Bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie werden derzeit weltweit grosse Hoffnungen in die Entwicklung eines Impfstoffes gesetzt. Nur mit einer Impfung sei ein «normales» gesellschaftliches Leben ohne Alltagseinschränkungen wieder möglich. Dabei wird auf den Einsatz von neuen Impfstoffarten gesetzt.
Nachfolgend beschreibt Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle (Bild), Institutsleiterin von Dialog Ethik, die medizinischen und ethischen Herausforderungen neuer Impfstoffarten:
Lebend- und Totimpfstoffe
Bis anhin hat man entweder mit abgetöteten oder mit lebenden Krankheitserregern geimpft. So verwendet man zum Beispiel bei Masern, Röteln und Mumps Lebendimpfstoffe, während man bei Diphterie, Keuchhusten oder Tetanus Totimpfstoffe braucht. Die durchschnittliche Dauer der Entwicklung dieser Impfstoffe beläuft sich normalerweise auf 8–10 Jahre. Teilweise dauert es bis zu 20 Jahre für die Zulassung eines Impfstoffes, wobei die letzte Prüfungsphase vor einer Zulassung bis zu 4 Jahre dauern kann (Wiedermann, Kistner & Tucek 2017). Angesichts dieser langsamen Impfstoffentwicklung versucht man schon seit längerem, diesen Entwicklungsprozess abzukürzen. Hierfür werden auch genbasierte Ansätze geprüft. Dabei möchte man den Körper anregen, selber den Impfstoff als Antigen herzustellen und so den Krankheitserreger zu bekämpfen.
Genbasierte Impfstoffe
Genbasierte Impfstoffe lassen sich in viel grösseren Mengen herstellen. Sie können auch viel rascher verändert werden, sodass sie neuen Formen eines Krankheitserregers schneller angepasst werden könnten. Sie gelten auch teilweise als risikoärmer, etwa im Vergleich zu Lebendimpfstoffen, und verursachen auch weniger Nebenwirkungen (Zylka-Menhorn & Grunert 2020). Es werden drei Möglichkeiten für eine genbasierte Impfung unterschieden: die mRNA-, DNA- und Vektorimpfstoffe.
Ein mRNA-Impfstoff kann auch Boten-RNA-Impfstoff genannt werden («m» steht für den englischen Ausdruck «messenger» für «Bote»), denn eine mRNA übersetzt die Information eines zu einem Gen gehörenden Teilabschnitts des Genoms (DNA). Der Körper wird dabei angeregt, gleichsam wie eine Kopiermaschine Antigene zu produzieren, ohne dass dies aber Auswirkungen auf das Genom des Menschen hätte (Arvay 2020; Zylka-Menhorn & Grunert 2020). Wobei einzelne Autoren gleichwohl auch das Risiko solcher Auswirkungen sehen. Der Vertrag der Schweiz mit der Firma Moderna zur Vorreservation für einen etwaigen Impfstoff würde auf dieser Methode basieren.
Bis jetzt gibt es aber noch keinen Impfstoff auf dieser Basis. Bei den Impfungen mit einer DNA-Sequenz wird ein bestimmter Genabschnitt direkt in eine Zielzelle eingeschleust. Dies erfolgt beispielsweise nadelfrei mittels einer «Hochdruck-Genkanone» (aus der Presse auch als «Impfpistole» bekannt), wodurch der an kleinste Goldpartikel gebundene Genabschnitt direkt in die Muskel- und Gewebezellen injiziert wird und von dort aus eine Immunantwort auslösen kann, indem der Genabschnitt von der Zelle abgelesen wird (Arvay 2020).
Bei den Vektorimpfstoffen wird Erbmaterial des Coronavirus mit für den Menschen harmlosen Viren in den Körper eingeschleust, wo dann die Antigenwirkung ausgelöst werden soll (Arvay 2020; Zylka-Menhorn & Grunert 2020). Dabei kann man sowohl Viren verwenden, die sich selber vervielfachen, als auch solche, bei denen die Fähigkeit zur Replikation entfernt wurde.
Risiken genbasierter Impfstoffe
Das Problem aller genbasierten Impfmethoden sind teilweise nicht abschätzbare Risiken, wie z. B. eine vermehrte Tumorbildung oder Autoimmunkrankheiten. Auch wenn die RNA-basierte Impfung als die sichere genbasierte Impfmöglichkeit gilt und weniger Nebenwirkungen zeigt, haben erste präklinische Versuche gezeigt, dass diese Methode bei der Bekämpfung von Covid-19 zu Entzündungen im Lungengewebe führen kann (Arvay 2020). Bei der DNA-Sequenz-Impfung und den Vektorimpfungen besteht zudem die Gefahr, dass DNA-Abschnitte zufällig in das Erbgut integriert werden. Dies könnte gravierende Nebenwirkungen haben, etwa ein erhöhtes Risiko für Tumorbildungen, da die (Zylka-Menhorn & Grunert 2020). Käme es dazu, stünde das im Widerspruch zum in der Schweiz geltenden Verbot von Eingriffen ins menschliche Genom. Ob solche theoretischen Risiken der neuen Impfstoffe auch eintreten, kann ohne Langzeitforschung aber nicht geklärt werden (Arvay 2020).
Robuste Daten statt hochgesteckte Erwartungen
Die hochgesteckten Erwartungen, dass eine Impfung die Menschheit von ihren Ängsten vor einer Covid-19-Erkrankung sowie deren gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen erlösen könnte, dürfen nicht dazu führen, dass durch eine zu rasche und unkontrollierte Zulassung von neuartigen Impfstoffen unter Umständen viel grössere Risiken für sehr viel mehr Menschen oder gar zukünftige Generationen in Kauf genommen werden. Wie die ersten Erfahrungen zu Beginn der Pandemie bei der Behandlung von an Covid-19 erkrankten Menschen zeigen, schaden überstürzte, nicht evidenzbasierte Behandlungsformen mehr, als sie nützen.
Dies gilt auch für die Impfmethoden. Denn auch diesbezüglich können wir auf zahlreiche negative Beispiele in der Vergangenheit zurückgreifen. Statt hochgesteckte Erwartungen braucht es robuste Daten, welche wissenschaftlich korrekt erarbeitet werden, bevor diese neuen Impfmethoden weltweit breit angewendet werden. Dies ist umso notwendiger, als wir nicht einmal wissen, ob Impfungen bei diesem neuen Erreger von Covid-19 überhaupt etwas bringen und ob sie sich gar irreversibel negativ auf das menschliche Genom auswirken. Und gerade die Testung auf Langzeitfolgen braucht Jahre der Forschung.
Verteilungs- und Zugangsgerechtigkeit
Neben der Frage nach dem Risiko stellt sich auch die nach der weltweiten Verteilungs- und Zugangsgerechtigkeit. Mit dem Erwerb eines Vorkaufsrechts verschafft sich die Schweiz international Vorteile gegenüber anderen Staaten, die finanziell die gleichen Möglichkeiten haben, aber auch armen Ländern gegenüber. Sie beteiligt sich damit zugleich an der Impfstoffentwicklung und am unternehmerischen Risiko, da zurzeit noch nicht klar ist, ob dieser Impfstoff von Moderna tatsächlich wirksam und unbedenklich sein wird. Mit diesem Vorkaufsrecht kommen die Eigeninteressen der Schweizer Bevölkerung und des Forschungsstandorts Schweiz an erster Stelle. Das Vorgehen entspricht einer marktwirtschaftlichen Logik.
Wird ein solcher Impfstoff hingegen als «öffentliches Gut» deklariert, wie dies die Organisation Ärzte ohne Grenzen in Deutschland fordert, wäre ein Vorkaufsrecht unsolidarisch. Die Schweiz engagiert sich jedoch gleichzeitig international für den Aufbau eines Verfahrens für eine weltweit faire Verteilung der Impfstoffe. Dieses doppelspurige Vorgehen zeigt die Gratwanderung zwischen Marktwirtschaft und dem Verfolgen von Eigeninteressen auf der einen und solidarischem Verhalten auf der anderen Seite, die in der Schweiz das Handeln im Gesundheitswesen ganz grundsätzlich bestimmt. Das Verhalten rund um Covid-19 deckt gleichsam wie mit einem Brennglas auch die impliziten Handlungsnormen in unserem Land auf. Sobald es den Impfstoff gibt, sollte man auf jeden Fall dafür sorgen, dass auch die finanziell schwächeren Länder Zugang dazu haben.