Das Künstlerduo Lutz & Guggisberg zeigt mit «Ofen, Geist und Meister» seinen humorvollen und skurrilen Umgang mit Kunst. Im Kunst Museum Winterthur eröffnen ihre Werke eine neue Sicht auf die Sammlung der klassischen Moderne.
Das Künstlerduo arbeitet seit vierundzwanzig Jahren in Zürich zusammen. Andres Lutz ist 1968 in Wettingen und Anders Guggisberg 1966 in Biel geboren. Sie gehen mit den Materialien freizügig um; die Lust am Fabulieren, der Spass an der Poesie und der Sprache sowie ein Hang zur Ironie verbindet sie. Den Ausstellungstitel «Ofen, Geist und Meister» bezeichnen sie als Kürzestgedicht in drei Worten und erklären im Interview mit dem Züritipp: «Zwischen den Meistern sind wir auf Besuch, der Ofen steht für die Energie, die in einem Kunstwerk gespeichert ist, und Geist sollte jedem guten Werk innewohnen».
«Phänomena 2000», 2000, (v.l.) Andres Lutz, Anders Guggisberg, Konrad Bitterli, Kurator der Ausstellung und Direktor des Kunstmuseums Winterthur.
Auf Einladung des Museums in Winterthur präsentieren Lutz & Guggisberg Arbeiten, die auf Werke der klassischen Moderne in den Museumräumen antworten. An die zwanzig Kleinplastiken stellen sie den Gemälden an der Wand oder den Skulpturen im Raum gegenüber. Ihre kunstvoll zusammengebauten Objekte bestehen aus Recycling- und alltäglichem Material vom Baumarkt, aus Gips- und Tonfiguren, Holzgegenständen oder Fundstücken aus Brockenstuben, und zu jedem Werk gehört ein Titel als zusätzliche Bedeutungsebene.
«Oh my God I’m full of plans», 2016, im Hintergrund Gemälde von Louis Moilliet «Le carousel», 1916/17.
Beim Gang durch die Ausstellung macht es Spass, die Arbeiten von Lutz & Guggisberg mit den unmittelbar in der Nähe befindlichen museumseigenen Werken in Verbindung zu bringen. Allerdings betonen die Künstler, dass keines ihrer Werke im Hinblick auf die Ausstellung neu realisiert wurde. Vielmehr ist es eine Retrospektive ihrer Arbeit, die sie – mit dem Blick erfahrener Künstler – in den Museumsräumen platziert haben. Ihre Skulptur «Oh my God I’m full of plans», zusammengesetzt aus einem Sammelsurium verschiedenster Materialien, steht vor dem Gemälde «Le carousel» vom Berner Maler Louis Moilliet, der 1914 mit Paul Klee und August Macke nach Tunis reiste. Nicht nur die Farben, auch die dicht gedrängten runden Formen beziehen sich aufeinander, obwohl die zwei unterschiedlichen Werke genau hundert Jahre auseinanderliegen.
«Klimaei», 2006. Kunstmuseum St. Gallen.
Verschiedene Objekte stehen wie eine Reliquie unter einer Glasvitrine. Einerseits dient die Vitrine als Schutz, andererseits erweitert sie die künstlerischen Möglichkeiten, die neu gewonnen Flächen zu bemalen, wie im «Klimaei». Mit Asphaltlack sind apokalyptische Landschaften und Szenen aus dem Wilden Westen, die zum Fabulieren anregen, in sepiabraunem Ton auf die Schutzscheiben gemalt. Die zentrale Ei-Form im Inneren wird durch den Titel bedeutsam aufgeladen. Die Urform des Eis erinnert an die organischen Formen von Jean Arp, der mit einer umfassenden Werkgruppe in der Winterthurer Sammlung vertreten ist. Arps Reduktion der Form auf das Essentielle war ein wesentlicher Beitrag zur Moderne, insbesondere zur organischen Abstraktion.
«Pille, Maske und Fee», 2016, im Hintergrund Gemälde von Oskar Schlemmer «Innenraum mit fünf Figuren», 1928.
Einen pseudo-ethnografischen Fetischcharakter habe ihre Holzskulptur «Pille, Maske und Fee», meinten die Künstler bei der Medienführung. Sie ist aus verschiedenen Holzmasken zusammengesetzt, Masken aus dem Wallis, aus dem afrikanischen Benin, auch eine Blockflöte und andere Holzobjekte aus dem Brockenhaus sind in die Skulptur eingearbeitet. Der kryptische Titel lädt zum Entdecken ein: Die Pille, etwa das ovale Holzstück unter der liegenden Walliser Maske, die hell schwingende Form einer Fee, die sich innerhalb der schwarzen Maske ausbreitet. Die Skulptur steht passend vor dem Gemälde von Oskar Schlemmer «Innenraum mit fünf Figuren», von 1928 aus dem Bauhaus, denn die stilisierten Figuren in der Malerei sehen aus, als ob sie aus Holz geschnitten wären.
«Herberge», ein Objekt aus Gips, steht materiell in Beziehung zu Meret Oppenheims Figur «Idol». Beide Skulpturen lassen sich mit der Natur in Verbindung bringen und überlassen es dem Betrachter, sich seine Geschichten dazu zu erzählen. So erinnert der Gipsblock mit kleinen Löchern von Lutz & Guggisberg an die Bienenhotels, die zur Unterstützung der Wildbienen in der Natur aufgestellt werden. Die Wildbienen erhalten so für ihr Überleben ein Zuhause. Die Assoziation lässt sich auch auf die menschliche Gesellschaft übertragen, auf zugewanderte bedrohte Menschen, denen wir eine Herberge zur Verfügung stellen. Oppenheims Skulptur ist ebenso aus Gips hergestellt, ergänzt mit Holz und einem Baumschwamm in Form einer Krone. Wie die Schachfigur des Königs thront sie im Hintergrund, aber vielleicht auch wie eine grosse sorgende Mutter mit üppigem Haarschmuck.
«Herberge», 2008, im Hintergrund Figur von Meret Oppenheim, «Idol», 1961.
Die fünf Bücher in beschrifteten Kartonschubern sind ein Trompe-l’oeil, es handelt sich um die Holzskulptur «Family of Sculptures», 2019. Sie verweist auf die umfassende Publikation des Künstlerduos Lutz & Guggisberg «Vergleichende Komparatistik», die im Herbst bei Edizioni Periferia erscheint. Die Buchpräsentation wird im Dezember in Anwesenheit der Künstler innerhalb der Ausstellung stattfinden.
Fotos: rv
Alle Werke von Lutz & Guggisberg ©2020, ProLitteris, Zurich
Bis 10.1.2021
Ausstellung Lutz & Guggisberg, «Ofen, Geist und Meister» im Kunst Museum Winterthur beim Stadthaus, mehr hier