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Das verlorene Lächeln

Justine und Jukundus Glor lieben sich und lachen gern und laut. Jukundus ist von einfacher Herkunft und Justine die Erbin einer vermögenden Familie. Sie leben in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Jukundus versagt im Betrieb seiner Schwiegereltern. Er verliert ihre Anerkennung und Justine wendet sich von ihm ab, der Religion zu. Das Lachen verschwindet aus ihren Gesichtern. Sie trennen sich. Schliesslich verliert die Familie in der Krise ihr Vermögen. Nach längerer Zeit treffen sich die getrennten Eheleute wieder. Geläutert durch die Umstände kehrt allmählich das Lachen zurück. Es handelt sich bei dieser Erzählung um die letzte Novelle in Kellers «Die Leute von Seldwyla». Auch wenn sie aktuell sein mag, geht es in meinem Text nicht um das verlorene Lachen, vielmehr um das in der Schutzmaske versteckte Lächeln.

Die Pandemie hat das Leben verändert. Beim gegenseitigen Gruss erkennt man kaum mehr, ob er von einem Lächeln begleitet ist. Derjenige Teil des Gesichts, in dem sich ein Lächeln ausdrückt, bleibt verborgen. Die Maske dämpft auch die Stimme. Oft ist der Gruss nur gerade ein stummes Nicken. Vielleicht zeigt sich ein freundlicher Schimmer in den Augen. Man erkennt sich gegenseitig, aber es kommt selten zu einem Gespräch. Das Lächeln ist ein wunderbarer Öffner für Kontakte. Es hat etwas Unwiderstehliches an sich. Trifft den Menschen ein Lächeln, lockert es unwillkürlich sein Gesicht. Die Mimik verändert sich. Der Mund verzieht sich leicht und die Wangen dehnen sich und signalisieren Freundlichkeit. Selbst ein verhärtetes Gesicht löst sich einen Augenblick aus seiner Verkrampfung. Ein feines Lächeln beglückt. Und tritt erst der Schalk ins Gesicht, hüpft er in die Grübchen bei den Mundwinkeln, verbreitet sich auf dem ganzen Gesicht, und lässt sogar die Krähenfüsse bei den Augen erscheinen. Das Gesicht wirkt offen, der Gruss wird lebhaft und signalisiert Sympathie.

Man braucht sich nicht zu wundern, dass auf fast allen Werbeplakaten lächelnde Sympathieträger auftreten. Kein Wahlplakat ohne lächelnde Kandidatinnen und Kandidaten. Kein Werbeprospekt, auf dem ein Schal oder modische Kleider angeboten werden ohne eine lächelnde Frau. Der Werbefachmann weiss, Lächeln strahlt eine gewisse Souveränität aus. Lächelnde Menschen wirken nicht nur sympathisch, sondern auch intelligent, als ob sie sagen würden, ihr könnt mir vertrauern, ich weiss, wie es um die Sache steht, die ich euch anpreise. Roger Federer ist ein idealer Werbeträger, weil sein Lächeln unwiderstehlich und unverkrampft wirkt, genau wie sein Tennisspiel.

Haben Sie Donald Trump schon lächeln sehen? Haben sie in ihm die feinen Züge eines lächelnden Menschen wahrgenommen? Er ist einer, der lacht, wenn er Menschen verhöhnt. Sein Gesicht wirkt zynisch, wenn er über andere Menschen herzieht. Als er Joe Biden verunglimpfte, zeigte er nie das souveräne Lächeln, vielmehr sein angestrengtes Maskengesicht. Im Vergleich zu ihm wirkte Joe Biden völlig anders. Mit der Maske blieb das Lächeln in seinem fein geschnittenen Gesicht verborgen. Auch nach dem Sieg triumphierte er nicht mit dem grossem Lachen, sondern mit dem feinen Lächeln eines Staatsmanns. Als die Wahlprognosen den Sieg vorhersagten, nahm er das Resultat fast demütig hin. Das leichte Lächeln zur Vicepräsidentin Kamala Harris verriet seinen  Siegesstolz. Wer die Gesichter von Machtmenschen betrachtet, wird meine These bestätigt finden. Das Gesicht von Erdogan wirkt hart und verbissen und bei Angriffen auf Menschen wie eine Fratze. Putin ist wie eine Sphinx, ein undurchsichtiger Löwenmensch. Er lacht nicht, seine ihm eigene Art des Lächelns verrät seine Schlauheit.

Leider ist das Lächeln weitgehend aus dem Alltag verschwunden. Es ist irgendwie anonym geworden. Es versteckt sich hinter der Maske. Es fehlt bei flüchtigen Begegnungen. Der Gruss wird knapper und man merkt, dass viele Menschen sich fürchten, anderen nahe zu kommen. Die Maske schafft nicht nur physische, sondern auch psychische Distanz. Auch lautes Lachen hört man seltener. Man erträgt es auch kaum mehr, weil es zum Gleichnis geworden ist, dass es in dieser Zeit kaum mehr etwas zu lachen gibt.

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6 Kommentare

  1. Die Maskenträger leiden nicht unter dem Sauerstoffmangel. Es sind die Spiegelneuronen, welche um ihre Funktion beraubt werden. Zu fühlen, was das Gegenüber fühlt, ist essenziell. Für kleinere Kinder, Menschen mit Beeinträchtigung, Taubstumme, Hochbetagte, ist das Leben mit Maske eine weitaus grössere Beraubung der emotionalen, nonverbalen Interaktion, als für alle anderen. Leider treffen einen nun öfters eiskalte Blicke von den sowieso nicht gerade für‘s freundliche Lächeln bekannten Schweizern. Ein Land des Lächelns war die Schweiz noch nie, besonders nicht in den Wintermonaten. Vor allem kleinere Kinder kriegen dies zu spüren. Es wäre wünschenswert, wenn der Wert eines Lächelns wieder entdeckt würde, sobald die Masken wieder fallen und bis dann können wir uns ja gegenseitig freundlich zuzwinkern. Denn ein Lächeln kostet nichts und beschenkt den Empfänger.

  2. Le rire perdu ?
    Le port du masque généralisé est en effet l’ennemi No 1 du rire… Car c’est difficile de rire seulement avec les yeux ! Cet handicap vient s’ajouter aux autres: ne pas se serrer la main, se parler à distance, etc. Pour les malentendants et malvoyants, c’est une lourde épreuve journalière qu’ils subissent avec courage et résignation.
    Mes profondes pensées les accompagnent en ces temps difficiles:
    André Durussel, auteur A*dS ( http://www.a-d-s.ch)

  3. Ein «echtes Lächeln» sieht man in den Augen, bzw. um die Augen rum. Das kann auch die Maske nicht verbergen. Das «soziale Lächeln» (tu mir nichts, ich tu Dir auch nichts), welches nur am Mund zu erkennen ist, verschwindet hingegen hinter der Maske. Michbstört das gar nicht. So sieht man wieder mal deutlich, wo echtes Lächeln ist!

  4. Ja, tatsächlich, das feine Lächeln lässt das Gegenüber in die Seele blicken. Ohne Maske noch tiefer als mit Maske. Ich wundere mich immer wieder, wenn ich Autokraten am Anfang und am Ende einer langen «Karriere» physiognomisch vergleiche. Meistens liegen Welten dazwischen. Das ist meistens das Resultat eines oberflächlichen Anpassens auf alle Seiten. — Da lobe ich mir das Lächeln eines Kleinkindes, wo die Welt «meistens» noch in Ordnung ist.

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