Es war nicht allein ihre hohe Geburt, die unglaublich vieles möglich machte. Es waren auch ihre Weitsicht, ihre Durchsetzungskraft – und ihr enormer Reichtum. Die Rede ist von Reginlinde, der einstigen Stifterin des Klosters Einsiedeln und Fürstäbtissin des Fraumünsters in Zürich.
Dieser bedeutenden und weit über ihre Lebenszeit hinaus sehr einflussreichen Persönlichkeit widmet die Gesellschaft zu Fraumünster ihr Neujahrsblatt auf das Jahr 2020. Die Lektüre, das sei schon mal vorweggenommen, ist ein grosser Gewinn, was sowohl die kirchengeschichtlichen als auch die politischen Aspekte betrifft.
Reginlinde war von adeliger Herkunft und gehörte zu einer Seitenlinie des karolingischen Königshauses. Ihr genaues Geburtsjahr ist nicht dokumentiert, aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie jedoch zwischen 885 und 890 geboren. Durch ihre Heirat mit dem Grafen Burkhard II. wurde sie einige Jahre später aufgrund machtpolitischer Verschiebungen die erste Herzogin von Schwaben, einem Reichsgebiet, das sich vom Ammersee bis in die Vogesen und nach Süden bis zur Grenze der Lombardei erstreckte. Somit gehörte auch Zürich mit dem Kloster St. Felix und Regula, wie die ursprüngliche Bezeichnung des Fraumünsters lautete, dazu.
Reginlinde und Burkhard hatten vier Kinder: Gisela, Burkhard, Bertha und Adalrich. Die Eheleute unternahmen ausgiebige Reisen durch ihr Reichsgebiet, was damals bei Herrscherinnen und Herrschern üblich und notwendig war, um über die neuesten Entwicklungen informiert zu sein und diese gegebenenfalls zu ihrem eigenen Nutzen beeinflussen zu können.
Übersiedlung ins Fraumünster
Im Jahre 926 kam Burkhard II. in der Schlacht um Novara ums Leben. Reginlinde heiratete danach Herzog Hermann I. und gebar eine weitere Tochter, die sie auf den Namen Ita tauften. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes und um nicht ein drittes Mal heiraten zu müssen, übersiedelte sie ins Fraumünster, dem sie bereits seit 929 als Laienäbtissin vorstand. Damit bezog eine der reichsten Fürstinnen des Landes in der Stadt Zürich ihren Herrschaftssitz. Ihr unermesslicher Reichtum ermöglichte ihr Schenkungen in einem Umfang, den wir uns heute kaum mehr vorstellen können. Sie bedachte Klöster und Kirchen mit Ländereien, unterstützte auch die Bevölkerung ihres Reichsgebietes ganz direkt und wurde von vielen als «liebenswerteste Erscheinung» der Abtei Fraumünster gepriesen.
Stifterin des Klosters Einsiedeln
Einen der wichtigsten Meilensteine in der Kirchengeschichte und damit auch in der politischen Entwicklung des Herzogtums stellt ihre Stiftung des Klosters Einsiedelns «Im Finsteren Wald» dar. Aus Reginlindes Besitztümern stammte der grösste Teil der Gebiete, die die wirtschaftliche Grundlage des Klosters bildeten. Auch dass die Insel Ufenau in den Besitz des Klosters Einsiedeln kam, ist der Herzogin Reginlinde zu verdanken. Sie selbst hatte sich nach einer schweren Erkrankung dorthin zurückgezogen und verbrachte auf der Ufenau die vier letzten Lebensjahre bis zu ihrem Tod im Jahr 958.
Ihr immenser Einfluss auf die Geschicke des heutigen Europas setzte sich später auch über ihre Töchter fort. Am bekanntesten ist wohl Bertha, die 922 im Alter von erst 15 Jahren durch ihre Heirat Königin des Hochburgunds wurde und später von ganz Burgund, wo sie als «Reine Berthe» verehrt wurde.
Mächtige Nachkommen
Bertha, als eine von Reginlinds Nachkommen, lernen wir denn auch in dem zweiten Teil des Neujahrsblatts etwas näher kennen. Gleichermassen wissenswert, wird hier darüber hinaus der politische und gesellschaftliche Hintergrund Reginlindes ausgeleuchtet, mit Urkunden dokumentiert und dank eines detaillierten Stammbaums für heutige Leserinnen und Leser übersichtlich dargestellt, so dass die weitläufigen Verzweigungen der Herrscherfamilien noch deutlicher werden.
Mit ihrem diesjährigen Neujahrsblatt ehrt die Gesellschaft zu Fraumünster somit eine der bedeutendsten Ahnfrauen der ottonischen, salischen und staufischen Dynastien.
Diese äusserst kenntnisreiche Publikation ist die 14. in der Reihe der Neujahrsblätter. Frühere Publikationen widmeten sich u.a. Anna Zwingli-Reinhart, Lydia Welti-Escher, Lux Gujer und Katharina Zimmermann, der letzten Äbtissin des Fraumünsters.
Neujahrsblatt der Gesellschaft zu Fraumünster auf das Jahr 2020. Edition Gilde Gutenberg Zürich 2019. Bestellungen: regula.bauer@hispeed.ch. Fr. 35.— plus Versandkosten.
Titelbild: Die Abbildung zeigt Reginlinde auf einem Fresko in der Kirche St. Peter und Paul auf der Ufenau. (creativecommons.org.)
Es ist doch erfreulich, dass immer mehr Frauen entdeckt und erforscht werden, die weit vor unserer Zeit wichtige Positionen in der Gesellschaft innehatten und umsichtig damit umgingen. Frauen, die in ihrer Zeit auch von den Männern höchst respektiert wurden. Danke, Dagmar, für diesen Beitrag.
Die Neujahrsblätter verschiedener Herausgeber in Zürich haben Tradition. Während meiner Studienzeit habe ich ein paar davon jährlich bezogen und viel über Kultur und Geschichte von Zürich gelernt. So wie auch hier – was für eine Frau mit was für einer grossen kulturellen Wirkung! Danke für diesen Beitrag, liebe Dagmar!