StartseiteMagazinKolumnenBeklemmend: Armut im Alter

Beklemmend: Armut im Alter

Wir sind ein reiches, ein ganz reiches Land. Dennoch gibt es in unserem Land Armut. Auch und gerade im Alter. Und was noch erstaunlicher ist: Es gibt keine genaue Statistik darüber, wer arm im Alter ist. Sind es die rund 220’000 Menschen, die Ergänzungsleistungen beziehen, sind es die 350’000 Menschen, von denen man über den Daumen gepeilt annimmt, dass sie „arm oder armutsgefährdet sind“, wie der Schweizerische Seniorenrat SSR in einer Pressemitteilung über seine Tagung schreibt, die letzte Woche in Biel stattfand?

Beklemmend ist auch, dass es eine Grauzone gibt. Viele würden gar keine Ergänzungsleistungen beantragen, obwohl sie Anspruch dafür hätten, weil arm sein in der Schweiz immer noch mit einem Makel verbunden sei. Noch beklemmender ist, dass es keine genaue Definition darüber gibt, was Armut genau bedeutet, wo sie genau endet, folgerte Professor Carlo Knöpfel an der Tagung. Knöpfel, der Altersstudien an der Hochschule Nordwestschweiz betreibt, liess es nicht dabei bewenden und zog ein noch düsteres Fazit: „Diese Menschen haben nur noch wenige Perspektiven in ihrem Leben, weshalb ihre Lebenserwartung signifikant tiefer ist als bei Senioren, denen es finanziell gut geht“. Ist das eidgenössisch, ist das solidarisch? Und warum wissen wir so wenig über die Armut in der Schweiz, warum liefert die Wissenschaft nicht die notwendigen Daten? Weil das Thema nicht von besonderem Interesse ist, weil der Politik die vorhandenen lückenhaften Daten genügen? Da besteht Nachholbedarf. Man darf auf die angekündigte Studie von Carlo Knöpfel gespannt sein, die er noch dieses Jahr publizieren will. Zwischen den grossen Regionen und den Städten in der Schweiz gäbe es grosse Unterschiede in den Lebenssituationen älterer Menschen, liess er schon mal verlauten.

Nicht verwunderlich, dass an der Tagung und im Umfeld der Tagung die verschiedensten Reformvorschläge auf das Tapet kamen, die munter an den Tischen diskutiert wurden. Für die ehemalige SP-Nationalrätin Bea Heim ist gar die Volkspension nicht vom Tisch. Mit der Einschränkung vorgetragen, dass sie dies nicht als Co-Präsidentin des SSR verlauten lasse, sondern eben als Bea Heim. Für Lukas Bäumle, ebenfalls Mitglied des SSR, ist die Integration des obligatorischen Teils der 2. in die 1. Säule, in die AHV, ein durchaus überlegenswerter Weg. Für den überobligatorischen Teil, oder in vielen Pensionskassen die sogenannte „Beletage“, sind denn auch die verschiedensten Lösungen denkbar, ein Ausgliedern in Sammelstiftungen, in Zusammenschlüssen verschiedenster Kassen.

Und eines kam an der Tagung auch zum Ausdruck: Der Informationsstand über die Altersvorsorge, die drei Säulen, ihre Überlebenschancen und Risiken, ihre nachhaltige Finanzierung und deren Folgen, die Erhöhung des Renteneintrittsalters und dessen Konsequenzen, über die Hilflosenentschädigung und darüber wer Anrecht dafür hat und wie man dazu kommt, sind in der breiten Öffentlichkeit erschreckend rudimentär.

Eine offenere und breitere Informationsleistung des Staates tut also Not. Für die Ausrichtung der AHV, für den berechtigten Bezug von Ergänzungsleistungen, der Hilflosenentschädigungen sollte im Zeitalter der Digitalisierung von der Hol- zur Bringschuld des Staates gewechselt werden. Die Behörden verfügen über die notwendigen Daten, die Steuererklärungen geben Auskunft über die finanzielle Situation des Einzelnen. Die Behörden sind zunehmend derart technologiegestützt, so dass sie heute weit mehr können, weit besser informieren können als in der Vergangenheit.

Und es war Ironie des Schicksals, dass im Vorfeld der Tagung in der Sendung 10vor10 berichtet wurde, dass das Parlament im März 2019, ohne Diskussion, weitgehend unbemerkt von den Medien und der Öffentlichkeit, Änderung im neuen Ergänzungsleistungsgesetz beschlossen hat, die die Menschen mit einem an sich kleinen Vermögen betreffen, sofern sie Ergänzungsleistungen bezogen haben. So sind die Erben zur «Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen» verpflichtet. Und zwar von dem Teil des Erbes, der 40’000 Franken übersteigt. Bei Ehepaaren greift die Rückerstattungspflicht, wenn beide Ehepartner verstorben sind. Es gab einen Aufschrei. Wissenschaftler bezeichnen die Verpflichtung als eine „Enteignung“. Denn am meisten betroffen seien „die untere Mittelklasse und die Mittelklasse“, meinten honorige Staatsrechtler und Sozialwissenschaftler. Erstmals gäbe es eine Rückerstattungspflicht, und das ohne klare, unmissverständliche Kommunikation.

Anne-Sylvie Dupont beispielsweise, Professorin für Sozialversicherungsrecht an den Universitäten Neuenburg und Genf, meinte: «Oft wird es nicht mehr möglich sein, das Haus oder die Eigentumswohnung an die Nachkommen weiterzugeben». Man rechnet mit 5134 Betroffene im Jahr, welche einen Betrag von rund 150 Millionen Franken an den Bund ab 2021 zurückzuerstatten haben. CVP-Nationalrätin Ruth Humbel, die den Antrag stellte und ihn ohne Gegenwehr und ohne Debatte aalglatt durchbrachte, verteidigte an der Tagung ihren Antrag: „Es gibt kein Menschenrecht auf das Erben“. Wahrlich. Aber es gibt ein demokratisches Grundrecht auf eine breite und umfassende Information, so dass sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, auch und vor allem die Betroffenen wehren, zumindest dazu Stellung nehmen können. Wir brauchen Medien, die merken, was in Bundesbern so vor sich geht. Sonst bewahrheitet sich eines, was wir nicht wollen, was wir als Bürgerinnen und Bürger auch als immer wieder geäusserte Feststellung an den Biertischen nicht unterstützen können. „Die machen oben in Bern eh das, was sie wollen.“

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3 Kommentare

  1. Herr schaller altersarmut nimmt immer mehr zu, und alles wird durch unsere gesellschaft, politik, justiz, behörden verursacht, viele müssen das land verlassen weil kein geld mehr vorhanden ist, man hat alles verloren, oder wie in meinem fall, bekomme nicht mal die pensionskasse, vorher 10 jahre nie ein problem, monatlich erhalten, seit mehr als 1 jahr , weil die bvk in zürich nicht mehr bezahlt ,werde ich betrieben, in den konkurs getrieben, creditkarte gekündigt, kein bargeld mehr, keine rechtliche hilfe, von überall, man wird nur angelogen, ja sie lesen es richtig , angelogen von allen amtsstellen, alles wird verneint, man bekommt keine papiere, unsere behörden, polizei, justiz, ämtern, es ist zermürbend, ja kriminell dass man nichts erreichen kann, aber anzeigen von polizei das muss man dann ertragen, auch hier hilft die justiz nicht, man bekommt nicht mal ein buchstaben geschrieben/antwort, die schuld wird einfach abgeschoben an mich dass ich der schuldige bin, ebenfalls interessiert mich ob ich eine creditkarte weltweit erhalten werde, und wer bezahlt alle zahlungserinnerungen, mahnspesen, betreibungskosten, ohne anwalt 5 jahre von meinem leben verloren, weil wir uns nur noch in der wohnung bewegen können, keine freizeit aktivitäten, keine ausflüge, keine kollegen, freunde, kein einkaufen, betteln auf offenen plätzen für essen usw. alles wird verunmöglicht von gewissen amtsstellen, auch eidgen. organisationen helfen nicht, nur lügen, lügen, lügen, was haben wir für eine tolle schweiz, einfach gesagt: bananenrepublik, korrupt und falsch b.mohler

  2. Und wie schaffen wir dieses beschämende Phänomen der Altersarmut ab?
    Seit Jahren gibt es tausende von Tagungen und Vorschlägen.
    Aber ein Sockel an Betroffenen bleibt offenbar immer. Sehr traurig in einem reichen Land mit so vielen direktdemokratischen Möglichkeiten zum Eingreifen auf allen drei Stufen: Gemeinde, Kanton, Bund!

  3. Das eine ist die ständige, unabsehbare Geldknappheit.
    Trotz 3 abgeschlossenen Berufsausbildungen und langjähriger Berufs- und Lebenserfahrungen setzte sich vor 23 Jahren nach langer Krebserkrankung und ungerechtfertigter Kündigung der Arbeit, die soziale und ökonomische Abwärtsspirale ein. Da ich an einem Defizit, statt an den vielen Ressourcen gemessen wurde.

    Das andere ist der oft abwertende, respektlose und entwürdigende Umgang auf Amtsstellen, Geschäften und in der Gesellschaft mit alten und/oder armen Menschen, davon betroffen sind oft alte, alleinstehende, kinderlose Frauen so behandelt.
    So wird Vertrauen fast nicht mehr möglich.
    Ein Alter in Würde stellte ich mir anders vor.

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