StartseiteMagazinKulturDas Büro im Fokus einer Künstlerin

Das Büro im Fokus einer Künstlerin

Der Zurich Art Price 2020 geht an Amalia Pica, die im Museum Haus Konstruktiv mit einer Einzelausstellung geehrt wird.

Der Büro-Alltag ist neuerdings seltener und wird von manchen, die zum Home Office verurteilt wurden, schmerzlich vermisst. Nicht erst seit Corona macht sich die Künstlerin Amalia Pica (*1978) Gedanken zum Büro im besonderen und zur Alltagskommunikation der Gesellschaft im allgemeinen. Mit ihren Installationen und Perfomances hat die heute in London lebende Künstlerin mit argentinischen Wurzeln nun den Zurich Art Price 2020 gewonnen, den das Haus Konstruktiv zusammen mit der Zurich Insurance Group, uns geläufiger als Zürich Versicherung zum dreizehnten Mal gewonnen. Der grösste Teil der Preissumme von 100’000 Franken wird genutzt, um der Künstlerin eine Einzelausstellung zu ermöglichen, 20’000 Franken bleiben zu ihrer Verfügung.

Amalia Pica im Haus Konstruktiv bei einer Führung zu Corona-Zeiten

Als sie während der Zeit ihres Einbürgerungsverfahrens fast ein Jahr nicht reisen konnte, nutzte Amalia Pica die Zeit für eine Fleissarbeit über die sie interessierende gesellschaftspolitische Thematik der Kommunikation im Büro. Pica begann mit den üblichen Stempeln auf weisses Normalpapier zu zeichnen. Ihre eigene Stempelsammlung erweiterte sie dank eines Aufrufs im Internet und bekam Stempel aus der halben Welt zugesandt, aus Mexiko und Deutschland, aus China und Frankreich. Mit schwarzer, roter und blauer Stempeltinte arbeitete sie jeweils tagelang in Schüben – fast wie die Bürohilfen, die Ablage machen, Rechnungen schreiben oder den Datumstempel auf eingegangene Post setzen – oder wohl eher setzten, denn dieses Arbeitsfeld ist digitalisiert, die meisten Stempel längst ausgemustert.

Amalia Pica: «Joy in Paperwork. The Archive, 2016». Installationsansicht.

Aus Paid – gezahlt, Acuse – ein banaler mexikanischer Aktenvermerk der andere Interpretationen zulässt, aus Päckchen oder ERLEDIGT ergänzt mit verschiedenen Zahlen- und Datumsstempeln, Einzellettern und dem Rollstempel baut Pica ihre Zeichnungen: So entstehen Schlangen, Vulkane, Kreuze, Räder und fast transparente Scheiben, Ornamente und geometrische Muster – eine grafische Arbeit, die anhand von Büromaterial (Stempel, Sichtmäppli, A4-Papier) die Semantik des Büros untersucht.

Amalia Pica: «Joy in Paperwork. The Archive 2016»: Zeichnen mit Stempeln. Installationsansicht. 

Rund tausend Zeichnungen, an Schreibunterlagen und Telefongekritzel erinnernd, sind entstanden. Dieses Konvolut hat die Künstlerin digitalisiert und einzeln in Zeigetaschen gesteckt. Hunderte davon sind ins Haus Konstruktiv geflattert und haben sich in exakten Reihen an zwei gegenüberliegende Wände eines White Cube geheftet. Zu Lockdown-Zeiten setzt diese Installation dem Papierkram der Büroarbeit den fröhlichen Kontrapunkt: Joy in Paperwork.

Auch mit der zweiten Installation, eigentlich einer Performance, reflektiert Amalia Pica die Bürowelt: Im grossen Ausstellungsraum stehen Tische aus geometrischen Farbsegmenten, Dreiecken, Vierecken, Kreisabschnitten, auf Fahrgestellen, die immer neu arrangiert werden können. Als Blaupause an der einen Wand ein Video, welches als Studie für das Experiment mit den Konferenztischen entstanden war. An der Decke dokumentiert eine Kamera die täglich wechselnde Formation im Raum. Einen Überblick gewähren zwei fahrbare Eisentreppen mit Plattform in blau, die aus einer Lagerhalle ausgeliehen sein könnten. Und ebensowichtig wie das Sichtbare ist das Hörbare: Das Büro als Tonkulisse, gefunden im Internet, komplettiert die Arbeit.

Blick in die Halle mit der Arbeit: «Rearranging the Conference Table» 2020, von Amalia Pica

Amalia Pica erklärt wie Rearranging the Conference Tables unter Berücksichtigung der strengen Corona-Regeln im Museum funktioniert. Tischrücken gibt es an fünf Tagen von Dienstag bis Sonntag zwischen zwölf und halb eins durch Museumspersonal (am Montag ist das Museum geschlossen). Speziell ist auch, dass der Büro-Soundteppich mit Druckern, Tastaturen, Gemurmel, Kaffeemaschine, Türenschliessen undsoweiter nur während der fünf «Arbeitstage» zu hören ist, am Sonntag klingt das leere Büro. Solche Sounds laden anscheinend viele Arbeitende aus dem Internet herunter, wenn sie Home Office leisten und aus dem Büro verbannt sind. Sie könnten sonst gar nicht konzentriert arbeiten, habe sie gehört, sagt die Künstlerin.

Pica will mit ihrer Performance nicht ein monotones Arbeitsumfeld kritisch ins Visier nehmen, die fröhlich farbigen Tische sollen vermitteln, wie Freude in öde Bürolandschaften gebracht werden könnte. Das Material ist nämlich aus leicht erhältlicher Massenproduktion. Mit dem Ausstellungstitel Round Tables and Other Forms wird deutlich, Pica geht es um Kommunikation: Gespräche am runden Tisch oder eben andere Formen der Kommunikation.

Während Amalia Pica den Preis persönlich abholen konnte und natürlich bei der Einrichtung ihrer Ausstellung dabei war, konnte der Belgier Luis Wuidar aus bekannten Gründen nicht anreisen. Das Haus Konstruktiv zeigt seine erste grosse Museumsausstellung ausserhalb seiner Heimat, es ist eine Retrospektive.

Léon Wuidor. Courtesy the artist and White Cube

Der Zeichenlehrer mit Jahrgang 1938, der im Krieg aufwuchs, brachte sich die Malerei um 1955 selbst bei, fasziniert von der ägyptischen Kunst und angezogen von den Arbeiten der belgischen Surrealisten Paul Delvaux oder René Magritte. In den 60er Jahren näherte er sich der Abstraktion, verliess aber die figurative Darstellung nicht endgültig. Er befreundete sich mit dem Architekten Charles Vandenhove, einem Vertreter des Brutalismus. Vandenhove baute Wuidars Haus, von dem es in einer Vitrine ein Modell zu sehen gibt, der Maler konnte für den Architekten Kunst am Bau entwerfen.

Léon Wuidor: «La naissance de Vénus». 1966

Wuidars Bilder aus jener Zeit sind vorwiegend in den Grautönen von Beton und Sand gemalt, aber alles andere als trist. Auch wenn eine Komposition abstrakt scheint, bekommt sie durch den Bildtitel eine Geschichte eingeschrieben. Schon im nächsten Jahrzehnt verschwinden die narrativen Titel zugunsten von sachlichen, später nennt der Künstler nur noch das Datum – so sei die Einordnung im Catalogue raisonné einfacher, witzelt er.

Die Formensprache besteht aus architektonischen Elementen, aber auch aus geometrischen Figuren wie Linien, Balken, Kurven, Kreissegmente, die er immer wieder neu zu einer Gesamtkomposition ordnet. Die Assoziation zu Picas Farbflächen auf den Tischen ist ebenso naheliegend, wie oberflächlich. Gemeinsam scheint ihnen jedoch ihr Sinn für Humor zu sein.

Léon Wuidor: 18 novembre 82

Eine Spezialität Wuidars ist es, seine Bilder mit dem Pinsel zu rahmen und zwar mit bis zu drei gemalten Rändern, die auf die innere Bildfläche abgestimmt sind. Formelemente sind auch Zahlen und Buchstaben, in seinen Buchcoverentwürfen oder Texten zeigt sich seine Lust am Wortspiel und an grafischen Spielereien besonders gut. Beispiele liegen in einer Vitrine zusammen mit Skizzenbüchern, die von seiner unermüdlichen Suche nach Form und Farbe zeugen. Wuidars Malerei mag an die hermetische und systematische Kunst der Zürcher Konkreten erinnern, aber er interpretiert diese Malerei freier und weniger theorielastig.

Beitragsbild: Amalia Pica: Rearranging the Conference Table (Videostill), 2020. Courtesy the artist. König Galerie Berlin und Herald St. London. Photo: Rafael Ortega Ayala
Fotos: Eva Caflisch

An den Eröffnungstagen am 29. und 30. Oktober ist der Eintritt frei.
Bis 17. Januar 2021
Informationen zum Besuch des Museums Haus Konstruktiv in Zürich gibt es hier.

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