Nostalgie

In der BaZ vom 5. September las ich eine amüsante Kolumne von Philipp Probst, Autor und Chauffeur der Basler Verkehrsbetriebe. Der Titel lautete: «Endlich geht es wieder los: das <Plakative Witz-Festival>. Er empfiehlt seinen Fahrgästen: «Legen Sie ihr Handy weg, schauen Sie zum Fenster hinaus und richten Sie Ihren Blick auf die Werbeplakate». Denn dieses Plakat-Festival gebe es nur alle vier Jahre.

Am Schluss des Textes verrät er noch, was er auf ein eigenes Plakat schreiben würde: «Ich sitze vorne links. Und ich bin ein Netter». Das glaube ich ihm aufs Wort!

Am 20. Oktober wählen wir die Mitglieder des Nationalrates und in einigen Kantonen Mitglieder des Ständerates, also sozusagen das neue Parlament. So neu wird es nicht sein, stellen sich doch viele Bisherige zur Wiederwahl. Vor lauter Wahlwerbung, Spekulationen, Werweissen geht vergessen, dass es sich nicht nur um einen Beginn handeln wird.

Nein, für verschiedene Parlamentsmitglieder geht es um das Abschiednehmen. Bei mir sind es zwanzig Jahre her, seit ich 1999 der Arbeit im Parlament Adieu sagte. Sechzehn Jahre war ich im Bundeshaus in Bern ein- und ausgegangen. Deshalb mutete es mich damals auch etwas merkwürdig an, als ich einige Zeit später wie alle anderen Besucherinnen und Besucher die Eingangsschleuse passieren und die Handtasche kontrollieren lassen musste. Aber gleichzeitig gefiel es mir auch. Wir leben in der Schweiz. Vor den Sicherheitsorganen des Bundeshauses sind alle Menschen gleich!

Die sechzehn Jahre im Nationalrat, von 1983 bis 1999 waren intensiv. Ich war damals eine glühende Vertreterin des Milizparlamentes. So kannte ich zum Beispiel die praktische Anwendung des Strafrechts aus meiner beruflichen Arbeit und konnte im Parlament bei einer Revision mitgestalten. Eine Kollegin, Sozialarbeiterin, hatte viel mit Scheidungen zu tun und brachte ihre praktischen Kenntnisse in einen Gesetzesvorschlag des Bundesrates ein.

Ein anderer Banknachbar, Inhaber einer Baufirma, war vielfältig betroffen durch all die Vorschriften, über die wir zu entscheiden hatten. Der Schatz unserer Erfahrungen floss in die gesetzgeberische Arbeit ein: «Was ich heute hier mitberate, trifft mich morgen am eigenen Leib», sagte uns einmal ein Unternehmer.

Vor allem gefiel mir die Art, wie wir in den Kommissionen auf Kompromisse zwischen den Angehörigen der verschiedenen Parteifraktionen hin arbeiteten. Da gab es veritable Brückenbauerinnen und Brückenbauer. Einmal hatten wir für ein sehr umstrittenes Gesetz eine Lösung gefunden, mit der alle einigermassen leben konnten. Wir schlugen dem Präsidenten vor, nicht nur eine Medienmitteilung zu verschicken, sondern eine Medienkonferenz abzuhalten. Das Resultat war ernüchternd. «Was» sagten die ersten Medienvertreter, die eintrafen, «ihr seid euch einig? Das ist für uns wenig interessant!»

Ich ertappe mich. Offensichtlich schwelge ich in Nostalgie! So schliesse ich denn mit meinen besten Wünschen für die Kandidierenden. Das Resultat der Bemühungen wird ja bald greifbar sein.

Und denjenigen, die nicht mehr zur Wahl antreten, gebe ich die Worte des Schriftstellers Werner Bergengruen (1892-1964) mit auf den nächsten Lebensabschnitt: «…immerdar erweist das Ende sich als strahlender Beginn…».

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