StartseiteMagazinGesundheitManche Heilmethoden waren gefährlicher als die Krankheit

Manche Heilmethoden waren gefährlicher als die Krankheit

DCF 1.0

Nein, so gut war die gute alte Zeit halt doch nicht. Zu erkranken war aus zwei Gründen schlimm: Wegen der Krankheit und wegen mancher Behandlungen.  

Vieles mutet uns heute abstrus an. Doch, so der Medizinhistoriker Hubert Steinke: „Die Menschen waren nicht dümmer als heute, aber sie hatten einen anderen Wissensstand.“ Der Experte von der Universität Bern beurteilt die Methoden aus heutiger Sicht.

Tabakklistier zur Rettung Schiffbrüchiger

In solchen Behältern aus dem 18. Jahrhundert brachte man den Tabak zum Glimmen. Mit einem Blasbalg wurde der Rauch als Klistier in den After appliziert.

Tabak galt bis vor wenigen Jahrzehnten als ungefährlich, ja sogar als gesund. Eigenartig dünkt uns heute, dass bis ins 19. Jahrhundert ein Tabakklistier gegen Darmbeschwerden helfen sollte. Mit Hilfe eines Blasbalgs applizierte man den Nikotin-Qualm in den After.

Steinke: Weil man dieser Behandlung eine belebende Wirkung zuschrieb, verwendete man sie auch für die Rettung Ertrinkender. Statt umständlich den Tabak zum Glimmen zu bringen und den Klistier-Apparat einzurichten, wäre wohl eine Mund-zu-Mund-Beatmung erfolgversprechender gewesen. 

Aderlass fürs Gleichgewicht der Säfte

Der Aderlass sollte viele Krankheiten heilen. Die Methode beruhte auf der antiken Säftelehre, aber auch auf Erfahrungen.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts verordneten Ärzte den Aderlass gegen vielerlei Krankheiten. Die Methode beruhte auf der antiken Säftelehre. Die Blutentnahme sollte das Gleichgewicht der Körpersäfte wieder herstellen: Blut, gelbe Galle, schwarze Galle, Schleim.

Steinke: Man war früher nicht dümmer als heute, hatte aber einen anderen Wissensstand. Der Aderlass beruhte auch auf Erfahrungen. Manchmal half er und entlastete den Kreislauf. Meist wurden bloss zwei Deziliter entnommen. Wenn die Ärzte diese Methode zurückhaltend praktizierten, schadete sie nicht. Allerdings sind auch Extremfälle bekannt, die tödlich endeten.

Quecksilber gegen Syphilis

Syphilis mit Quecksilber zu therapieren war ab anfangs des 20. Jahrhunderts umstritten. Mit dieser Annonce  preist ein Arzt in den Zwanzigerjahren seine „Aufklärungsschrift“ an.

Die „Lustseuche“ Syphilis war bis ins 20. Jahrhundert weit verbreitet und gefürchtet. Quecksilber bewirkte unter anderem, dass die Patienten sehr viel Speichel  absonderten. Die Ärzte betrachteten dies als Teil des Heilungsprozesses – was es aber nicht war.

Steinke: Quecksilber unterdrückte vorübergehend die Symptome dieser Geschlechtskrankheit, hatte aber üble Nebenwirkungen. Anders als heute war man früher eher bereit, diese zu akzeptieren. Das 1910 von Paul Ehrlich entdeckte Salvarsan versprach Heilung, die Chemotherapie hatte aber viele Nebenwirkungen. Sulfonamide verbesserten ab den Dreissigerjahren den Erfolg. Das Penicilin besiegte die Syphilis.

Radium als Modetherapie

Behälter und Trinkbecher für Wasser, das in grosser Dosis mit Radium versetzt wurde. Daraus entwickelte sich vor hundert Jahren eine eigentliche Modetherapie.

Das hochradioaktive Radium war in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts gross in Mode. In Pillenform oder als Zusatz im Trinkwasser sollte es gegen viele Krankheiten helfen, unter anderem gegen Bluthochdruck, Diabetes und Krebs. Die Therapie zeigte zu Beginn oft gut Resultate. Weil Radium in solch massiver Dosierung krebserregend ist, führte die Behandlung später oft zu unheilbaren Tumoren.

Steinke: Bei neu entdeckten Kräften vermutete man gerne auch medizinische Wirkungen. Das galt auch für die vom Ehepaar Marie und Paul Curie entdeckte radioaktive Strahlung. Man schrieb ihr „Lebenskraft“ zu. Als Beweis betrachtete man die Tatsache, dass das Wasser vieler Heilquellen schwach dosiertes Radium enthält. Die vermeintlich erfolgreiche Behandlung entwickelte sich zu einer eigentlichen Mode-Medizin. Die Pharmaindustrie vermarktete die Radium-Therapie vor allem in Amerika sehr erfolgreich.

Opium für die Kreativität

„Opium Bernensis“ zwischen 1870 und 1890 von einem Worber Landarzt hergestellt. Er kultivierte die Mohnpflanzen selber und gewann daraus Opium.

Das aus dem Schlafmohn gewonnene Opium war seit der Antike als Betäubungs- und Schmerzmittel bekannt. Laudanum, eine Opiumtinktur, wurde seit dem 16. Jahrhundert für vielerlei Krankheiten und Gebresten eingesetzt. Bei manchen Schriftstellern war Laudanum als Mittel zur Steigerung der Kreativität beliebt. Der Dichter Friedrich Glauser litt jahrzehntelang unter seiner Abhängigkeit von Morphium, einer Droge, die man erstmals 1804 aus Opium isoliert hat.

Steinke: Laudanum war bis anfangs des 20. Jahrhunderts frei verkäuflich und günstig. Derivate werden heute noch als stark wirkende Schmerzmittel eingesetzt. Weil sie abhängig machen können verwendet man sie zurückhaltend. Der Berner Arzt, Forscher und Dichter Albrecht von Haller (1708 bis 1777) beschrieb als einer der ersten seine Abhängigkeit von Laudanum. Allgemein erkannte die Wissenschaft die Suchtgefahr des Stoffs erst im Laufe des 19. Jahrhunderts.

Lobotomie gegen renitente Patienten

Der Arzt bohrte ein Loch in die Schädeldecke. Mit einer Sonde beeinflusste er die Hirnfunktionen des Patienten. Die uns heute unbegreifliche Methode war bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitet. Sie sollte gegen Schizophrenie, Depressionen, manchmal aber auch gegen „Aufsässigkeit“ helfen.

Steinke: Nach Gutdünken im Gehirn herumzufuhrwerken verursachte häufig schlimmste Folgen. Besonders Psychiatriepatienten behandelte man früher oft gegen ihren Willen. Entscheidende Verbesserungen brachten erst die Psychopharmaka in den 60er Jahren. Heute verwendet die Neurochirurgie die so genannte tiefe Hirnstimulation in weit verbesserter Form als Therapie gegen schwerste Depressionen oder Zwangsstörungen. 

Bandwürmern zum Abnehmen

Anfangs des 20. Jahrhunderts verbreitete sich vor allem in den USA eine Schlankheitsmethode, bei der Bandwürmer oder -eier geschluckt wurden. Bandwürmer können bis zu 10 Meter lang werden. Ein leichter Gewichtsverlust ist tatsächlich möglich, er steht aber in keinem Verhältnis zur Gefährdung. Noch heute werden übers Internet Bandwurmeier angeboten.

Steinke: Ich habe keine Ahnung, wie sowas wirken soll. Solche Kuren gehören zur Alternativmedizin. Diese umfasst auch andere seltsame Methoden, zum Beispiel die Signaturlehre. Sie geht vom Aussehen von Objekten aus. Ähneln sie menschlichen Organen, sollen sie sie heilend auf diese einwirken. Walnüsse etwa erinnern ans Gehirn, sind also gut fürs Gehirn. Zerstampfte Würmer heilen Darmbeschwerden. 

Auch die Schulmedizin weiss nicht alles

Hubert Steinke

Steinke: Aus unserer Sicht sind die vorgestellten historischen Methoden wertlos oder sogar schädlich. Sie haben keinen nachprüfbaren Hintergrund. Allerdings kann auch die moderne Schulmedizin selbst bei wirksamen Medikamenten nicht immer erklären, warum diese erfolgreich sind. Offen bleibt die Frage, wie die Wissenschaft in hundert Jahren die heutige Medizin beurteilt.

Titelbild: Der Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert zeigt, wie das Blut im Oberarm gestaut wird. 

Bilder aus dem Institut für Medizingeschichte der Universität Bern.

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