Seit 2003 wird die ältere Bevölkerung der Schweiz alle fünf Jahre in direkten Befragungen zu wichtigen Wohnthemen interviewt. Am 13. November 2019 präsentierte der Forschungsleiter François Höpflinger den mittlerweile vierten Age Report.
Die Zürcher Pro Senectute-Mediathek, in der ausgewählte Ergebnisse der neuesten Studie vorgestellt wurden, war bis auf den letzten Platz besetzt. Als Begründer des Age Reports, versierter Forscher auf dem Gebiet der Gerontologie sowie Autor zahlreicher Fachpublikationen konnte François Höpflinger erwartungsgemäss aus dem Vollen schöpfen. Neu im Vergleich zu den bisherigen Untersuchungen ist die Ausweitung der Befragungen auf die drei Landesteile, was eine Herausarbeitung der regionalen Unterschiede ermöglichte. Insgesamt wurden rund 2’500 Personen im Alter von über 65 Jahren interviewt.
Hohe Wohnzufriedenheit
Auch diese jüngste Befragung wartet mit einer erfreulichen Nachricht auf: Die Wohnzufriedenheit der älteren Bevölkerung in der Schweiz ist sehr hoch. Die meisten älteren Menschen leben in einem Kleinhaushalt, wobei tendenziell ein Anstieg von Wohneigentum anstelle von Miete zu verzeichnen ist. Eine wichtige Rolle für diese Zufriedenheit spielen dabei die gute Erreichbarkeit von Einkaufsmöglichkeiten, eine angenehme Nachbarschaft sowie nahe gelegene Grünflächen. Allerdings bereitet der Umgebungslärm besonders im Tessin einige Probleme. Zum Zeitpunkt der Erhebungen lebten die Befragten schon sehr lange in ihrer Wohnung. Bei allen Vorteilen, die das mit sich bringt, können daraus auch Schwierigkeiten erwachsen, nämlich dann, wenn die Wohnung wegen gesundheitlicher, finanzieller oder weiterer Gründe, wie bevorstehende Totalrenovation verlassen werden muss und die Umstellung somit nicht mehr so leicht gelingt.
Interessant war auch die Frage, ob die Babyboomer, die ja in der Jugend häufig in Wohngemeinschaften lebten, diese Lebensform auch im Alter als Option sehen. Nein, heisst es im Age Report, Hausgemeinschaften oder WGs sind weiterhin wenig populär. Vielmehr ist ein gegenläufiger Trend auszumachen, nämlich ein Leben in einer Partnerbeziehung, jedoch nicht im selben Haushalt. Für diese Wohnform (ca. 4 %) entscheiden sich vor allem verwitwete oder geschiedene Frauen, wo hingegen Männer häufig nach dem Tod der Ehefrau oder einer Scheidung erneut eine Ehe eingehen, zumeist mit einer jüngeren Frau, die sich dann oft für die Erledigung des Haushalts und später auch für die Pflege des alten Partners zuständig fühlt. So befindet sich fast die Hälfte der 90-jährigen und älteren Männer im Ehestand. Bei den gleichaltrigen Frauen trifft das auf weniger als 8 % zu.
Einsamkeit im Alter als Klischee
Höpflinger wies darauf hin, dass heutzutage allzu leicht von einer steigenden Anzahl alleinlebender Menschen auf eine steigende Tendenz zur Vereinsamung geschlossen wird. Ein Zeitvergleich der geäusserten Einsamkeitsgefühle bei alten Menschen widerlegt indessen diese Vermutung. Allerdings hat der Bildungshintergrund der Befragten einen Einfluss. Bildungsferne ältere Menschen äussern häufiger Einsamkeitsgefühle als höher ausgebildete Personen. Und: Befragte mit Kindern geben leicht seltener an, sich einsam zu fühlen, als solche ohne Nachkommen.
Wohnen in einem Heim
Ein weiterer Aspekt, der bei der Buchpräsentation aufgegriffen wurde, betraf das betreute Wohnen. Selbst 90-jährige und ältere Menschen leben heute öfter noch in den eigenen vier Wänden, als dies früher der Fall war. Dennoch steigt der Anteil der in Heimen gepflegten Menschen mit dem Alter weiterhin an. Da ältere Frauen häufiger verwitwet sind und deshalb nicht von ihrem Partner gepflegt werden, treten sie auch häufiger als Männer in ein Heim ein. Kommt hinzu, dass bei ihnen chronische Krankheiten verbreiteter sind, die ein selbstständiges Leben und Wohnen erschweren oder sogar verunmöglichen. Beim Heimeintritt, so die Statistik, beträgt das Durchschnittsalter 81, 5 Jahre, gefolgt von einer ungefähren Aufenthaltsdauer von 2,5 Jahren.
Schliesslich kam François Höpflinger auch auf die Sterbeorte zu sprechen. Die Menschen wünschen sich seit je, daheim zu sterben. Tatsächlich aber sterben die meisten älteren Menschen im Spital oder in einer Pflegeeinrichtung. Insbesondere betrifft dies Frauen, Alleinstehende, Menschen mit einem tiefen sozialen Status oder Menschen ohne Nachkommen. Das «gute Sterben» im Heim ist deshalb zu einem wichtigen Betreuungsauftrag der Mitarbeitenden geworden.
Ein Standardwerk
Zusätzlich zu der Differenziertheit und enormen Datenfülle in einem ersten Teil gewinnt das Buch durch die erhellenden Beiträge eines multidisziplinären Forschungsteams zur Themenvertiefung im zweiten Teil. Der diesjährige Age Report ist daher erneut eine Fundgrube zu den wichtigsten Themen im Zusammenhang mit der Wohnsituation der älteren Menschen in der Schweiz und ein Standardwerk für alle, die sich persönlich, fachlich, geschäftlich oder politisch damit auseinandersetzen wollen.
François Höpflinger, Valérie Hugentobler, Dario Spini (Hrsg.): Age Report IV. Wohnen in den späten Lebensjahren. Grundlagen und regionale Unterschiede.Seismo Verlag 2019, 316 Seiten.
PS: Auf der Webseite «age-report.ch» findet sich ein Link für den kostenlosen Download des gesamten Age Reports IV. Ausserdem wird auf dem youtube-Kanal von Pro Senectute die Buchpräsentation vom 13. November 2019 aufgeschaltet.