FrontKulturBunte Fäden, Bilder und Worte

Bunte Fäden, Bilder und Worte

Marion Strunk, Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin in Zürich, stellt ihre Arbeiten der letzten zehn Jahre zusammen und veröffentlicht sie in einem Kunstbuch: «Foto und Faden» – zusammen mit literarischen Texten von befreundeten Schriftstellerinnen. Das Literarische und das Künstlerische verbinden sich hier in einem besonders originell gestalteten Buch.

Bibliophile Bücher hatten in den früher 1960er-Jahren einen hohen Stellenwert, als ich meine Buchhändler-Lehre absolvierte. Es gab dafür eine besondere Kundschaft, die handwerklich und künstlerisch hochwertig gestaltete Bücher sammelte. Die 1921 in Bern gegründete Bibliophile Gesellschaft besteht heute noch.

Der Bezug zu bibliophilen Büchern kam mir in den Sinn, als ich Marion Strunks grafisch gestaltetes Buch Foto und Faden in den Händen hielt: Auffallend der orangerote Leineneinband mit dunkelrot geprägten Lettern auf dem Buchdeckel vorne sowie auf dem schmalen Buchrücken; auf dem Buchdeckel hinten eine aufgeklebte Fotografie; die Innenseite des Einbandes mit intensiv rotem Papier ausgestattet. Zwei textile Buchzeichen in unterschiedlichem Rot flattern unten heraus. Eigentlich hätte sie sich acht Buchzeichen gewünscht, wie mir Marion Strunk sagte, aber das war dem Verlag doch des Guten zu viel.

Seniorweb: Wie entstand das Buch «Foto und Faden»?

Marion Strunk: Ich wollte meine Arbeiten der letzten zehn Jahre bündeln, aber nicht als Katalog, sondern als Kunstbuch. Befreundete Schriftstellerinnen – Ilma Rakusa, Elisabeth Wandeler-Deck, Judith Kuckart und andere – haben zu den Arbeiten Texte verfasst, wobei es mein Wunsch war, dass sie nicht über meine Arbeiten schreiben, sondern zu den Arbeiten, um somit Bild und Text verbinden zu können.

Marion Strunk, Wald, Bestickte Fotografie, 70 x 100 cm, 2015.

Für die grafische Gestaltung des Buches konnte ich Megi Zumstein, eine Spezialistin für Buchgestaltung, gewinnen. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, von Anfang an bis zum Druck in Altenburg/Thüringen. Die Druckqualität ist hervorragend, die Bilder entsprechen dem Original.

Wie entstehen Ihre Bilder?

Marion Strunk: Ich lasse mich von Themen und Situationen ansprechen. Grundsätzlich suche ich nicht die Bilder, sondern ich gehe herum, oft in meiner unmittelbaren Umgebung, und reagiere auf das, was ich sehe und was mich anschaut. Meine Bilder sind Fotografien, die ich mit Fäden aus Wolle oder Garn besticke. Die Stickerei ist eine sensible handwerkliche Technik. Es braucht eine spitze Nadel, die das relativ dicke Fotopapier durchsticht, damit ich den Faden hindurchziehen kann. Es ist eine fragile Technik, die eine gewisse Langsamkeit einfordert.

Marion Strunk, Wagenküche, Bestickte Fotografie, 70 x 50 cm, 2018.

Haben Sie bevorzugte Themenkreise?

Marion Strunk: Ich bündle meine Fotografien zu Themenblöcken wie Bäume, Personen, Gebäude, Hausfassaden, Spiegelungen oder Küchen. Die Küche ist mein Herzort, ein Ort der Geselligkeit, der Alchemie, der Verwandlung, wo Neues und Kreatives entstehen kann. Die Küche ist auch ein kultureller Ort und das wollte ich an verschiedenen Küchen zeigen, z.B. einer italienischen oder einer ayurvedischen Küche. In Zürich, auf einem Theaterplatz, sah ich eine Wagenküche, die fahrenden Theaterleuten gehörte, sie luden mich ein zu fotografieren. Es war ein Sommertag, in der Küche wimmelte es von Fliegen, so stickte ich eine Fliegenklappe ins Bild. – Ich versuche Stimmung aufzunehmen, fotografisch festgehalten konfrontiere ich sie mit dem Sticken, dem anderen Bild im Bild, wobei ich den Faden berühren kann und ihn einen Moment lang wirklich in der Hand habe, dann wird auch er zum Bild, wird ein Kreis, ein Gegenstand, ein Wort.

 

Wie entscheiden Sie sich, welcher Teil bestickt wird?

Marion Strunk: Das geschieht intuitiv. Entweder ich nehme etwas im Bild auf, wie zum Beispiel fallender Schnee, den ich zu Kreisen vergrössere, oder ich sticke etwas hinzu, wodurch inhaltliche Verschiebungen oder Irritationen entstehen. In der Wagenküche zum Beispiel gibt die gestickte Fliegenklappe einen etwas komischen Kommentar zum möglichen Fliegensturm wieder. Oder ich sticke Worte ins Bild. Auf einer Nachtaufnahme des Migros Gebäudes am Limmatplatz, die Lichter sahen aus wie Noten, habe ich das Wort Migros gehackt und in MIKRO verwandelt. In Frankreich gibt es die Tankstelle Total. Dieses Wort habe ich aufgenommen und überstickt, als Fadenwort wirkt TOTAL weniger aggressiv. Bei der Leuchtschrift am Zürcher Rigiblick, habe ich nur die eine Hälfte gestickt: BLICK. Auch das ist eine Nachtaufnahme. Im Hintergrund sind die Fenster eines Hauses hell erleuchtet, sie wollen gesehen werden.

Marion Strunk, Installation WollHecke, Seilerbahn/Kunstszene Zürich 2018. Rote Wollknäuel stecken im Geäst der Bäume und Sträucher als künstlerische Installation in der Natur. Diese Arbeiten sind fotografisch als Dokument festgehalten.

In Ihrem Buch gibt es auffallend viele Bilder bei Nacht.

Marion Strunk: Ich bin gerne nachts unterwegs, ich mag die Stille, die Lichter im Dunkeln auf den Strassen und in den Häusern. Nachts ziehen sich die Menschen im Quartier in ihre Wohnungen zurück, die Fenster sind beleuchtet und die Stimmung ist geheimnisvoll. Ich nehme die Atmosphäre in den Bildern auf und verstärke sie durch die Intervention mit meiner Stickerei. Mitunter entsteht eine fast unheimliche Stimmung, eine Irritation, es könnte im Dunkeln etwas passiert sein oder es könnte noch etwas passieren, die Situation lässt sich nicht klar deuten. Ich spiele gerne mit der Fiktion, darum passen auch literarische Texte gut dazu. Text und Bild – die Schriftstellerinnen nehmen den Faden auf und verbinden ihn mit ihrer Poesie.

Ihre Winterbilder berühren mich besonders, wie entstehen sie?

Marion Strunk: In der Nacht fotografiere ich besonders gern Schnee und Regen mit Blitzlicht. Dabei entsteht eine besonders intime Stimmung, man sieht die Schneeflocken tanzen oder den Regen als Bindfäden fallen, die Dunkelheit erscheint in braunem Sepiafarbton. Solche winterlichen Szenen akzentuiere ich mit aufgestickten Kugeln aus leicht fransender Angorawolle. Sie betonen die Schneeflocken, die um die Lichtkegel der Strassenlampen wirbeln. Die schneebedeckte Strasse mit Fahrspuren, die parkierten Autos am Strassenrand wirken dadurch plastisch, fast wie ein Relief.

Marion Strunk, Album Fundstücke, bestickte Fotografie, 29,5 x 21 cm, 2019.

Ihre Bilder mit unbekannten Personen wirken so fröhlich, wie kommen Sie dazu?

Marion Strunk: Im Brockenhaus stöbere ich aus Nachlässen in alten Fotoalben herum, fotografiere sie und besticke sie. Eingriffe, die anderes zu sehen geben. Ein Familienfoto zum Beispiel: Vater, Mutter und zwei Kinder. Ich habe ihnen einen Hund hinzugestickt – aus grünem Faden – so ist die Familie komplett. Einem braven Jungen in strengem Anzug – er trägt ihn wie eine Uniform – habe ich den Kragen und die Manschetten golden bestickt – so erfüllt er die für ihn vorgesehene Rolle. Eine ausgelassene, tanzende Frauengruppe hat jetzt bunte Haare, so fröhlich sind sie.

Eine Serie nennen Sie ‘Diven’.

Marion Strunk: Ja, es sind Fotos von Berühmtheiten: Andy Warhol habe ich mit gelbem Garn einen Heiligenschein um das Haar gestickt. Jean Cocteau, der Mühe mit Berührung hatte, bekam grüne Handschuhe. Elvis Presley einen silberglänzenden Anzug, der ihn wärmt und ihn strahlen lässt. Jane Birkin mit ihrer zarten Stimme, habe ich eine türkise Fliege um den Hals gestickt, so kann sie abheben. Und Marilyn Monroe hat ein rotes Kleid erhalten, das ihr sicher am Körper bleibt.

Marion Strunk, Marilyn, aus der Serie Diven, bestickte Fotografie, 50 x 70 cm, 2015.

Zum Bild von Marilyn Monroe hat die Autorin Jeannette Fischer folgendes Gedicht verfasst:

Scharf wie ein Messer
sticht sie hinein
die Nadel
direkt ins Bild
das wir von ihr haben

Der Schönen
und webt ihr ein Kleid
webt es in sie hinein
webt es auf sie hinauf
dass es ihres werde
Und sie nie mehr im Stich lasse

Zur Künstlerin

Marion Strunk, Ausbildung als Künstlerin an der Universität der Künste in Berlin, gleichzeitig Studium an der Freien Universität Berlin der Kunstgeschichte und politischen Wissenschaft. Sie lebt seit 35 Jahren in Zürich als freie Künstlerin und Professorin der Zürcher Hochschule der Künste.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Alle Fotos:  Marion Strunk, Zürich.

Marion Strunk, Foto und Faden, Till Schaap Edition, Bern 2019, ISBN 978-3-03878-024-3 Richtpreis 39.- Fr.

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