Regeln der Gemeinschaft» einfügen will. Er wird mit seiner rebellischen Art zur Gefahr fürs ganze System der Unterdrückung und Gleichschaltung. Geschickt die Verhältnisse und seinen Hang zum Glücksspiel ausnutzend, versucht er, dieses zu entmächtigen und vorab dessen Kopf, die Oberpflegerin, mit Hilfe seiner Kollegen zu neutralisieren. Dass das in einem solchen Kräfte-Ungleichgewicht, das die menschliche Würde und Persönlichkeit verachten und brechen muss, nicht funktionieren kann, ist offensichtlich. Zwar wendet sich die Stimmung der Pfleglinge schliesslich zugunsten des anfänglich Ausgegrenzten, doch die folterähnlichen und schliesslich die zerstörerischen chirurgischen Mittel lassen den Machthabern die Oberhand.
Die illegale Party mit Candy (Larissa Keat)
Es ist beklemmend und berührend zugleich und zeugt von harter gemeinsamer inszenatorischer Arbeit, mit welchem Reichtum an differenzierten mimischen, sprecherischen und gestischen Mitteln – schweigen, stottern, gestikulieren… – die zwei Schauspielerinnen und die acht Schauspieler diese eindringliche Geschichte der Gleichschaltung, des Brechens der Persönlichkeit und des Aufmüpfens dagegen auf die Bühne bringen. Ihre besonderen Charakterisierungs-Merkmale alle aufzuzählen, würde den vorgesehenen Umfang des Berichts übersteigen. Es fehlen keineswegs humoristische, auch witzige Einzelmomente, und subtiles persönliches Leiden und Kämpfen kommt ebenso zum Ausdruck wie die zahlreichen gruppendynamisch problematischen Vorgänge. Der Höhepunkt des Erkennens der absurden Situation, in welcher die Gruppe der Insassen sich befindet – ist sie doch keineswegs homogen, einzelne sind freiwillig da, auf der Flucht vor unlösbaren persönlichen Bedrohungen und Problemen, andere sind zwangsweise eingewiesen – kommt zum Ausdruck im Satz, den der «Präsident der Patientengruppe» (Mirko Roggenbock) gegen den Schluss in einer dramatischen Situation sozusagen in klarsichtiger selbstironischer Erkenntnis ausspricht: «Wir sind das kaputte Geschirr der Menschheit.»
McMurphy macht’s möglich: Die Meisterschaft am TV sehen! – Alle Bilder © Severin Nowacki
Aufführungen bis 26. Oktober 2019.