FrontKolumnenSeien wir froh: Die Sorge gilt uns

Seien wir froh: Die Sorge gilt uns

Die Pro Senectute findet es «sehr unglücklich und nicht nachvollziehbar, dass das Bundesamt für Gesundheit BAG „sämtliche Menschen über 65 Jahren zur sogenannten Risikogruppe zählt». Viele über 65jährige seien gesund und fit. Pro Senectute rät nur den wirklich Hochaltrigen sowie Leuten mit Vorerkrankungen auf Hütedienste bei ihren Enkelkindern zu verzichten. Zu den Hochaltrigen könne man tendenziell Menschen über 80 rechnen.

Und ich frage mich: Von wo und weshalb weiss die Pro Senectute das so genau und kritisiert seit dem Ausbruch der Pandemie das Bundesamt für Gesundheitswesen, das wohl nicht wider besseres Wissen uns, die über 65jährigen, bewusst zur Risikogruppe zählt? Ist es nicht gerade die Altersorganisation Pro Senectute, die sehr umsichtig, gar vorsichtig mit der Pandemie umzugehen hätte, die sich eh den besonders Gefährdeten anzunehmen hat?

Die Altersgruppe 65+ ist tatsächlich weit gefährdeter als die jüngeren Generationen. Die Zahlen und die gemachten Erfahrungen sprechen für sich. Zudem: Keine Wandergruppe, keine Zusammenkunft älterer Menschen, an der nicht ein Thema immer ganz oben, ganz zentral ist: die Gesundheit, die letzte Operation, ein neues Hüftgelenk, eine Knieprothese. Es fehlt meistens keine Erzählung von einem Freund, einer Bekannten, der oder die gerade erst knapp 67 oder auch 75 eine ganz schlimme Diagnose erhielt: Krebs. Er war so aktiv, war immer der Erste in der Wandergruppe. Sie war so präsent, immer an einem Besuch eines Cafés interessiert, aber auch zum gemeinsamen Besuch einer Oper, eines Konzerts, eines Ausflugs bereit, den sie auch meist selber organisierte. Und dann das: Wer hätte das gedacht.

Kürzlich traf ich einen geachteten Pfarrer (62), mir bislang als fiter, dynamischer Mann bekannt, der selbst von einer üblen Diagnose überrascht worden war und nach einem langen Spitalaufenthalt und einer Erholung in einer Rehabilitationsklinik zu neuer Lebensfreude fand. Er erzählte mir vom vielen Leid, das er alltäglich als Seelsorger erlebe. Wie er Einblick habe und immer auch betroffen sei, wenn er am Bett stehe und erlebe, wie es den Menschen gehe, zu deren Besuch er gebeten worden war. Wie er die Menschen auf das Ende vorzubereiten versuche, wie er auch immer wieder Zuversicht zu vermitteln trachte, wie Menschen auch aufblühten, mit ihm zusammen neuen Lebensmut fassten. „An vielen Abende bin ich geschafft, hänge den Erlebnissen nach, bringe sie mit meinem Leben in Beziehung und folgere: Das Leben ist tatsächlich endlich.“ Ist es denn eine neue Erfahrung, ist es die Corona-Krise, will ich wissen. „Nein, ich erlebe es, seit ich besonders ältere Menschen als Seelsorger betreue. Die Infizierten, mit denen ich Kontakt habe, die ich betreue, sind eher besser auf ihre Krankheit vorbereitet.“ Das möge an der breiten Information liegen, die die Krise ausgelöst habe.

Wir verabschiedeten uns, meinten, wir sollten uns öfter austauschen. Bis jetzt ist es aber nicht dazu gekommen. Warum wohl?  Ist er mir zu nahe gekommen? Oder ist es eher das Thema Sterben, das wir – auch ich – nur allzu gerne von uns schieben?

Ja, wir können uns tatsächlich glücklich schätzen, dass die politischen Behörden darauf achten, immer wieder darauf hinweisen, dass uns älteren Menschen ihre besondere Achtsamkeit, ihre Sorge gilt. Und wir können froh sein, dass Simonetta Sommaruga das „Gstürm“ um Corona, um die Hygienemassnahmen, das Abstandhalten, das Maskentragen beenden will. Klare Ansagen sind jetzt gefordert, denn weder die Kantone noch wir selber als Eigenverantwortliche sind in der Lage, dem Virus Herr zu werden. Wir brauchen für alle  verbindliche Regelungen, die der Bundesrat nächste Woche wohl verabschieden wird, in dem er das Zepter wieder in die Hand nimmt und das Wirrwarr beendet, das jetzt bei dem Ausbruch der zweiten Welle die Schweiz zum Risikoland werden liess. Zwingend, und das ist gut so.

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Schaller, wieso Sie ProSenectute kritisieren weiss ich nicht.
    Für mich: positiv dass ProSenectute diese Generalisierung der ü65 endlich aufbrechen will. Dieses Altersbild gehört ins letzte Jahrhundert. Zwischenzeitlich spricht die Forschung bereits von 5 Lebensanschnitten. Dass die Politik auch hier nicht Schritt hält, spricht für sich. Dass die Politik heute Mittwoch 28-OCT-20 NICHT BEREIT ist, dass Mitglieder der SP, welche konstant beschäftigt sind, neue Vorschriften zu erfinden, plötzlich von Eigenverantwortung sprechen => da klingelts doch! => Hausaufgaben nicht gemacht! Eigenverantwortung gehört doch auf die rechte Seite der politischen Landschaft.
    Und: aBR M. Leuenberger im heutigen Tagi: «… mit 74 nicht zur Risikogruppe …»

  2. Guten Morgen Herr Schaller
    Ich kann mich den Ausführungen von Herrn Kohler nur anschliessen. M.E. ist die Alterslimite ü65 aus rein wirtschaftlichen Gründen beschlossen worden.

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