Am letzten 1. August postete die Walliser Organistin Sarah Brunner (Bild) im Internet ein patriotisches Musikvideo. Und während den zehn schwierigen Coronawochen zeichnete sie auf der Orgel der Visper Dreikönigskirche «Üssergwähnlichi Zyte mit üssergwähnliche Orgelkläng» auf. Und fand viel Aufmerksamkeit.
Vor ein paar Tagen haben Sie Ihre Freunde mit einem fröhlichen und berührenden Arrangement des Marignan-Marsches, also der offiziellen Walliser Hymne, und der Schweizer Nationalhymne überrascht. Haben Sie viele Reaktionen erhalten?
Sarah Brunner: Die Reaktionen waren enorm und haben mich sehr überrascht. Es war nicht das erste Mal, dass ich den Marignan-Marsch auf Facebook gestellt habe. Mit diesem Marsch, damals aber in der Originalfassung mit der enthaltenen Walliser-Hymne, habe ich die Reihe «Üssergwähnlichi Zyte mit üssergwähnliche Orgelkläng» im März gestartet. Mit dem Marsch wollte ich meine Reihe im Mai auch beenden und habe sie, mit besserer Kameraaufnahme und entsprechender Frühlingskleidung, erneut auf Social Media gestellt.
Und am Nationalfeiertag wurde der Beitrag erst recht ein Erfolg?
Ja. Dass meine 1. Augustversion – dieses Mal mit der Schweizerhymne – meine Aufnahmen von März und Mai dermassen überflügeln würde, damit hätte ich niemals gerechnet. Auch war ich mir nicht bewusst, dass den Schweizern der Nationalfeiertag doch so viel wert ist und sie sich über die Hymne derart freuen. Die Reaktionen waren und sind immer noch gross und auf Facebook wurde das Video bereits über 55’000 Mal angeschaut.
Wie entstand Ihre Serie «Üssergwähnlichi Zyte mit üssergwähnliche Orgelkläng», die Sie in der Visper Kirche aufzeichneten?
Im März war ich von einer Stunde auf die nächste arbeitslos. Nachdem ich mich mit der Situation abgefunden hatte, nun jeden Abend frei zu sein, am Wochenende keine Gottesdienste, Konzerte oder Proben zu spielen, wollte ich mich, wie zu Studienzeiten, wieder mal den grossen Orgelwerken von u.a. Bach, Mendelssohn, Messiaen widmen. Zur Abwechslung versuchte ich mich mit populären Klängen und habe mehr aus Jux den Marignan-Marsch mit dem Handy aufgenommen und einigen isolierten Pensionierten und auch Kollegen per WhatsApp gesandt.
Das hat eingeschlagen?
Minuten später erhielt ich bereits von verschiedenen Seiten Rückmeldungen und Komplimente. Und am Tag danach hatte die Burgerschaft von Visp das Video auf ihrer Facebookseite gepostet. So begann die Idee, doch jede Woche die Leute mit «üssergwähnliche Orgelkläng» aufzumuntern, zu überraschen und zu erfreuen.
Sie bringen nonsakrale Musik aus verschiedenen Sparten auf die Kirchenorgel. Spielen Strauss, Benatzky, aber auch die Beatles, Udo Jürgens und James Bond. Welche Werke eignen sich, welche weniger?
Tatsächlich ist nicht jede Musikgruppe, jeder Stil, sind nicht alle Werke gleich gut geeignet. Es gab auch schon Arrangements, die mir weder harmonisch noch stilistisch viel zum Vertonen gaben, da sie zu sehr vom Text abhängig oder auch harmonisch nicht spannend waren.
Was mögen die Zuhörerinnen und Zuhörer?
Die Leute mögen Melodien, die bekannt sie, mit denen sie sich identifizieren können. Darum versuche ich, die bekanntesten und harmonisch spannendsten Werke einer Band zusammenzusetzen und dem Charakter des Werkes/Liedes gerecht zu werden. Je rhythmischer und harmonisch abwechslungsreicher die Werke sind, desto einfacher ist es, ein Medley zu erstellen.
Sie spielen auch Werke, die nicht für Orgel komponiert wurden. Schreiben Sie die Arrangements für Orgel selber?
Sämtliche Arrangements sind nicht für Orgelsolo geschrieben und ich stelle sie selber zusammen. Die Ideen für mögliche Montagsvideos hole ich mir jedoch oftmals im familiären Umfeld oder bei Kollegen.
Wie reagieren regelmässige Kirchgänger, wenn in würdigen Gotteshäusern plötzlich Ihre lebensfreudige, gar nicht sakrale Musik ertönt?
Als professionelle Organistin spiele ich auch die klassischen Orgelwerke und spiele diese U-Musik nur sehr gezielt oder auf ausdrücklichen Wunsch bei Beerdigungen, Hochzeiten, oder Taufen. Beim sonntäglichen Gottesdienst sorge ich auf der Empore nicht für Unterhaltung, sondern versuche mit meiner Musik die Texte des Sonntags musikalisch umzusetzen. Dazu habe ich das Glück, von einer riesigen Orgelwerksammlung aller Epochen Gebrauch machen zu können. Bei aussergewöhnlichen Gottesdiensten erlaube ich mir gelegentlich am Schluss des Gottesdiensts einen solchen Gag einzubauen.
Und das kommt gut an?
Ich erhalte positive Rückmeldungen und werde regelrecht ermuntert, meine Reihe fortzusetzen. Ich habe einen Bruder, der im Kloster Einsiedeln als Pater tätig ist. Auch er findet, dass meine Videos eine tolle Gelegenheit bieten, die Kirche etwas nach draussen präsentieren zu können auf eine aussergewöhnliche Art.
In Visp spielen Sie auf einem Instrument des Luzerner Orgelbauers Goll. Gibt es Orgeln aus Manufakturen, die sich gut und andere, die sich weniger eignen für diese Musikdarbietung?
Absolut. Es ist jedoch nicht vom Orgelerbauer abhängig, sondern mehr von der klanglichen Vielfalt einer Orgel. Die Orgel in der Dreikönigskirche in Visp ist zwar klein mit 17 Registern, also Klangmöglichkeiten, aber jedes Register hat seinen eigenen Charakter und deshalb eignet sich diese Orgel wunderbar. Ausserdem ist es für die Zuschauer eindrücklich, mitverfolgen zu können, wie ich die Register schnell wechseln kann und wie sich der Klang verändert, wenn ich mit den Händen die Hebel ziehe oder mit den Füssen etwas drücke. Das wäre nicht in jeder Kirche möglich und könnte nicht überall so gut demonstriert werden wie bei dieser Orgel.
Eine technische Frage: Wie zeichnen Sie die Videos auf?
Ganz einfach: ich stelle mein iPhone auf einen Notenständer, drücke «Video – aufnehmen». Das Schneiden des Videos ist sehr einfach. Und da man ja während des Lockdowns keinen Kontakt zu anderen Menschen pflegen durfte, musste ich alles alleine erledigen. Mittlerweile bin ich schon etwas geübt bei diesen technischen Angelegenheiten. Leider ist die Bildqualität auf Social Media nicht super, da die Videos beim Hochladen fest komprimiert werden. Mittlerweile gehört auch das zum Konzept der Videos, sowie auch meine jeweils getragenen Kleider und Schuhe.
Sie publizieren Ihre Videos auf Facebook und betreiben einen eigenen YouTube-Kanal. Wo kann man Ihr Spiel sonst noch hören?
Ich bin ebenfalls auf Instagram (sarah_brunner_orgel) aktiv und kürzlich habe ich mit meinen Coronavideos eine CD erstellt, auf der alle meine Orgelvideos bis zum eigentlich geplanten Abschluss enthalten sind sowie Walliser Lieder, die ich während des Lockdowns mit der Jodlerin Manuela Lehner-Mutter aufgenommen habe. Sie erfreuten vor allem das Walliser Publikum sehr. Die CD kann bei mir unter «sarbrun@hotmail.com» für 20 Franken bestellt werden.
Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit neben dem Orgelspiel?
Als vielseitige Musikerin an der Orgel, am Cembalo und auch am Klavier interessiere ich mich neben dem klassischen Repertoire für unterschiedlichste Projekte, die von historischer Aufführungspraxis über Volksmusik bis hin zu Grossproduktionen wie Musicals und Operetten reichen. Ich betreibe eine rege Konzerttätigkeit, fungiere als Korrepetitorin diverser Chöre, spiele sehr viel Kammermusik und bin regelmässig mit dem Orchester «OPUS Bern» unterwegs.
Auch Kirchenmusik?
Ja, ich wirke als freischaffende Musikerin und seit 2015 als Organistin in der Petruskirche in Bern.
Links:
Es ist ein altes Vorurteil, dass Organisten «nur» Kirchenmusik spielen können oder wollen. Vor ein paar Jahren durfte ich mit einer Gruppe Pensionierter dem Organisten an der Hofkirche Luzern Wolfgang Sieber (geb. 1954) zuhören, seinen Erklärungen zu dieser alten Orgel und seinem schwungvollen Vortrag von Schweizer Volksmusik. Auch in Burgdorf BE wirkte ein Organist, der sich in allen Musikstilen versiert und hörbar mit grosser Freude bewegte: Jürg Neuenschwander (1947-2014), er starb leider ganz unerwartet. – Da freut’s einen, wenn Jüngere übernehmen.
Was für eine fantasievolle, vielseitige und begeisternde Vollblutmusikerin! Mit umfassenden Kenntnissen im Orgelbau und über das ganze Werkinventar für Orgel, nicht nur das der Kirchenmusik. Gerade in dieser Hinsicht gemahnt sie mich an ihre Vorgängerin an der Petruskirche in Bern und an die Nachfolgerin von Jürg Neuenschwander (im Kommentar von Maja Petzold) in Burgdorf: Nina Theresia Wirz. Eine schöne zufällige Verknüpfung in diesem Beitrag! – Es lohnt sich: http://www.ninatheresia.ch