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Wayang Kulit – Schattentheater aus Java

Das Schattenfigurentheater Wayang Kulit ist auf Java mit dem «Import» des indischen Epos Mahabarata seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesen. Wayang Kulit hat die Einführung des Islam ebenso überlebt wie die Kolonialzeit und entwickelt sich auch in der Moderne fort. Eine Ausstellung im Museum Rietberg.

Wer einmal eine der javanischen Schattenspielfiguren von ganz nah gesehen hat, ist fasziniert von der akribisch feinen Handwerkskunst, den eleganten Formen und den reichen Farben. Die filigranen Figuren sind aus Tierhaut, die nach traditionellen Vorbildern ausgeschnitten, perforiert, bemalt, auch vergoldet und schliesslich mit den nötigen Stäben fürs Spiel versehen werden. Eine Vitrine zeigt die verschiedenen Schritte der Bearbeitung sowie die dafür benötigten Werkzeuge.

Arjuna, Kresna, Baladewa und Bima (von links), Aufführung in Yogyakarta, Dezember 2019, © Martha Setyowati

Im Museum Rietberg sind während des Sommers ein halbes Hundert solcher Figuren in der Ausstellung Schattentheater aus Java – Geschichten über das Leben und die Welt zu sehen. Was nun erstmals der Öffentlichkeit gezeigt werden kann, kam vor vier Jahren als Geschenk ins Rietberg. Die von Paul Stohler aufgebaute Sammlung wurde von Tina Stohler nach dessen Tod dem Museum übereignet. Inzwischen sind die Figuren restauriert und katalogisiert – dabei geht es auch ums Who is Who, denn jede Figur hat einen Namen und einen definierten Charakter. Ergänzt durch weitere kostbare Leihgaben sowie Videos von der Vielfalt des Wayang Kulit im heutigen Java wird ein umfassender Einblick in diese besondere Tradition des Erzählens von universalen Geschichten geboten.

Der grosse Raum im ersten Untergeschoss ist diesmal mit einem langen und hohen Raumteiler zweigeteilt. Auf beiden Seiten gibt es halbrunde Nischen, in denen die klassischen Figuren so im Licht stehen, dass ihre Schatten an der weisse Rückwand der Nische zu sehen sind. Im dunklen massiven unteren Teil des langen Schranks sind die für die meisten Besucher unerlässlichen ausführlichen Beschreibungen der ausgestellten Stücke. Die Aussenwände des Raums gegenüber den statisch präsentierten Figuren sind belebt: Mehrere Videofilme aus dem heutigen Java zeigen Publikum, Spiele und verschiedene Spielmeister in Aktion, auf einem ist auch die Ko-Kuratorin Eva von Reumont zu entdecken, wie sie sich bei einem Dalang, wie die Meister heissen, informiert. Sie hat zwei Monate im Rahmen ihrer Doktorarbeit auf Java recherchiert und zusammen mit dem Kurator Südostasien vom Rietberg-Museum, Johannes Beltz, das Stohler-Geschenk für die Ausstellung vorbereitet und aufgebaut.

Zielgerade beim Aufbau: Eva von Reumont, Ko-Kuratorin der Ausstellung, spricht sich mit Ausstellungsgestalter Martin Sollberger ab. Foto © Museum Rietberg

Das javanische Schattentheater gehört seit 2003 zum Unesco Weltkulturerbe. Die Ursprünge gehen auf das indische Epos Mahabarata zurück, die Geschichte eines Familienstreits, welches einst über Handelswege nach Java gelangte. Es wurde aufgesogen und angepasst, Idonesien erzählt damit seine eigene Geschichte. Die Einführung des Islam Mitte des 15. Jahrhunderts setzte keine Zäsur, mit Wayang Kulit wurde die mystische Lehre des Islam weiterverbreitet. Indonesien ist ein grosses Land mit einem synkretistischen Islam. «Mit dieser Ausstellung lässt sich auch unser Islambild hinterfragen,» sagt Kurator Beltz, und Eva von Reumont fügt bei, dass gerade damals, als der Islam auf die Inseln kam, das Schattentheater eine Blütezeit hatte. Das wichtigste Gebot, nämlich das der Einheit in der Vielfalt, ist Garant für das Weiterleben der Tradition auch unter veränderten gesellschaftlich-kulturellen Einflüssen. Im mystischen Islam hat jeder Mensch direkten Bezug zu Gott: Universum, Mensch, Natur sind Eins.

Semar, Gott und Berater, Java, 1800–1900, Geschenk Paul und Tina Stohler, Museum Rietberg

Der höchste Gott Semar ist eher hässlich formlos von Gestalt, weder Mann noch Frau. Ihm steht sein Bruder Togog zur Seite. Sie sind weise, ratgebende Diener. Während Semars Rat von den Guten angenommen wird, findet Togog bei den Bösen kein Gehör. Die Ratgeber sprechen Themen an, die fürs Publikum relevant sind und sorgen auch für Spass. Alle Figuren sind definiert, es gibt jeweils von rechts nach links gerichtet die Guten, von links nach rechts gerichtet die Bösen. Die Guten haben schmale Augen, eine spitze Nase, der Mund ist geschlossen, der Kopf geneigt, die Taille ganz schmal und die Beine parallel. Ihre Gesichtsfarbe ist schwarz. Die Bösen schauen aus roten Gesichtern mit offenen Augen eher aufwärts, haben knollige Nasen und offene Münder, sie schreiten aus, was auf ihre Neigung, gewalttätig zu handeln, deutet. Frauen sind gut, sie sind daher klein, auch die Grösse ist ein definiertes Merkmal. Sie zeigen Selbstbeherrschung und Einfühlsamkeit. Eindeutig gut oder böse ist jedoch keine Figur, denn in jedem Guten steckt etwas Böses und umgekehrt.

Bei der Aufführung wird zwischen Stamm- und Astgeschichten unterschieden: Stammgeschichten sind unveränderlich, Astgeschichten können frei erfunden werden. Weil der Dalang erzählt, ist jede Aufführung nicht identisch mit der vorherigen, das gilt auch für die Stammgeschichten.

Dokumentarfilm über das Unesco-Weltkulturerbe Wayang Kulit. Auf Youtube gibt es hunderte von Stunden von Aufführungen, denn in Java wird praktisch jede Aufführung gestreamt.

Eine Aufführung dauert gewöhnlich die ganze Nacht, die braucht der Dalang, um die Geschichte von Leben und Tod zu erzählen. Auch mal Einschlafen gehört zum Theaterbesuch. Diese Tradition wird heute aufgebrochen. Es gibt Aufführungen, die nur so lange wie ein Kinofilm dauern, angepasst an die modernen Sehgewohnheiten. Da dennoch das gesamte Ideenspektrum vermittelt wird, die philosophischen, mystischen, religiösen und politischen Ideen, braucht es Regie, denn ein Script existiert auch bei der verkürzten Form nicht, es wird erzählt.

Jede Aufführung beginnt mit den Klängen des Gamelan-Orchesters. Nun strömt das Publikum herbei. Sobald die Geschichte beginnt, dirigiert der Dalang, der Schattentheatermeister, die Musik und bestimmt die Lieder. Eine Lichtquelle über ihm projiziert die Figuren als Schatten auf die Leinwand vor ihm.

Auf Java wurde Eva von Reumont immer wieder gefilmt, wenn sie sich informierte. Ein Video fand den Weg in die Ausstellung.

Sein Charisma will das Publikum erleben, daher und auch um die Pracht der Figuren zu sehen, sitzt es gern auf der Seite des Lichts. Die Schatten auf der Leinwand sind trotzdem sichtbar. Jüngere Leute tendieren dagegen wieder eher zur Schattenseite. Dass die Schatten die Ahnen sind, ist jedem Dalang bewusst. Nicht nur jenen, die aus den berühmten Familien kommen, wo schon der kleine Bub mit der Tradition vertraut wird, auch jenen, die sich das Metier im Studium aneigneten.

Jede Generation bringt eine Handvoll Grossmeister hervor, die auch ein gutes Einkommen erzielen. Die Aufführungen – grundsätzlich für ein breites Publikum gedacht – sind kostspielig und werden von Mäzenen, der öffentlichen Hand oder Firmen gesponsert

Adipati Karna, Java, 1850–1900, Prabu Kresna, Java, 1750–1850, Arjuna, Java, 1800–1850 (von links) aus der geschenkten Sammlung von Paul und Tina Stohler

Die ausgestellten Figuren sind meist über hundert Jahre alt und stammen aus Herrschaftshäusern. Alle wurden fürs Spiel benützt, was ihren Wert auch dann nicht mindert, wenn sie einen Defekt haben, immerhin werden die Pergamente mitunter heftig auf die Leinwand geschlagen, wenn es um die Darstellung von Krieg geht. In Indonesien wird dann restauriert, aber nicht ergänzt oder neu bemalt: das Alter darf gezeigt werden.

Beitragsbild: Figur aus der Schenkung Paul und Tina Stohler. Foto: E. Caflisch
Bis 29. November
Die Ausstellung ist eröffnet. Über das Pfingstwochenende und auch später finden mehrere Führungen täglich statt. Eine Anmeldung (online) ist erforderlich, da nur vier Personen jeweils teilnehmen können.

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2 Kommentare

  1. Hallo und vielen Dank für die Info! Ich bin selbst passionierter Sammler von Wayang Kulit Figuren und deswegen auch unzählige Male in Indonesien gewesen. Ich würde mich freuen, Kontakt zu bekommen zu den Expertinnen….
    Ich hoffe, dass mit Ihrer Ausstellung das Wayang bekannter wird und eine neue Wertschätzung erfährt.
    Viele Grüße – Dieter Seifert

  2. Annegret Haake
    Auch ich habe mich mit dem Thema Wayang Kulit beschäfigt außer mit traditioneller Batik. In den 1970er Jahren hat mich eine Familie aus Yogya, die selbst traditionelle Batik produziert, integriert. Ein Mitglied der Familie hat das Wayang Ukur erfunden. So bin ich immer über alles informiert worden. Wenn Sie mehr wissen wollen, fragen Sie per email, die im Moment nicht funktioniert. Der neue PC kommt hoffentlich bald.
    Viele Grüße von Annegret Haake

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