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Bücher haben eine Seele

Wer Armin Tröschs Antiquariat an der Rämistrasse in Zürich betritt, befindet sich in einem scheinbar aus der Zeit gefallenen, wunderbaren Laden, der sich zwischen den eleganten Kunstgalerien nach wie vor behauptet.

Seniorweb: Herr Trösch, immer wenn ich an Ihrem Geschäft vorbeigehe, kommen alte Erinnerungen hoch und die Frage, wer steckt dahinter?   

Das Buchantiquariat wurde von Melchior Britschgi in den 1940er Jahren gegründet. Er führte es bis zu seinem Tod 1982, seither bin ich der Inhaber. Die ganze Einrichtung ist original 40er Jahre, der Linoleumboden, die Regale, die Wände wurden nie gestrichen, nur die Neonlampen sind neu. Es ist wohl der einzige historische Laden aus dieser Zeit in der City, er wurde lediglich einmal verkleinert. Die enge Treppe führt in den Keller zu den Musikalien. Das Telefon hat noch eine Wählscheibe, ich habe weder Computer noch Handy oder Internetanschluss.

Das Buch-, Musik- und Theater-Antiquariat an der Rämistrasse 33 in Zürich.

Früher gab es mehrere Buchhandlungen und Antiquariate an der Rämistrasse, wie können Sie Ihr Geschäft an dieser Lage halten?

Das Antiquariat ist eine wunderbare Sache, nur verdient man nichts. Dafür habe ich täglich interessante Gespräche mit Menschen, die Bücher lesen oder die mir von ihren Sorgen erzählen. Jeder Tag ist gut für eine Überraschung. Es kommt jemand und fragt nach einem Buch, das seit zwanzig Jahren im Laden liegt. Alle alten Bücher, die mir die Leute bringen oder die ich abhole, schaue ich sorgfältig an, bestimme den Preis und kenne so jedes einzelne Werk. Solange mein Kopf noch gut funktioniert, weiss ich auch, wo ich es finde, wenn es richtig eingeordnet ist. Um den Preis eines Buchs zu bestimmen, braucht es viel Erfahrung.

Ich bin 81 Jahre alt, das Geschäft ist inzwischen mein Hobby. Regelmässig schauen Leute herein, auch nur zum Hallo sagen. Vom Verkauf kann ich nicht leben. Aber da die Ladenmiete relativ günstig ist, und ich jeden Monat etwas drauflege, reicht es mit der Rente für ein bescheidenes Leben.

Das Internet hat den Handel massiv verändert, welchen Einfluss hat es auf Ihr Antiquariat?

Seit der Einführung des Internets haben Bücher keinen materiellen Wert mehr. Auch Musiker nutzen statt gedruckter Noten zusehends das Tablet. Oft kommen Leute mit einer alten Bibel in den Laden und denken, sie sei kostbar. Aber Bibeln sind die meistgedruckten Bücher, die in den Familien nie weggeworfen werden. Sie haben einen geistigen Wert für die Familie, aber verkaufen lassen sie sich heute nicht mehr, ebenso wenig die sorgsam gehüteten ledergebundenen Klassikerausgaben von Schiller und Goethe.

Antiquarische Bücher findet man heute billig im Internet im Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher ZVAB, wo Bücher mitunter für einen Franken angeboten werden. Die Erfahrung des Buchhändlers gilt nichts mehr, überall auf der Welt kann man im Internet Bücher selber suchen, alles ist transparent, vielleicht auch gerechter. Früher konnte man auch keine Fantasiepreise verlangen, man machte höchstens hin und wieder ein gutes Geschäft. Doch kein Antiquar ist je reich geworden, ausser er erbte ein Vermögen.

Armin Trösch, Buchhändler aus Leidenschaft.

E-Books haben keine Seele, Antiquarische Bücher dagegen haben eine Seele. Sie sind von Menschen gelesen worden, haben vielleicht handgeschriebene Anmerkungen, den Namen oder ein Exlibris. Es gibt sehr schön gestaltete Bücher, wie die Bändchen vom Insel-Verlag, das sind kleine Kostbarkeiten. Doch heute ist die Buchkultur minimal. Zwar will jeder, der einmal etwas geschrieben hat, dass «sein Buch» gedruckt wird. Mit der heutigen Technik lassen sich Bücher in kleinsten Auflagen herausgeben. Doch Vieles landet nach wenigen Jahren im Altpapier. Auch ich muss viel entsorgen. Manchmal stellen mir die Leute volle Büchersäcke vor die Ladentüre, doch nur selten finde ich darin etwas Brauchbares.

Was hat Sie dazu gebracht, Buchhändler zu werden?

Ich bin 1939 in Zürich geboren und in Dietikon aufgewachsen in einem gutbürgerlichen Haus, der Vater war Beamter. Von klein auf faszinierten mich Bücher, ich hockte am Boden und schaute die schönen Bilder von Schnorr von Carolsfeld in der Bibel an. Später las ich alle Bücher von Karl May, überhaupt alles, was ich finden konnte, am Mittwochnachmittag war ich regelmässig in der Bibliothek. Aber studieren wollte ich nicht, sondern Buchhändler wollte ich werden.

Die Lehre begann ich 1955 in der Buchhandlung Schürch am Bahnhofplatz 5 in Zürich. Der Buchhandlung waren auch ein Antiquariat sowie eine Leihbibliothek und ein Café angeschlossen. Das Gebäude gehörte dem Patron, der sehr reich und überaus sparsam war. Fürs WC musste ich als Lehrling die Seiten der alten Telefonbücher mit der Schneidemaschine zerkleinern. Der Lehrlingslohn war im ersten Jahr 40, dann 50 und zuletzt 60 Franken. Wenn Angestellte bei einem Monatslohn von etwa 300 bis 400 Franken um etwas Lohnerhöhung baten, kamen dem Patron die Tränen. Am strengsten war das Weihnachtsgeschäft, oft arbeiteten wir fast bis Mitternacht, Herr Schürch spendierte allen um 22 Uhr grosszügig eine Ovomaltine.

Über welche Wege kamen Sie zum eigenen Antiquariat?

Ich arbeitete nach der Lehre in verschiedenen Buchhandlungen, bei Wurzel an der Tannenstrasse war ich Geschäftsführer. Doch als Buchhändler kommt man finanziell nicht weit. Als mir ein Kunde aus einer Kosmetikfirma in Baar ein verlockendes Angebot als Geschäftsführer machte, nahm ich es an. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt, verheiratet und hatte kleine Kinder. Ich verdiente etwa dreimal mehr als zuvor, war perfekt gekleidet und ging einmal wöchentlich zum Coiffeur. Aber nach zwölf Jahren hatte ich genug, ich wollte meine Freiheit zurück, auch wenn ich weniger verdiente.

Während ich in verschiedenen Antiquariaten und Verlagen arbeitete, dachte ich an einen eigenen Laden. Aus den Schriften von C.G. Jung hatte ich gelernt, für die Lösung meiner Probleme in mein Inneres zu horchen. Dieses brachte mich auf die Idee, ein Antiquariat für Musiknoten zu eröffnen, das gab es damals in Zürich nicht. Ich fragte 1978 Melchior Britschgi, der um die sechzig war, ob er nicht ans Aufhören denke. Nein, er wollte weiterarbeiten, aber mit meiner Idee, in seinem Keller, wo nur Gerümpel herumlag, ein Musikantiquariat als Shop in Shop einzurichten, war er einverstanden. Tragikomisch war, dass er sich stets über meine langen Haare ärgerte, mich zum Coiffeur schicken wollte, und selber vier Jahre später auf dem Coiffeursessel an einem Herzinfarkt starb. Seiner Witwe konnte ich darauf den Laden abkaufen.

Als Musikalienhändler müssen Sie wohl eine besondere Beziehung zur Musik haben.

Ich sang dreissig Jahre in einem katholischen Kirchenchor, obwohl ich nicht katholisch bin. Musik interessierte mich schon als Kind. Ich wollte Geigenspielen lernen, aber da mein Vater dagegen war, lernte ich Akkordeon. Als Kind hörte ich am Sonntag auf Radio Beromünster regelmässig die Sendung «Musik für Alle». Einmal hörte ich eine Musik, die mich vollkommen verzauberte, ich war so zehnjährig. Es war eine Partie aus «Lohengrin» von Wagner, ein Erweckungs-Erlebnis. Die Musik berührte mich, und sie berührt mich bis heute. Ich beschäftigte mich intensiv mit Wagner, auch mit seinen Schattenseiten, und wurde Präsident der Schweizerischen Richard-Wagner-Gesellschaft, heute bin ich Ehrenmitglied.

Armin Trösch, Liebhaber und Fachmann antiquarischer Musiknoten.

Neben dem Verkauf von antiquarischen Büchern und Noten biete ich auch Musikerbüsten an, Chopin, Wagner, Beethoven in Gips oder in Bronze gegossen, die man früher aufs Klavier stellte. Als Hobby gestalte ich selber Musikerbüsten aus Gips. Für das Wagner-Museum in Luzern-Tribschen schuf ein Künstler in meinem Auftrag einen grossen Wagnerkopf in Bronze, der vor dem Museum steht. Eine zweite moderne Fassung, die ich Zürich schenken wollte, liegt in meinem Keller.

Fotos: Ruth Vuilleumier

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2 Kommentare

  1. Viele Dank es war sehr interessant die Geschichte habe es mit Freude gelesen es erinnert an alte Zeiten,
    Wunderbar

  2. Aus meiner Bubenzeit so in den 1950iger Jahren war ich auch oft Gast in der Leihbücherei am Graben in Winterthur. Für 50 Rappen pro Buch konnte ich in mein Kopfkino abtauchen. 14 Tage lang.
    Hände weg vom Schund war eine Aktion der Schule. Wer ein «Schundheftli» brachte erhielt dafür ein SJW -Heft. Da Micky Maus auch als verwerflich galt kam ich so zu einigen Heften. Auch Karl May war von den Eiferen als schlecht taxiert worden.
    In der Leihbücherei hingegen holte ich mir Karl May Bücher, auch Krimis und Western zogen mich in den verbotenen Bann.
    Die Ausleihfrau hockte an einer Art Theke haute den Datumstempel auf das Innere des Buchdeckels, unter der Theke hockte noch ein Pudeli der oft kläffte. Ich zahlte die 50 Rappen und tauchte zu Hause in die teilweise verruchte Welt ab.
    Leider handelte die Inhaberin unter der Leihtheke mit Pornoheften und der Laden und meine Welt wurde gerichtlich geschlossen. Sie wurde offenbar mit den 50gerlis nicht wohlhabend.
    Meine Mutter war ebenfalls eine Leseratte, aber ihre Bücher verstand ich zum Teil nicht, oder waren zu Langweilig für mich. Als erwachsener habe ich dann vieles aus ihrer Bücherwand gepickt und gelesen.
    Im Dorf hatte es auch eine Papeterie, geführt von zwei Schwestern, ich hab sie nur als sehr alt in Erinnerung. Ihr Laden roch ähnlich wie die Leihbücherei, im Innern alles unübersichtlich, aber egal was man kaufen wollte sie fanden das Verlangte immer. zB. Seidenpapier zum Drachen bauen, inkl Holzleistli , Schnur und Leim natürlich.
    Das alles tauchte wieder auf als ich den Artikel las und die Bilder sah!
    Danke dafür.

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