«Potential Worlds 1: Planetary Memories» ist die erste von zwei Ausstellungen, welche das Migros Museum für Gegenwartskunst präsentiert. Die «Möglichen Welten 1» befassen sich mit dem Verhältnis Mensch und Natur. Machtvolle Gewinnung von Ressourcen, aber auch kreative Lösungen werden in künstlerischen Beiträgen beleuchtet.
In der Zürcher Ausstellung Potential Worlds 1 äussern sechzehn Künstler aus allen Ecken der Welt ihre Sorge um den Fortbestand der Erde und suchen nach Lösungsansätzen. Sie zeigen, dass Kunst nicht nur l’art pour l’art ist, sondern sich mit der Umwelt und der Gesellschaft auseinandersetzt, wie auch die noch laufende Ausstellung Circular Flow im Basler Kunstmuseum der Gegenwart.
Mark Dion, The Library for the Birds of Zürich, 2016/20, Stahl, Holz, Bücher, Vögel, 350 x 610 cm. Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich.
Mark Dion (*1961 USA) denkt darüber nach, wie die Umwelt verstanden werden kann, wenn sich der Mensch in der Vormachtstellung glaubt. Für die Installation The Library for the Birds of Zürich stapelt und verteilt er vogelkundliche Bücher in einer Voliere. Zebrafinken und Kanarienvögel fliegen in dieser Bibliothek für Vögel herum und ruhen sich in den Zweigen des Baumstamms oder auf den Büchern und Jagdutensilien aus. Die Vögel nutzen die Bibliothek auf ihre Art; und die Idee, Vögel mit dem menschlichen Wissensschatz über ihre Herkunft zu beschenken, wird ad absurdum geführt. Dion zeigt bildhaft, dass die Geschichte der Naturwissenschaften mit der Inbesitznahme der Tiere untrennbar verbunden ist.
Monira al Quadiri, OR-BIT 1 (2016), der nachgebildete Bohrkopf aus Glas windet sich wie der Turm von Babel in die Höhe. Im Hintergrund «Divine Memory» (2019), ein Video mit Oktopussen, unterlegt von einem Soundtrack mit religiöser Poesie als Inspiration zum Staunen über das Leben auf der Erde.
Monira al Quadiri (*1983 Kuwait) untersucht die Auswirkungen der Ölindustrie in den Ländern des Persischen Golfs. Vor dem Öl war Perlenfischen die Haupteinnahmequelle ihres Landes. Ihr Grossvater, den sie nie kannte, war Sänger auf einem Perlenfischerboot. Ihm widmet sie ihr Werk «Father of Pearl». In einem Interview sagt sie: «Öl ist überall enthalten, man kann sich dem Rohstoff im Alltag nicht entziehen, er ist wie ein Geist, dem man nicht entkommen kann.» Wenngleich Öl zerstörerische Auswirkungen hat, sieht die Künstlerin darin auch Schönheit. Ihre aus Glas nachgebildeten Bohrköpfe glänzen und funkeln im Licht wie die Regenbogenfarben in einer Öllache oder im Perlmutt ihres Grossvaters. Lila ist die Farbe des höchsten Gefahrenalarms in der Ölindustrie, Lila verwendet die Künstlerin als Warnsignal für unseren Umgang mit der Erde.
Mishka Henner, Levelland Oil Field, Hockley County, Texas 2013, Archival Pigment Print, 24 Teile, je 270 x 400 cm, Courtesy Galleria Bianconi, Milano.
Mit der Ölindustrie und deren Folgen setzt sich auch Mishka Henner (*1976, Belgien) auseinander. Was wie ein grosses abstraktes Gemälde aussieht, sind digitale Satellitenaufnahmen aus dem Internet, welche dem Künstler als Basis seiner Arbeiten dienen. In der Serie Levelland Oil Field recherchiert er Bilder von Ölfeldern, in denen Bohrungen vorgenommen werden. Sie zeigen ein Geflecht von Ölleitungen, die ein Netzwerk über der Landschaft bilden. Der kartografische Blick aus dem All macht die unfassbar grossflächige Ausdehnung der Ölindustrie sichtbar.
Katja Novitskova, Pattern of Activation (C. Elegans), 2020, featuring Approximations, 2012 – ongoing, and Pattern of Activation (Embryogenesis), 2017. Digitaldruck auf Aluminiumaufsteller, Acrylglas, Spiegelplatten, Kabelmäntel. Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin.
Die Installation mit überdimensionalen Fadenwürmern von Katja Novitskovas (*1984, Estland) bezieht sich auf die in der biotechnologischen Experimentalforschung verwendete Gattung des Fadenwurms Caenorhabditis elegans als Modellorganismus. Monumental vergrössert schlängeln sich die Wurmgebilde in die Höhe oder kriechen aus ihren Eiern ausgeschlüpft am Boden herum. Mit den Schattenwürfen an der Wand bilden sie eine apokalyptische Landschaft, so als hätten biotechnologische Mutanten alles Leben in der Umwelt ersetzt. Die Künstlerin reflektiert mit dieser Arbeit die ökologischen Auswirkungen durch das Experimentieren mit genetisch veränderten Lebensformen.
Reena Saini Kallat, Garden of Forking Paths (Detail), 2017, Gouache, Kohle, Tinte und Elektrokabel auf handgeschöpftem Papier, 4 Teile, je 147 x 147 x 8 cm. Courtesy Manchester Museum and Reena Kallat Studio.
Reena Saini Kallat (*1973, Indien) befasst sich in ihrem Werk mit territorialen Konflikten. Sie malt Landschaften und sieht die Natur als symbolisches Vorbild für eine Welt ohne Ländergrenzen und ohne Streit um Ressourcen. Sie vereint verschiedene Pflanzen- und Tierarten, die als Nationalsymbole gelten, zu einem neuen Wesen, wie den bengalischen Tiger für Indien mit dem Panda für China. Die Parzellierungen mit Stacheldraht sind für sie sowohl Grenzen als auch Verbindungskabel zur Kommunikation.
Im grossen Vorführsaal werden zwei Videofilme von Ursula Biemann (*1955, Schweiz) präsentiert. In ihren Filmen visualisiert die Videokünstlerin weit auseinanderliegende ökologische Zusammenhänge auf der Erde. Dabei verweist sie auf die globalen und sozialen Auswirkungen rund um den Klimawandel und die damit verbundene politische Verantwortlichkeit. Im Film Deep Weather (2013) setzt sie kanadische Teersandlandschaften, aus denen Öl gewonnen wird, in Beziehung mit Menschen in Bangladesh, die mit Sandsäcken einen Wall gegen die Überflutung aufbauen.
Ursula Biemann, Subatlantic, 2015, Videostill, Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich.
Die Ausstellung Potential Worlds 1: Planetary Memories setzt sich mit Fragen auseinander, wie wir unsere Verantwortung gegenüber dem Planeten wahrnehmen und wie wir uns das Zusammenleben auf der Erde vorstellen. Anknüpfend an diese Fragen setzt die nächste Ausstellung Potential Worlds 2: Eco-Fictions den Schwerpunkt auf die sich ständig verändernde Rolle des Menschen in Zeiten neuer Technologien.
Fotos: rv
Die zwei Ausstellungen in Zürich werden in Zusammenarbeit mit YARAT, dem Contemporary Art Space von Baku kuratiert und im Anschluss in Baku/Aserbaidschan gezeigt.
Bis 11. Oktober 2020 Potential Worlds 1: Planetary Memories
24.10.2020 – 21.2.2021 Potential Worlds 2: Eco-Fictions
Im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich, mehr Infos hier
Begleitend zur zweiteiligen Ausstellung erscheint im Juni 2020 eine Publikation.