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Gärten machen glücklich

Dass Pflanzen heilend wirken, ist keine neue Erkenntnis. Gemeint sind für einmal nicht Heilpflanzen, also zum Beispiel Kamille gegen Bauchschmerzen. Gemeint ist die Kraft der Pflanzen allgemein. «Verditas» nannte Hildegard von Bingen (1098-1179), Heilige und Universalgelehrte, diese Energie, die «Grünkraft» der Natur. Und was im Mittelalter gilt, hat bis heute Bestand.

Dass der Aufenthalt in der Natur Körper und Seele gut tut, wird kaum jemand bestreiten. Abgesehen von Pollenallergikern natürlich. Dass Pflanzen Stress reduzieren und die Schmerztoleranz erhöhen können, ist eine Erkenntnis, auf der die immer zahlreicher werdenden Therapiegärten in Schmerzkliniken, Rehabilitationszentren, Altersheimen und Einrichtungen für Demenzkranken basieren.

2010 schrieb die Professorin Renata Schneiter-Ulmann, Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil, nicht nur ein umfassendes Lehrbuch zum Thema «Gartentherapie», sie initiierte auch verschiedene Forschungsprojekte und Ausbildungsmodelle zum Thema.

Pflanzengestützte Therapien

Therapiegärten gibt es in unterschiedlicher Ausprägung. Allen gemeinsam ist die Fokussierung auf Sinneswahrnehmungen. Pflanzen sollen Nase und Augen, aber auch den Tastsinn und den Geschmackssinn anregen. Diese durch Pflanzen hervorgerufenen Reize erzeugen ganz individuelle Körperreaktionen, Emotionen und Gedanken.

Wilder Thymian am Wegrand macht Lust auf Pizza. Er blüht auf dem Balkon fast unermüdlich bis in den Herbst hinein. Un die Insekten lieben ihn. (Pixabay)

Konkret: Da fährt eine demente, «sprechunfähige» Patientin mit der Hand durch einen Strauch Pfefferminze – und strahlt: «Tee!» Eine andere Person will jeden Tag am Rosmarinstock riechen und entspannt sich dabei sichtlich. Ein sehr betagter Italiener bekommt glänzende Augen, wenn er zwischen den Steinen der Wegumfassung den wilden Thymian riecht. Auch meine Kinder riefen auf Wanderungen begeistert «Pizzakraut» aus, wenn sie die kleinen, violetten Blütenbüschel erspähten.

Pränatale Sinnesreize

Rosenbeete, die in keinem Therapiegarten fehlen, sind ein Thema für sich. Rosenduft löst Emotionen aus, macht glücklich. Was sich durch dessen biochemische Zusammensetzung auch wissenschaftlich erklären lässt: Die in jedem der unterschiedlichen Rosendüfte enthaltene Substanz Indol findet sich in seiner olfaktorischen Urprägung auch im Mutterleib. Indol ist ein in vielen Naturstoffen vorhandenes Strukturfragment, dessen Geruch (auch) durch die im Fruchtwasser enthaltenen Abbauprodukte entsteht – warm-animalisch, nach reifen Früchten duftend. Rosenduft lässt also ganz weit zurückliegende, unbewusste Erinnerungen anklingen. Und gibt ein Gefühl von Geborgenheit.

Rosen führen uns über ihren Duft ganz, ganz weit zurück an den Anfang des Lebens. (b.r.)

Aber nicht nur Sinneseindrücke wie Düfte, Farben oder Formen werden in Therapiegärten angesprochen. Sie wirken sich ganz allgemein positiv auf das physische und psychische Wohlbefinden von Menschen aus. In der Schweiz spielt die RehaClinic Bad Zurzach dabei eine Pionierrolle. Patienten nach einem Schlaganfall oder Schmerzpatienten sprechen gut auf Impulse aus dem Therapiegarten an. So können Schmerzpatienten, die beim Essen kaum die Gabel zum Mund führen können, angesichts einer offensichtlich «durstigen» Pflanze in der Lage sein, ein Kännchen mit Wasser zu holen. Dass eine solche Aktion einen wahren Energieschub und viel Hoffnung auf eine allgemeine Schmerzlinderung auslöst, versteht sich.

Düfte ziehen Gäste an

Weshalb ich die Gartentherapie so ausführlich beschreibe? Weil der Umgang mit Pflanzen gerade in der jetzigen, nicht immer leichten Zeit heilend und lindernd wirken kann. Wer einen Garten hat, wird mir zustimmen. Aber auch auf einem Balkon oder am Fensterbrett lässt sich ein kleines Stück «grüne Medizin» kultivieren.

Das müssen nicht die ewiggleichen Geranien oder Petunien sein. Lassen Sie sich weniger durch ihre Augen und mehr durch ihre Nase leiten. Minze, Lavendel, Zitronenverbene, Mayoran, Oregano oder Rosmarin, aber auch Duftgeranien machen optisch nicht so viel her, wecken aber Erinnerungen und Sehnsüchte. An Ferien im Süden zum Beispiel, an Grossmutters Kräutergarten oder an eine Wanderung in den Bergen.

Lavendel duftet nicht nur einen ganzen Sommer lang, getrocknet beschert er auch im Winter noch sonnige Träume. (b.r.)

Und noch etwas. Sie werden den ganzen Sommer über nie mehr allein sein auf ihrem Balkon. Weil Bienen der verschiedensten Art, Schwebfliegen, Hummeln und Schmetterlinge geradezu magisch angezogen werden und zu summenden, brummenden Stammgästen werden. Zumal dieses Duftpflanzen-Kleinzeug im Gegensatz zu ihren grossen Verwandten wie Flieder, Rosen oder Freesien meist bis zum ersten Frost blüht. Und macht mal doch eine schlapp, wird bis in den August hinein Phazelia angesät. Diese oft als Gründüngung verwendete violette «Bienenweide» – so ihr deutscher Name – hält, was sie verspricht.

Wem der Unterhalt solcher pflegeleichten Pflanzen immer noch zu aufwändig ist, der geht einfach mal spazieren und steckt seine Nase über jeden Gartenzaun am Weg. Glauben sie mir, solch grüne Exkursionen werden auch Ihr Gemüt aufheitern. Verditas ist heute so aktuell wie vor fast 1000 Jahren.

6 Kommentare

  1. Liebe Bernadette, so ein aufmunternder Artikel, der die Phantasie anregt! Habe leider keinen grünen Daumen, aber in meiner Umgebung, mitten in der Stadt, ein Biotop, das von einem ehemaligen Kripobeamten (!) mit Hingebung gepflegt wird…Es eignet sich auch als Treffpunkt, weil weit herum bekannt.
    Danke, habe den Artikel schon weitergeschickt!

  2. Kann gut sein, dass mir der Garten den Psychiater ersetzt. Beim jäten, säen, pflanzen und ernten habe ich schon manches Problem intensiv durchgekaut, immer wieder, bis es sich irgendeinmal im Nichts auflöste. Allein im Garten habe ich in Gedanken manchen bösen Brief geschrieben, den ich hinterher nicht verschicken musste. Aber die Beschäftigung mit Pflanzen hat für mich vor allem eine handfeste, greifbare, beziehungsweise essbare Seite: ich liebe es, eigene Salate, Gemüse und Früchte zu verzehren. Das ist ja der Ursprung des Gartens.

  3. Leider habe ich keinen Garten mehr, da ich leider umziehen musste,
    Jetzt habe ich einen schönen Balkon und bin ihn am gestalten, danke für die Anregungen, will versuchen das ich Pflanzen finde, ausser meinen Rosen, die ich ebenfalls liebe, die Bienen ectr. anlocken am liebsten Pflanzen die wunderbar riechen…

  4. Gärten und Gärtnern sind Seelenmassage– auf meine zwei Balkonen hege und pflege ich diverse Sträucher– ziehe die vor einiger Zeit gesäten Blumen– jeden Tag ist es für mich Freude und Erholung.
    Martha Voirol

  5. Salat, Rhabarber, Radiesli zu verschenken und selbst zu geniessen, erfreuen uns.Besonders aus dem eigenen Garten,der ja nicht perfekt sein muss. Oder soll auch im Garten der Stress und Ehrgeiz dominieren?

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