StartseiteMagazinKulturDie Schweiz ohne Dürrenmatt – unmöglich

Die Schweiz ohne Dürrenmatt – unmöglich

Am 5. Januar 1921 wurde Friedrich Dürrenmatt geboren. Obwohl seine kritische, zuweilen provozierende Stimme vor dreissig Jahren verstummt ist, hat er uns immer noch viel zu sagen.

Mit seinem Sinn für Humor hätte Friedrich Dürrenmatt wohl nur mit einem Schmunzeln reagiert, wenn er im Rückblick auf sein immenses Werk als Schweizer Urgestein bezeichnet würde. Er war nicht nur ein grosser Literat und Theaterautor, er mass die Welt auch an hohen ethischen Prinzipien. Die Schweiz war ihm Heimat, der gegenüber er sich eine kritische Haltung erlaubte. Er schrieb nicht nur mit der Feder, sondern zeichnete und malte sein Leben lang. Schliesslich beschäftigte er sich eingehend mit den Wissenschaften. Astronomie gehörte seit seiner Jugend zu seinen Lieblingsthemen, aber auch aktuelle Themen wie Raumfahrt, Quantenphysik, Evolutionstheorien, Biotechnologie, Medizin und künstliche Intelligenz faszinierten ihn. Hier ein Blick auf vier Aspekte seiner Arbeit als Schriftsteller.

Der Apokalyptiker

Die kurze Erzählung «Der Tunnel», 1952 erstmals publiziert, beschreibt, wie eine alltägliche Situation in eine Katastrophe kippt. Ein junger Student fährt in der Eisenbahn. Es beginnt ganz gemütlich, nichts Ungewöhnliches zeigt sich. Namenlos, aber mit Zigarre, so zeichnet Dürrenmatt den jungen Mann: «fett, damit das Schreckliche hinter den Kulissen, welches er sah, nicht allzu nah an ihn herankomme». – Da ist auch Selbstironie drin.

Friedrich Dürrenmatt, Arsenal eines Dramatikers, 1960, Tusche auf Papier, 25.5 x 18 cm, Privatsammlung © CDN / Schweizerische Eidgenossenschaft

Der Text fliesst acht Seiten ununterbrochen, ohne Absatz. Allmählich merken wir, der Zug kann nicht mehr anhalten. Wie die Reisenden das erfahren, ist spannend geschildert: ein Tunnel, der kein Ende nimmt. «Was sollen wir tun», schreit der Zugführer am Schluss. – Die Antwort ist so endgültig wie schrecklich: Angesichts des immer schneller rasenden Zugs ruft der Student: «Nichts. Gott liess uns fallen und so stürzen wir denn auf ihn zu.» – Das deutet auf Dürrenmatts lebenslange Auseinandersetzung mit dem Kosmos, der Apokalypse hin und mit dem, was Gott ist.

Der Gesellschaftskritiker

Unzweifelhaft hat «Der Besuch der alten Dame» Dürrenmatt weltberühmt gemacht hat. –Es heisst, dass dieses Stück das weltweit meistgespielte Theaterstück sei. «Der Meteor», 1966 in Zürich uraufgeführt, erhielt weniger Lob, ist diese Komödie doch voller Spitzen und Hiebe gegen die Eitelkeiten und Selbstherrlichkeit der Kunstszene und der Kritiker. Der Maler Schwitter, nach seinem Tod in einer Klink wieder auferstanden, veranstaltet im wahrsten Sinne des Wortes ein Theater – mit allen Konsequenzen für die Gesellschaftskreise, in denen er sich bewegt.

Auch dieses Stück läuft auf eine Katastrophe hinaus: Alles um Schwitter geht zu Bruch, die Menschen, mit denen er zu tun hat, sterben, nur er selbst muss am Ende erkennen, dass er wie ein Monument nicht sterben kann. Ein bitteres Stück mit viel Lärm. Dem Autor scheint hier nichts heilig, auch über sich selbst, den damals schon Berühmten, macht er sich lustig. Die existenzielle Frage, was bleibt, wenn das «Theater» vorbei ist, muss sich jeder selbst beantworten.

Friedrich Dürrenmatt 1979. Foto: Peter Friedli / Bern, Schweizer. Literaturarchiv

Der Moralist und Humanist

Seit Jugend hat sich Dürrenmatt intensiv mit Geschichte befasst. Im Zusammenhang mit den Gräueln des Nationalsozialismus treibt ihn die Frage nach der Verantwortung um. Motive und Themen der griechischen und römischen Antiken dienen ihm oft als Material für sein Schreiben oder für Zeichnen und Malen. Hinter allen seinen Interessen steht der Mensch als moralisches Wesen: Was bringt einen Menschen dazu, ein Verbrechen zu begehen.

Darum geht es in «Der Richter und sein Henker», 1950-51 entstanden, ein Kriminalroman mit Tiefe. Je mehr die Geschichte voranschreitet, desto mehr geht es um die Motive der Personen, ihre Methoden, ein Ziel zu erreichen. Es sind Menschen, eigentlich nur Männer, die im Mittelpunkt stehen, keine «nichtswürdigen» Verbrecher. – In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Kriminalroman sehr verändert, er ist nicht mehr nur Thriller, sondern oft Schilderung der Lebensumstände und der Ursachen, die zu einer Tat geführt haben. In diese Reihe gehört Dürrenmatt mit seinem Roman.

Dürrenmatt und die Schweiz

Unzweifelhaft verstand sich Friedrich Dürrenmatt als Schweizer, obwohl ihn die Enge des Kleinstaates zuweilen bedrängte – damit war er nicht allein. «Ich bin gerne Schweizer», wird er zitiert. Von seinem Haus an den Neuenburger Jurahängen hatte er einen wunderbaren Blick über den gesamten Jurasüdfuss und in den Alpenbogen.

Friedrich Dürrenmatt, Zorniger Schweizer Atombombe werfend I, Kugelschreiber auf Papier, 20,9 × 14,4 cm, Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel  © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Es ist bemerkenswert, dass ein Dürrenmatt seine wichtigste Lebenszeit in der französischen Schweiz verbrachte. Dieses nicht unproblematische Nebeneinander verschiedener Kulturen im engen Rahmen der Eidgenossenschaft war für Dürrenmatt wohl reizvoll, eine Verbindung seiner Berner Wurzeln mit französischem savoir-vivre.

Seine von ihm geprägte Sprache verteidigte er standhaft. – In den 1950er Jahren war Mundart weniger geschätzt als heutzutage. Damals erregte Dürrenmatt, dessen Ruhm schon über die Landesgrenzen hinausreichte, mit seinen Helvetismen in Deutschland Anstoss, wovon er sich nie beirren liess.

Der Universalist

Je mehr man sich auf das Universum des Denkers und Künstlers Dürrenmatt einlässt, desto mehr Bereiche entdeckt man, mit denen er sich intensiv auseinandergesetzt hat. Den «Stoffen», seinem umfangreichsten Werk, widmet er sich in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens, und zwar gleichzeitig in schriftlicher wie in bildlicher Form. «Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen», schreibt er. Zu seinen Themen gehört das Labyrinth und der Minotaurus, das Kreuz, Prometheus, der Turmbau zu Babel und viele andere. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, über alle zu referieren. – «Stoffe» wurde zu seinem Lebenswerk.

Ansicht des Centre Dürrenmatt in Neuenburg. Architekt: Mario Botta

Nach dem Ende des gegenwärtigen Lockdowns – voraussichtlich ab 24. Januar 2021 – wird das Centre Dürrenmatt mit neuen Ausstellungen wieder geöffnet. Nach Dürrenmatts Tod 1990 wurde sein Haus, in dem er mit seiner Familie jahrzehntelang gewohnt hatte, von Mario Botta umgestaltet und, ergänzt durch einen originellen Neubau, zu einem Museum der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Es zeigt insbesondere das bildnerische Werk, das der Öffentlichkeit zu Dürrenmatts Lebzeiten kaum bekannt war, da der Künstler diese Leidenschaft privat gehalten hatte.

Auf SRF 2 Kultur sind zwei Erzählungen zu hören:
Herkules und der Stall des Augias (Dürrenmatt liest selbst – ein besonderer Hörgenuss!)
Die Panne (gelesen von Kurt Beck)

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