Tauben

Da sass ich eines Morgens zu früh auf dem Perron, im Bahnhof Luzern, mit einem Pappbecher voll Kaffee und einem Vollkorngipfeli. Frühstück unter freiem, oder besser gesagt, bedecktem Himmel, nennt sich das. In gebührendem Abstand trippelte eine wunderschön in Grautönen gemusterte Taube vor mir auf dem Boden herum. Ich warf ihr eine Krume von meinem Gipfeli hin. Flugs schnappte sie sich die Gabe und trippelte weiter, wie wenn nichts geschehen wäre. Das nächste Brösmeli flog in die andere Richtung. Kein Problem! Beim dritten Wurf waren es plötzlich noch zwei weitere Vögel, die sich darum balgten. Aber sie hielten Abstand von mir.

Beim vierten Test waren es dann vier Tauben, eine davon absolut zudringlich. Sie spazierte um meine Schuhe herum, hinter meinen Füssen durch und gab ihren Platz nicht mehr preis. Anzuschauen war sie nicht besonders schön. Ihr Gefieder ging eher in Braun- als in Grautöne und wirkte etwas zerzaust. Rasch verschluckte ich den kleinen Brotrest, der noch geblieben war, und gab den Erwartungsvollen zu verstehen, jetzt sei Ende unserer Bekanntschaft.

Während sich die ersten drei Tauben davon machten, blieb die vierte hartnäckig in meiner Nähe. «Man weiss ja nie», schien ihre Botschaft zu sein. Schliesslich erhob ich mich, der Zug fuhr ein.

Natürlich wusste ich, dass man Tauben nicht füttern soll. Unsere Stadt hat sogar einmal eine entsprechende Plakatkampagne lanciert. Hätte mich jemand gerügt, hätte ich mich herausgeschwatzt. Das Bahnhofareal sei kantonaler Boden. Ein kantonales Taubenfütterungsverbotsplakat hätte ich noch nie gesehen!

Meine Affinität zu Tauben entwickelte sich im Frühling und Sommer des laufenden Jahres. Plötzlich wurde ich immer etwa morgens um fünf Uhr durch ein tiefes Gurren geweckt. Nicht nur zu meiner Freude. Durchdringend tönte es. Ganz aus der Nähe musste es kommen. Ein Schritt auf den Balkon hinaus, und ich war aufgeklärt. Über den Balkon hinweg zieht sich eine Röhre und dort sassen sie. Ein wunderschönes, schwarzgefiedertes Paar. Der Täuberich, so nehme ich an, etwas grösser, seine Gefährtin etwas schlanker. Klatschen mit den Händen nützte gar nichts. Geräusche mit den Rollläden hatten schon eher eine Wirkung, waren aber morgens um fünf Uhr nicht unbedingt angesagt. Denn der Balkon geht auf einen Hof hinaus, der von weiteren bewohnten Gebäuden umgeben ist.

Ich weiss nicht, wie ich die Beziehung umschreiben soll, die sich zwischen mir und den beiden Tauben entwickelte. Eine gewisse Vertrautheit begann den Ärger zu mildern. Denn als sie nicht mehr kamen, das kraftvolle Gurren am Morgen nicht mehr ertönte, weil sie offenbar aus dem Hof vertrieben worden waren, vermisste ich das schwarzgefiederte Taubenpaar.

Eine Bekannte forderte mich jeweils bei Begegnungen mit Tauben auf der Strasse auf: «Sei immer freundlich zu den Tauben. Du weisst nie, ob der Heilige Geist dabei ist». Daran denke ich etwa. Schliesslich schwebte der Geist Gottes in Gestalt einer Taube auf Jesus nieder, als dieser sich am Anfang seiner öffentlichen Tätigkeit im Fluss Jordan durch seinen Vorgänger Johannes taufen liess. So berichtet der Evangelist Matthäus.

Und eine ganz wichtige Rolle hatte die Taube im alten Testament. In der Schöpfungsgeschichte lässt sich nachlesen, dass Noah eine Taube aus seiner Arche fliegen liess, damit sie erkunden konnte, ob das Wasser, das pausenlos auf die Erde herabgestürzt war, abgeflossen sei. Bei der Rückkehr vom zweiten Erkundungsflug hielt sie «ein frisches Blatt von einem Ölbaum im Schnabel». Das war ein Zeichen, dass das Wasser am Ablaufen war. Und dass Gott mit den Menschen wieder Frieden schliessen würde.

Solche Bilder kontrastieren natürlich gehörig zum bekannten Lied des Musikers Georg Kreisler (1922-2011) mit dem Titel: «Tauben vergiften» und Strophen wie: «Schau, die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau, geh ma Tauben vergiften im Park. Die Bäume sind grün und der Himmel ist blau, geh ma Tauben vergiften im Park.»

Die Taube als mächtiges Symbol des Friedens und der Versöhnung und als belangloses Objekt des menschlichen Zeitvertreibs! Kann man sich eine grössere Spannbreite der Bedeutungen vorstellen?

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