Im nächsten Jahr – wahrscheinlich am 17. Mai – werden wir uns entscheiden müssen: Wollen wir zu Europa aufbrechen oder die Beziehungen zur Europäischen Union EU gar abbrechen, aus den bilateralen Verträgen aussteigen? Oder stimmen wir einem Rahmenabkommen zu, das uns anbindet, ohne dass wir unsere Unabhängigkeit aufgeben müssen? Die Verantwortlichen des Luzerner „Europa Forums“ setzten über ihre Veranstaltung in der letzten Woche folglich den Titel „Aufbruch oder Abbruch“ und brachten damit auf den Punkt, um was es wirklich geht: um unser zukünftiges Verhältnis zur Europäischen Union EU. Mehr noch: um unsere wirtschaftliche Prosperität, letztlich um unseren Wohlstand.
Gespannt lauschte eine Tausendschaft den Ausführungen von Ignazio Cassis, unserem Aussenminister, der professoral mit einer Power-Point-Präsentation „erklären, erklären, erklären“ will, das auch landauf und landab, um was es geht: Die Schweiz wolle eine «bestmögliche wirtschaftliche Integration bei grösstmöglicher politischer Unabhängigkeit». Eigentlich ist allen klar, dass wir unser Verhältnis zur EU schnellstens und endlich zu regeln haben, dass wir dazu um ein Rahmenabkommen wohl nicht herumkommen. Zuviel steht auf dem Spiel. Jeder zweite Franken werde mit der EU verdient, unterstrich Cassis. Doch wenn wir der Begrenzungsinitiative oder „Ausstiegs-Initiative“, wie das Volksbegehren der SVP auch betitelt wird, im Mai zustimmen, kündigen wir das Personenfreizügigkeits-Abkommen und damit das gesamte erste Paket der bilateralen Verträge mit der EU. Denn die sieben Abkommen sind untereinander über eine Guillotineklausel verbunden. Diese sieht vor, dass bei der Kündigung eines Abkommens automatisch auch die anderen ausser Kraft gesetzt werden. Allen ist an sich klar, dass der bilaterale Weg ein Teil des Erfolgsmodells Schweiz ist. Sind doch damit Wohlstand und über 800’000, wenn nicht mehr, Arbeitsplätze verknüpft.
Während anderthalb Tagen sass ich im Luzerner Saal des KKL und liess über mich ergehen, was die Forums-Leute angerichtet hatten. Und am Schluss, was blieb? Sind es die schmeichelnden Worte „die Schweiz ist doch grossartig“ des ehemaligen deutschen SPD-Aussenministers Sigmar Gabriel, die in Erinnerung bleiben werden? Worte, denen er in einem brillanten Referat, mit dem er alle anderen Referenten ausstach, anfügte: „Es gibt ein paar Regionen auf der Welt, die froh wären, wenn sie nur die Probleme der EU mit der Schweiz hätten“. Und: Wenn er irgendjemanden in Deutschland frage, was sie von den Problemen der EU mit der Schweiz halten würden, wären viele erstaunt, dass es mit einem Land wie der Schweiz überhaupt Probleme gebe.
Oder ist es der ehemalige britische Finanzminister George Osborn, der in Erinnerung bleibt, weil er zu den Wahlen in Grossbritannien meinte: „Die Briten haben am 12. Dezember die Wahl zwischen Pech und Cholera, zwischen dem «Brexit und einem »Marxisten“, dem Anführer der Labour-Partei, Jeremy Corbyn. Über seinen einstigen Parteikollegen, Premierminister Boris Johnson, sagte Osborne, dass dieser bloss eine Idee habe: den Brexit, und das sei zu wenig. Der wollte ein ganzes Leben lang nur eines: Premierminister werden.
Oder war es der Überraschungsgast, der ehemalige britische Premierminister John Major (1990-1999), der warnte: Schottland und Nordirland werden nach dem Austritt Grossbritanniens aus der EU nach mehr Unabhängigkeit von London streben, gar austreten und könnten so Grossbritannien in den Grundfesten gefährden. Und er wies darauf hin, dass just in Schottland das nukleare Potential der britischen Armee stationiert sei.
Oder sind es Hans Hess, Präsident des Branchenverbands Swissmem, und Flavia Kleiner, Co-Präsidentin Operation Libero, die Bundesrat Cassis in einem Podiumsgespräch aufforderten, nun endlich vorwärts zu machen. Für Hess ist der bilaterale Weg nicht angelegt für die Ewigkeit. Nach Flavia Kleiner müsse nun der Bundesrat spätestens nach der Abstimmung über die Begrenzungs-Initiative auf „die Tube drücken“, vorwärts machen, nicht zögern und zaudern. Peter Spuhler, Verwaltungsratspräsident von Stadler Rail, dämpfte die Forderungen der beiden: Er sei der Letzte, der nicht gerne aufs Gaspedal drücke, und trotz seiner SVP-Parteizugehörigkeit sei er klar für die Bilateralen Verträge. Nur: «In seiner aktuellen Form wird das Rahmenabkommen beim Schweizer Volk aber nicht durchgehen.» Was Flavia Kleiner zur Bemerkung veranlasste: „Woher die Gewissheit?» Für sie ist die „Schweiz das Chancenland des 21. Jahrhunderts“, das durchaus sein Schicksal selbst in die Hand nehmen könne.
Ja, man darf, ja, man muss in unserer direkten Demokratie uns Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die Entscheidung zutrauen. Wir können, nicht wie die Briten, nur einmal im Leben an einer schicksalshaften Volksabstimmung teilnehmen, sondern immer wieder, auch zum gleichen Thema wie beim Frauenstimmrecht. Wenn der französische Philosoph und liberale Vordenker Gaspard Koenig in einem «Zeit»-Interview meint: „Ich bin wie Emmanuel Macron sehr proeuropäisch, aber sein zentralistisches Modell mag ich gar nicht, mir ist das Schweizer Modell, das förderale Modell viel lieber, so kommt zum Ausdruck, welche Impulse die Schweiz nach Europa aussendet und immer wieder aussenden kann.» Wahrlich: Aufbruch statt Abbruch.
Der bilaterale Weg ist wirklich nicht für die Ewigkeit. Wie lange die EU dieses herumwursteln noch mitmacht und wir uns das Leisten können wird sich zeigen. Mir wäre es lieber die Politiker und Parteien würden klarer Position beziehen und in dieser wichtigen Angelegenheit mal eine Lösung erarbeiten mit der alle Leben können und wir den jungen nicht die Zukunft verbauen. Wie heisst es so schön, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.