StartseiteMagazinKulturPunk stand am Anfang der Postmoderne

Punk stand am Anfang der Postmoderne

«Frauen Kunst Punk 1975-1980» gibt es im Museum Strauhof als Déjà-vu mit Strahlkraft für einen Tauchgang tief in die Kunst- und Musikszene des letzten Jahrhunderts. Zwei Ausstellungen der damaligen Stadtgalerie im Strauhof sind aus den Archiven und Depots ans Licht geholt worden.

Wem auch immer man von der neuen Ausstellung Ausbruch & Rausch im Literaturmuseum Strauhof erzählt, dem leuchten die Augen, sofern er oder sie zur passenden Generation gehört und in der Mitte oder am Rand dabei war, als 1975 und 1980 in der Staedtischen Kunstkammer Strauhof zunächst Frauen sehen Frauen und später Saus und Braus – Stadtkunst ausgestellt wurden. Beidemale war die Kunstwissenschaftlerin und Museumsfachfrau Bice Curiger als Kuratorin dabei.

Nun beschert sie uns den Blick zurück, aber keineswegs in eine museale Nachinszenierung, so wenig wie die Punkbands der Zeit – Kleenex oder Hearts, Taxi oder TNT – an ein Revival mit Tournee denken. Aber dank Internet ist für Nachgeborene und Nostalgiker vieles abrufbar. Im Zusammenhang mit dem Ausstellungsprojekt geht es um Erinnern und Einordnen einer Zeit, in der Zürich fast hinterrücks von der Stadt der Gnomen mit Ordnungsmacht und Polizeistunde zum internationalen, vielleicht auch irrationalen und zweckfreien Brennpunkt einer jungen Kunst-, Musik- und Kulturbewegung wurde, die den Aufbruch in die Postmoderne signalisiert.

An den Rändern arg mitgenommen ist das Deckblatt des Einmaligen Katalogs von «Frauen sehen Frauen». Offensichtlich ein beliebtes Objekt des Sozialarchivs.

Diese mutige und überaktive Szene, die weder Dilettantismus noch Kommerz bewusst wahrnehmen wollte (man machte und man lebte), hatte Verbindungen nach Düsseldorf, einem weiteren Brennpunkt der Kunstszene. Konkret gab es einen direkten Draht zu Sigmar Polke, den die Liebe öfters nach Zürich zog, noch genauer: in die Aktivistinnengruppe, welche das Frauenprojekt im Strauhof realisierte. Solche Ausstellungen waren mit der Finissage nicht fertig, im Gegenteil. Der Katalog zur Ausstellung Ausbruch & Rausch zeigt auf, wie die Stadtkunst 1980 aus dem Geist der Frauen-Expo 1975 hervorgegangen war.

Blick auf die «Staedtische Kunstkammer» Strauhof im Januar 1975. Foto Daniel Vittet

Von einer «turbulenten Vernissage» schrieb die NZZ in ihrem Bericht über die feministisch-anarchische Schau Frauen sehen Frauen; wohl nicht weniger turbulent ging es bei der fünf Jahre späteren Eröffnung der Ausstellung Saus und Braus – Stadtkunst zu. Die Idee, ob die damals aufsehenerregende Kunstausstellung zum vierzigjährigen Jubiläum nicht wieder gezeigt werden könne, trug Gesa Schneider, Vorstandsdelegierte des Literaturmuseums Strauhof, an Bice Curiger, die damalige Kuratorin, heran. Diese wusste gleich, dass es den Revoluzzergeist der 70er Jahre umfassend darzustellen galt, und das hiess für sie, die fünf Jahre davor mit einem Kollektiv von Künstlerinnen, Musikerinnen, Amateurinnen gemachte Ausstellung Frauen sehen Frauen als Ausgangsort für den Aufbruch der Zürcher Kunstszene mitzunehmen. Damals war «fertig mit Weihrauch» vor dem Altar der hehren Kunst, damals wurde begonnen, sagt sie, «Kunst zu machen, die uns betrifft».

Peter Fischli und Klaudia Schifferle haben Plakat und Katalogtitel zu «Saus und Braus» 1980 gestaltet.

Während von der 80er-Ausstellung noch Originale vorhanden sind, ist es im Fall der 75er Schau vor allem Dokumentationsmaterial. Bice Curiger: «Vor sechs Jahren begann ich zusammen mit Katrin Trümpy zu ordnen und zu sammeln. Für mich war es wichtig, bevor es zu spät ist, diese Zeit, als Kunst und Action zusammenkamen, zu dokumentieren.» Nun liegt das Konvolut im Sozialarchiv – digitalisiert und öffentlich übers Internet zugänglich.

Die Frage war, wie ausstellen? Aus der jungen Kunstwissenschaftlerin ist eine erfahrende Kuratorin geworden. Mit Distanz kann sie zurückschauen auf damals, als man jung, frech, mutig, kreativ und grenzüberschreitend sein Ding machte. Nachzuvollziehen ist es auf einer Timeline mit Bild und Text, ergänzt durch Videos. Die Wand dokumentiert vor allem auch, wieviel Spass es den Frauen, unterstützt von inspirierenden und inspirierten Männern, machte (eine Provokation für ernsthafte Feministinnen und Frauenrechtlerinnen). Dreitausend Franken hatte der städtische Kulturbeauftragte – es war Christoph Vitali – für das Projekt zur Verfügung gestellt. Das Geld reichte natürlich nirgendwohin, schon gar nicht für eine Publikation. Daher gibt es nur den einen Einmaligen Katalog – zum digitalen Blättern jetzt in der Ausstellung.

Das Panzerknackerballett: Am Ende ist der Dirigent Serge Stauffer gebodigt. Foto unbekannt (ZHDK) 1975

Im Obergeschoss des Strauhof ist auch die unsägliche Sprüchesammlung über die Frau oder die Frauen aus Männerfedern von den alten Griechen über Goethe bis 1975 zu lesen – sehr amüsant, aber noch immer nicht ad acta zu legen. Oder das Rotlichtmilieu von damals revised: Lady Shiva, die berühmteste Zürcher Hure war Teil der Szene, im gleichen schummrigen Boudoir ist der aberwitzige Pornokiosk von Sissi Zöbeli und Monica von Castelberg dokumentiert, und es liegen Peniswärmer, bunt gestrickt, für den Mann auf.

Ein mit viel technischem Fachwissen wieder hergestelltes Video vom Panzerknackerballett vermittelt eine Ahnung dieser unverkrampften Politperformance. Es war mit der Theatergruppe Frauenrakete der Nukleus zur Ausstellung Frauen zeigen Frauen. Türöffnend bei der Stadt hatten Heidi Bucher – eben zurück aus den USA mit Judy Chicagos Womanhouse im Kopf – und Rosina Kuhn gewirkt.

Fünf Jahre später, 1980 hatte Curiger im Kunstbulletin den Essay Zwischen E-Kultur und Punk publiziert, die Unterscheidung E- und U-Musik ausgeweitet auf Kunst im weiteren Sinn. Das bescherte ihr den städtischen Auftrag für die Ausstellung Saus und Braus – Stadtkunst, die mitten in den Jugendunruhen eröffnet wurde. Die junge Kunstszene war damals ebenso heftig mit Musik unterwegs, speziell Punk, dazu mit Performance, Literatur, Videoexperimenten – vielfältig und verspielt. Ein absoluter Höhepunkt der Zürcher Punkszene war das Monsterkonzert im August vor vierzig Jahren, bei dem alle, die damals Rang und Namen hatten, aufgetreten sind – Instrumentenkenntnis hin oder her.

Kleenex sind Regula Sing (Ramona Carlier, vocals), Marlene Marder (Marlene Marti, guitar, vocals), Klaudia Schiff (Klaudia Schifferle, bass, vocals), Lislot Ha (Lieselotte Hafner, drums, vocals)

Saus und Braus ist mit Werken von Sergio Galli und Doris Stauffer, oder auch Anton Bruhin und Urs Lüthi, um nur einige bekannte Namen zu nennen, präsent. An einer Wand eine Malerei von Martin Disler, die nebenan im Foyer auf einer Fotografie von damals mit einem Werk des hinterhältig-witzigen Kopisten Sergio Galli zu sehen ist, wobei Gallis Bild A Bigger Splash nach David Hockney gleich neben der Foto als Original hängt. Ausserdem geben einige schlecht gealterte Abzüge Einblick in die erste gemeinsame Arbeit von Fischli/Weiss,  die Wurstserie. Mit Cervelats und Gürkchen und weiteren Objekten stellten sie Alltagsszenen nach, hintersinnig und humorvoll als ätzend böse Gesellschafts- und Konsumkritik.

Peter Fischli/David Weiss: Eitles Pack (später: Modeschau) Fotografie aus: Wurstserie, 1979.

Saus und Braus – Stadtkunst gibt es erst noch zum nachhause tragen: den Reprint der Begleitpublikation von 1980 mit Geleitwort des Stadtpräsidenten Sigi Widmer, einem Romanauszug von Dieter Meier, oder auch einer Doppelseite mit Fotos von Andreas Züst, der die Werke des noch geheimnisvollen Sprayers von Zürich dokumentierte. Der Buchdeckel ist eine leichtfüssig-sensible Gemeinschaftsarbeit von Peter Fischli und Klaudia Schifferle, also programmatisch für die vierzehntägige Entstehungsgeschichte des Katalogs.

Katalog, hg. von Bice Curiger und Stefan Zweifel. Edition Patrick Frey, Zürich 2020. ISBN: 978-3-907236-05-5

Nicht weniger spannend, aber ungleich gewichtiger (1246 gegenüber 231 Gramm) ist die reich bebilderte Begleitpublikation zur aktuellen Ausstellung. Sie erzählt ausführlich, wie damals eine neue Kunst entstand, umfasst einen dicken Teil mit Essays, in denen Beteiligte, Beobachter und Nachgeborene aus unterschiedlicher Perspektive diese Zeit des Aufbruchs reflektieren, enthält Statements der Aktivistinnen und Aktivisten von damals und Beiträge der beiden Ausstellungsmacher Bice Curiger, die als Kuratorin und Kunsthistorikerin erinnert, einordnet und gewichtet, und Stefan Zweifel, der als Spätgeborener mit Nietzsche als Nach-Denker über die Wirkung von Geschichtsschreibung für die Heutigen philosophiert.

bis 4. Oktober
Titelbild: Doris Stauffer: Papst. Guckkasten aus: Patriarchales Panoptikum, 1974. Kunstsammlung der Stadt Zürich
Hier finden Sie Informationen und Hinweise auf Führungen und Veranstaltungen.

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