Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur zeigt (gegenwärtig geschlossen wegen der Corona-Krise) eine umfassende Werkschau von Evelyn Hofer (1922-2009), die von der New York Times als die berühmteste (unbekannte) Fotografin Amerikas bezeichnet wurde. Das Handwerk hatte sie in der Schweiz gelernt.
Entdeckungsreisen durch amerikanische Grossstädte, Sozialstudien in einem walisischen Dorf, Besuche in Künstlerateliers oder eine Porträtserie aus dem Bergell – Evelyn Hofer hat ein fotografisches Kaleidoskop geschaffen, das fast ein halbes Jahrhundert umfasst.
Evelyn Hofer, Queensboro Bridge, New York, 1964
© Evelyn Hofer Estate, Courtesy Galerie m, Bochum
Das Werk der deutsch-amerikanischen Fotografin, die eine enge Beziehung zur Schweiz pflegte, ist facettenreich und bunt. Bereits in den 1950er Jahren fotografierte sie auch in Farbe: Sie nutzte diese dezidiert als Gestaltungsmittel und war damit ihrer Zeit weit voraus. Mit der Grossformatkamera konzentrierte sie sich auf das Wesentliche und schuf oft malerische Fotografien, deren Zeitlosigkeit und Stille heute wieder zu entdecken sind.
Die Ausstellung in der «Fotostiftung Schweiz» vereint Evelyn Hofers unterschiedliche Arbeiten in einer umfassenden Werkschau. Die Städteporträts in Buchform, essayistische Bildstrecken für Magazine sowie ihre freien Arbeiten werden nebeneinander gezeigt. Dieser Reigen von Bildern in feinen Grautönen und starken Farben berührt uns durch die Wärme, mit der Evelyn Hofer Momente für die Ewigkeit eingefroren hat. Sie begegnet ihrem Gegenüber – sei das eine Stadtlandschaft, ein Interieur, eine Bäuerin aus Soglio oder Andy Warhol – stets mit derselben Neugierde und Offenheit.
Was auch immer Evelyn Hofer fotografiert, es ist immer ein Portrait – ein gemaltes Portrait. Diese Feststellung von Richard Lindner, Künstler und langjähriger Freund, trifft zwar auf das ganze Werk der Fotografin zu, kommt aber ihren Arbeiten im Umfeld von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler besonders zum Tragen.

Evelyn Hofer malt mit ihrer Kamera. Wo sie Farbe einsetzt, wird diese zu einem leitenden Element ihrer Kompositionen. Auch die Wirkung der Fotografien ist malerisch. Die Gegenstände lösen sich aus ihrer zeitlichen Gebundenheit und bewirken eine leichte Entrücktheit der Motive. Arrangiert sie einen Gegenstand vor der Kamera, so entsteht keine sachlich distanzierte Aufnahme wie bei einer klassischen Objektfotografie. Vielmehr wird er zu einem Leitmotiv, das auf eine Person verweist.

Fotografische Techniken
Dye Transfer (Kodak) ist das Verfahren zur Herstellung von Farbbildern von Diapositiv- oder Farbnegativfilm (seit 1947). Dabei werden zunächst schwarz-weisse Farbnegative unter Verwendung von Farbfiltern hergestellt. Von diesen werden Matrizen in der Grösse des Farbabzuges produziert. Die Matrizen werden in Farbstoff-Lösungen (blaugrün, purpur, gelb Dyes) eingefärbt und anschliessend nacheinander auf ein mit Gelatine beschichtetem Barytpapier passgenau übertragen. Dye Transfer-Abzüge bestechen durch nuancenreiche Farben, hohe Tiefe, lange Haltbarkeit und körnungslose Bildfläche.
Evelyn Hofer, Hommage à Zurbarán (Still Life No. 6), New York, 1997, © Evelyn Hofer Estate, Courtesy Galerie m, Bochum
Der Lebenslauf
Evelyn Hofer, 1922 in Marburg an der Lahn in eine wohlhabende Familie geboren, wächst ohne feste Heimat auf. 1927 zieht die Familie ins Fextal im Oberengadin und gibt 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, die deutsche Staatsbürgerschaft ab. Für einige Jahre lebt die Familie in Madrid, bei Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs kehren Evelyn Hofer und ihre Schwester aber wieder ins Engadin zurück.
Evelyn Hofer, Villa Medici, Chambre Turque, Rom, 1982, © Evelyn Hofer Estate, Courtesy Galerie m, Bochum
Während der Zeit in der Schweiz, als knapp 20-Jährige, beginnt sie eine Ausbildung als Fotografin im bekannten Studio Bettina in Zürich und nimmt Privatstunden bei den Fotografen Hans Finsler und Robert Spreng, einflussreiche Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Der Vater, in der Zwischenzeit nach Mexiko ausgewandert, lässt seine Familie 1942 nachkommen. Evelyn Hofer nimmt die mexikanische Staatsbürgerschaft an und bekommt erste Aufträge für Modezeitschriften. Die Reaktionen auf diese Aufnahmen sind durchzogen. Ihr wird vorgehalten, keine Modefotografien, sondern vielmehr Porträts der Modelle zu schaffen. Sie kämpft um die Anerkennung ihrer Arbeit und gegen das Vorurteil, sie vertreibe sich die Zeit bis zur Heirat mit fotografieren.
Evelyn Hofer, 8th Street, Washington,1965
© Evelyn Hofer Estate, Courtesy Galerie m, Bochum
Des ändert sich nach und nach, als sie 1946 nach New York umzieht und als freischaffende Fotografin für Zeitschriften wie Haper’s Bazaar oder Vogue zu arbeiten beginnt. New York wird bis ins hohe Alter ihr Arbeits- und Wohnort bleiben, zu einer wirklichen Heimat wird die Metropole aber nie.
Evelyn Hofer befasste sich neben technischen Aspekten und dem Arbeiten in der Dunkelkammer vor allem auch mit kunsttheoretischen und fotoästhetischen Aspekten, wodurch sie schliesslich ihre charakteristische Fotografie für Zeitschriften bildete. In den 1950er-Jahren war sie eine der ersten Fotografen, die Farbe in ihr fotografisches Werk einführten; Hofer wandte sich früh der Technik des Reliefdrucks zu. Während ihrer gesamten Schaffenszeit fotografierte sie sowohl in Farbe als auch in Schwarz-Weiss – in Abhängigkeit davon, wonach das einzelne Motiv in der jeweiligen Situation verlangte.
Evelyn Hofers gradliniger Stil ist an keine modischen Strömungen in der Fotografie gebunden und verändert sich über die Jahrzehnte kaum. Während Zeitgenossen wie Robert Frank oder Helen Levitt in schnappschussartigen Aufnahmen den subjektiven Zugang betonten, sind die Fotografien von Evelyn Hofer durchkomponiert und malerisch.
Die Bilder in der Schweiz

Ein Herzstück in ihrem Werk ist die umfangreiche Porträtserie der Bewohner von Soglio. Das kleine Dorf im Bergell war der Ort, den Evelyn Hofer am ehesten als ihr Zuhause betrachtete. Jeden Sommer kehrte sie nach Soglio zurück, das sie seit ihrer Kindheit kannte und schätzte. Die umfangreiche Serie entstand als freie Arbeit. Ihre persönliche Motivation und die tiefe Verbundenheit zeigen sich in der aussergewöhnlichen Nähe zu den Porträtierten: entspannte Körper, gelöste Gesichter und das private Umfeld sind Ausdruck dieser vertrauensvollen Beziehung.
Die begabte Fotografin starb am 2. November 2009 in Mexiko-Stadt.
Titelbild: Evelyn Hofer, Lee Krasner’s Shoes, Pollock Studio, Long Island, 1988 © Evelyn Hofer Estate, Courtesy Galerie m, Bochum
Das Buch:
ISBN 978-3-95829-563-6 (Steidl Göttingen)
ISBN 978-3-9811884-3-1 (Galerie m. Bochum)