StartseiteMagazinKolumnenIst das Christkind gerecht?

Ist das Christkind gerecht?

Der Bub schrieb in der Adventszeit mit zittrigen Buchstaben einen Brief: «Liebes Christkind, ich wünsch mer uf Weihnacht e Isebahn und dank dier.» Dieser Wunsch setzte sich im Kopf des Buben fest. Er unterschrieb sein Brieflein nicht mit seinem Namen, denn das Christkind musste wissen, dass er es geschrieben hatte. Grossmutter sagte, er müsse noch etwas besser schreiben lernen. Aber sie zeigte Freude, und der Bub legte den Zettel mit Stern und Schweif auf den Fenstersims. Als er am Morgen erwachte, hatte das Christkind oder seine Hilfsengel den Brief geholt. Der Bub ahnte, dass nicht ganz alles mit rechten Dingen zu und her ging. Vater hatte ja einen Christbaum im Wald geholt und Mutter tat etwas gar geheimnisvoll. Grossmutter lächelte seltsam, als er das Brieflein auf den Sims legte.

Der Vorweihnachtstag lief wie schon im Vorjahr in einem genauen Ritual ab. Er und seine grösseren Geschwister mussten früh ins Bett, wurden um halb elf Uhr geweckt und besuchten mit Grossmutter die Mitternachtsmesse. Die jubelnden Sänger, die festlich klingenden Geigen und Trompeten, die Orgel und der Pfarrer im schönen Gewand verbreiteten die erwartete Stimmung. Aber der Bub dachte mitten im Gesang und am Schluss beim «Stille Nacht, heilige Nacht…» an die Eisenbahn. Als er zusammen mit der Grossmutter und den Geschwistern in die warme Wohnküche zurückkehrte, hatte die Mutter einen Zopf auf den Tisch gezaubert, dazu Butter, Konfitüre und Milchkaffee. Bald schickte sie die Kinder ins Bett und sagte, morgen könnten sie den Christbaum und die Geschenke bewundern. Alle Geschwister waren gespannt und konnten nur wenig schlafen. Der Bub lauschte und vernahm Geräusche in der schönen Stube, die unter der Kammer lag, in der sein Bett stand. War das Christkind immer noch an der Arbeit?

Endlich schälte sich der Tag langsam aus der Dunkelheit der Nacht heraus. Noch nie hatte er so lange warten müssen, bis er aufstehen durfte. Der Bub war schon längst bereit für den Sprung aus dem Bett. «Eine Eisenbahn!», dachte er und wartete, bis Mutter rief. Eine Eisenbahn, das war sein Wunsch. Würde ihn das Christkind erfüllen? «Wie wird die Eisenbahn rattern?» Er hatte im Zimmer seines Schulkameraden, dem Sohn des Polizeipräsidenten, das ausgelegte Geleise mit einem Bahnhof, mit Tunnels und Weichen gesehen. Sein Mitschüler hatte ihm verraten, dass er zu Weihnachten eine Lokomotive bekomme, die viele Wagen ziehen könne.

Bald würde das Geheimnis gelüftet sein. Ein Christbaum vom Boden bis zur Decke mit Engelhaar, Kerzen, kleinen Kugeln und einem silbernen Wipfel, vom Boden bis zur Decke, stand zum Staunen bereit. Mutter hatte die Kerzen angezündet. Der Bub sah ein Paket, von dem er glaubte, es gehöre ihm. Alle wollten die Geschenkpapiere von den Paketen reissen. Mutter aber, der Vater war noch im Stall, stimmte Lieder an. «In dulci jubilo, nun betet und seid froh…» Es folgte «Oh Tannenbaum!» und dann «Oh, du fröhliche…» Jetzt erst durften sich die Kinder auf die Pakete stürzen. Der Bub hatte sein Weihnachtspapier mit den goldenen Sternen rasch, fast hastig aufgerissen. Auf der Schachtel prangte das Bild einer Eisenbahn. Die Spannung stieg. Ungeduldig öffnete er die Schachtel. Er fand aufgeschichtet und mit Gummibändern verbunden Eisenbahnschienen und eine kleine Lokomotive. Er begann die Schienen zusammenzusetzen. Es ergab sich ein Kreis mit einem Durchmesser von ca. 70 Zentimeter. Die Lokomotive musste er mit einem Schlüssel aufziehen und sie fuhr los. Nach drei Fahrten im Kreis stoppte sie. Er zog sie wieder auf. Dann hatte er genug gesehen und war enttäuscht. Das Christkind hatte seinen Wunsch nicht verstanden. Was sollte das Geschenk; eine Bahn, die sich immer nur im Kreis drehte, mit der sonst nichts anzufangen war?

Als er am Nachmittag enttäuscht einen Schneemann formte, kam sein Kamerad herzu. «Komm, ich zeige dir meine Eisenbahn.» Als er in das grosse Zimmer trat, bewunderte er die grossen roten, blauen und gelben Kugeln am Baum. Sie waren dreimal so gross wie die am Baum bei ihm zu Hause. Die Silberfäden leuchteten fröhlicher und Bachstelzen und Schoggiherzen lachten grossartig. Die starke, grosse Lok zog Wagen erster und zweiter Klasse über die Strecke. Der Bub schaute neidisch auf die Bahn und auf den Tisch mit den offenen Schachteln. Dann drängte es ihn nach draussen. Der einzige Trost, der ihm am Ende blieb, war der Schneemann, den er zu schmücken begann. Sein Schulfreund schaute einfach zu. Der Bub holte in Vaters Keller eine Rübe, setzte zwei grosse Kiesel ins Gesicht, steckte kleine Hölzchen als Zähne in den Mund, holte Mutters Besen und Vaters alten Hut und sah, wie der Schneemann gute Figur machte. Er freute sich so sehr, dass er die Lok seines Kameraden vergass. Ein Leben lang dachte er an diese Situation und ihm wurde allmählich klar, dass das Christkind die Gaben gerechter verteilt, als er damals vermutet hatte.

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