Kennen Sie Georgien? Nein? Ich auch nicht. Aber ich kenne einen Schweizer, der dorthin ausgewandert ist. Fabio Bolognese (Bild) baut sich mit einem eigenen Reisebüro in Georgien eine Existenz auf. Und schwärmt von Land und Leuten. Fast hätte man Lust, dorthin zu reisen. Aber lesen Sie selber.
Fabio Bolognese ist Schweizer, aus Wettingen, hat seine Ausbildung hier absolviert und in der Schweiz gearbeitet. Plötzlich verschwand er und tauchte als Unternehmer in Georgien wieder auf. Was hat Dich bewogen, von hier wegzuziehen?
Fabio Bolognese: Ich wollte beruflich etwas machen, hinter dem ich zu 100 Prozent stehen kann und was mich vollkommen erfüllt. Meine Leidenschaft für das Reisen und meine Faszination für die Kaukasusregion haben mich dann schliesslich nach Georgien gebracht.
Wie bist Du gerade auf Georgien gestossen?
Ich habe in den letzten Jahren fast alle Länder Osteuropas und Zentralasiens bereist. Im Südkaukasus hat es mir besonders gefallen, weshalb ich immer wieder dorthin reiste, vor allem nach Georgien. Bei meinen Reisen haben mich immer wieder Freunde aus der Schweiz begleitet, denen ich die Region gezeigt habe. Da mir dies Spass machte, habe ich mich 2017 entschlossen, ein Reisebüro zu gründen. 2019 bin ich nach Georgien ausgewandert.
Georgien ist bei uns wegen des Schwarzen Meers bekannt und weil es immer wieder politische Schlagzeilen macht. Wie lebt es sich dort?
Das Leben in Georgien ist sehr lebenswert. Die Natur ist grossartig und vielseitig: Es gibt 5’000 Meter hohe Berge und Skigebiete, subtropisches Klima am Schwarzen Meer, fruchtbare Landwirtschafts- und Weinregionen und sogar eine Wüste. In den grossen Städten gibt es alles, was man zum Leben braucht. Die georgische Küche ist vielseitig und schmackhaft und es gibt ein herausragendes Angebot an Weinen. Die Menschen sind offen, herzlich und enorm gastfreundlich. Die Lebenshaltungskosten sind tief. Das Leben ist entspannt und angenehm.
Sind wir in der Schweiz richtig oder verzerrt informiert über Georgien?
Georgien ist noch verhältnismässig unbekannt. Die häufigsten Irrtümer sind, dass es in Georgien gefährlich ist, dass es irgendwie zu Russland gehört resp. dass dort Russisch gesprochen wird oder dass es ein hohes Mass an Korruption gibt. Das stimmt alles nicht. Georgien gehört zu den sichersten Ländern der Welt. Man spricht Georgisch, eine Sprache, die nicht einmal ansatzweise mit Russisch verwandt ist. Und die Korruption ist seit der Präsidentschaft von Mikheil Saakashvili (2004-2013) kein Thema mehr im Alltag.
Du bist oft auf Facebook aktiv und postest auch schöne Landschaftsbilder. Was fasziniert Dich an der Landschaft im Kaukasus?
Die Bevölkerungsdichte ist in Georgien deutlich geringer als in der Schweiz. Die Natur hat mehr Platz. Und sie ist sehr vielseitig.
Mit was haben Dich die Menschen dort am meisten überrascht?
Anders als in der Schweiz leben die Menschen in Georgien viel mehr im Hier und Jetzt. Es wird viel weniger geplant, man ist spontaner. Wenn ich am Morgen aufstehe, habe ich oftmals keinen Plan, was der Tag bringen wird. Am Ende ist es dann aber immer ein erfüllter Tag gewesen mit vielen Begegnungen und Erlebnissen. Man plant diese bloss nicht zu weit im Voraus. Sätze wie “Ich muss jetzt gehen, weil ich morgen früh aufstehen muss” hört man hier sehr selten. Die Menschen geniessen den Moment. Die Georgierinnen und Georgier sind Patrioten, und zwar in einem positiven Sinn. Sie sind dankbar und stolz, wenn Ausländer in ihr Land kommen, empfangen sie mit offenen Armen, laden sie ein und zeigen ihnen all die schönen Dinge in ihrem Land. Die Gastfreundschaft ist phänomenal.
Wanderung von Juta über den 3’338 Meter hohen Chaukhi-Pass nach Roschka
Mit Deinem Unternehmen MyCaucasusTravel bietest Du Reisen nach Armenien, Aserbaidschan und Georgien an. Was ist das für eine Art von Ferien, die Du bietest?
Wir bieten sowohl geführte Reisen (mit Fahrer und Guide) als auch Mietwagenrundreisen an, bei denen unsere Gäste selber fahren. Unsere Philosophie ist es, den Gästen die Region so zu zeigen wie sie wirklich ist: Unser Fokus liegt nicht auf den Hotspots des Massentourismus, sondern auf authentischen Erlebnissen. Dazu gehören Übernachtungen in familiengeführten Unterkünften, und frisches Essen aus lokaler Produktion. Wir besuchen innovative Bauern und Winzer statt grosser Weinfabriken. Wir bringen unsere Gäste mit spannenden Menschen aus der Region zusammen. Unsere Gäste sollen ein Teil der Reise sein, eintauchen und sich austauschen können.
Was müssen Reisende nach Georgien mögen?
Ein gewisses Mass an Spontaneität ist sicher nicht schlecht. Zum Beispiel kann es gut sein, dass man plötzlich von fremden Menschen eingeladen wird und drei Stunden später immer noch an einer üppig gedeckten Tafel sitzt.
In welcher Sprache kann man sich mit Einheimischen verständigen?
Mit der jüngeren Generation kann man sich in der Regel gut auf Englisch unterhalten, in den Städten sowieso. Die ältere Generation, aufgewachsen in der UdSSR, hat in der Schule noch Russisch gelernt.
Berge Tuschetiens, eine abgelegene Region im Grossen Kaukasus
Du hast in Georgien einen Rebberg gekauft und produzierst eigenen Wein. Wie muss ich mir georgischen Wein vorstellen?
Georgischer Wein ist interessant und facettenreich. Von 4’000 weltweit existierenden Rebsorten sind 500 in Georgien beheimatet. Nirgendwo sonst auf der Welt wurden bisher ältere Spuren der Weinproduktion gefunden als auf dem Gebiet des heutigen Georgiens (ca. 8’000 Jahre alt). Georgien ist sozusagen die Wiege des Weins. In der Sowjetunion sind viel Wissen und Erfahrung, aber auch Traubensorten verloren gegangen, weil die Winzer auf Produktion getrimmt wurden. In den letzten Jahren herrscht grosse Aufbruchstimmung.
Ist der georgische Wein auch gut?
Die Qualität der georgischen Weine verbessert sich rasant. Viele Weine werden in Georgien nach der traditionellen Kvevri-Methode hergestellt. Kvevris sind Tonamphoren, die unter der Erde gelagert werden. Oft wird nicht nur der Traubensaft vergoren, sondern auch die Maische oder Teile davon. Dies verleiht den Weinen ihren typischen Charakter.
Fabio Bolognese auf seinem Rebberg in der Weinregion Kachetien
Mit https://inavarde.wine/ baust Du ein schweizerisch-georgisches Tourismusprojekt auf. Auf was können sich die Gäste freuen?
Bis im Sommer 2021 werden wir mitten in unserem Rebberg in Kachetien einen schönen Weinkeller fertigstellen. Neben der Degustation unserer Weine dürfen sich die Gäste auf traditionelle georgische Gerichte mit einem Touch Swissness und Italianità freuen.
Werden die Gäste dort auch Ferien machen können?
Ja. Mit einem Crowdfunding sind wir derzeit zudem daran, die finanziellen Mittel für den Bau eines kleinen Boutique-Hotels zu generieren. Sollte uns dies gelingen, können unsere Gäste ab ca. 2023 mitten im Rebberg übernachten. Interessierte Personen können mitmachen und ein Teil des Weinprojekts werden.
Zum Schluss eine Frage aus aktuellem Anlass: Ist Covid in Georgien auch ein Thema?
Ja. Georgien hat im März als eines der ersten Länder der Welt seine Grenzen geschlossen, eine Maskenpflicht in Innenräumen und einige weitere Massnahmen verhängt. So war das Virus während vieler Monate unter Kontrolle. Seit einigen Wochen grassiert Corona aber auch hier. Ich hoffe, dass die Kapazitäten in den Spitälern ausreichen. Die Georgierinnen und Georgier gehen mit der Situation viel entspannter um, als man das in Europa tut, obwohl es sie viel härter trifft.
Titelbild: Fabio Bolognese beim Gweleti-Wasserfall im Grossen Kaukasus nahe der Grenze zu Russland (Fotos: zvg)
Danke für deinen Bericht. Sehr interessant. Ich wünsch dir viel Erfolg und Mut.
Radreisender aus der Schweiz – grüsst dich.